Debatte um Windkraftausbau „Jeder muss womöglich in einen sauren Apfel beißen“

Landschaft in Bayern mit Windkraft Quelle: imago images

Als Marktführer für Sonnenschutz kommen den Mittelständler Warema steigende Strompreise teuer zu stehen. Die Chefin Angelique Renkhoff-Mücke dringt auf den konsequenten Ausbau von Windenergie in Bayern – und hält nachhaltige Atomenergie für eine Milchmädchenrechnung.

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Angelique Renkhoff-Mücke (59) ist Tochter des Unternehmensmitbegründers Hans-Wilhelm Renkhoff und führt den Mittelständler aus dem fränkischen Marktheidenfeld seit 1998. Außerdem sitzt sie im Präsidium der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Die Vereinigung widersprach jüngst der CSU-geführten Staatsregierung mit einer offensiven Forderung nach einem Ausbau der Windkraft im Freistaat. 

WirtschaftsWoche: Frau Renkhoff-Mücke, der Ausbau der Windkraft in Bayern ist praktisch zum Erliegen gekommen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen hat die Staatsregierung aufgefordert, bis März einen verlässlichen Plan vorzulegen, das zu ändern. Die Widerstände im Freistaat sind jedoch zahlreich. Die Entfernung von Windrädern zur nächsten Wohnbebauung muss hier mindestens zehnmal so groß sein wie die Höhe eines Windrads. Mit welchen Argumenten wollen Sie als Unternehmerin überzeugen?
Angelika Renkhoff-Mücke: Mit Sicherheit ist da viel Kommunikation gefordert. Wir können am Ende aber nicht nur Einzelinteressen berücksichtigen. Jeder muss womöglich in einen sauren Apfel beißen. Auch die Industrie war am Anfang dagegen, erneuerbare Energien wurden als Preistreiber für Strom wahrgenommen. Aber die Versorgungssicherheit steht für uns an höchster Stelle. Wenn wir gleichzeitig aus Atom- und Kohlekraft aussteigen wollen, müssen wir auch in Bayern tätig werden. 

Gegner argumentieren, Bayern sei ein windarmes Land. Für ein paar Kilowatt mehr werde die Landschaft verschandelt.
Der Netzausbau ist natürlich auch enorm wichtig. Wir können uns aber nicht allein darauf verlassen, dass der Strom schon irgendwie aus dem Norden zu uns kommen wird. Und was die Sorge um die Schädigung des Landschaftsbilds angeht: Man könnte genauso gut sagen, dass sämtliche Straßen in Bayern die schöne Landschaft zerschneiden.

Ihr Unternehmen Warema stellt im fränkischen Landkreis Main-Spessart seit den Fünfzigerjahren Jalousien, Markisen, Sonnensegel, Rollos und Rollladen her. Mit rund 700 Millionen Euro Jahresumsatz sind sie auf dem Gebiet führend in Europa. Was bedeutet für Sie eine Verknappung und Verteuerung von Strom?
Steigerungen der Energiekosten betreffen uns massiv. Zum Beispiel im Bereich Kunststoff-Spritzguss. Das ist ein energie-intensives Geschäft. Wir befinden uns da allerdings genau an einer Grenze und profitieren deshalb wie viele andere nicht von der Befreiung von der EEG-Umlage. Die gilt nur für ein paar hundert extrem betroffene Unternehmen. Für 2022 rechnen wir wegen der gestiegenen Strompreise mit mindestens einer Million Euro Mehrkosten. Dabei mussten wir schon im vorigen Jahr eine halbe bis eine Dreiviertel Million Euro mehr schultern. Das ist sehr schmerzhaft. 

Was sind die Konsequenzen?
Generell können schon die derzeitigen Preiserhöhungen für Rohstoffe von den meisten Unternehmen nicht eins zu eins an die Kunden weitergegeben werden. Die Energiekosten belasten da zusätzlich. Die Mehrkosten müssen also anders kompensiert werden. Das gelingt nicht allen, und bei manchen Unternehmen geht das tatsächlich an die Existenz. Natürlich arbeiten wir an Einsparungen, auch durch Digitalisierung. Aber dazu sind zunächst Investitionen nötig. Da eine zusätzliche Kostenbelastung sofort ins Ergebnis geht, sind die verfügbaren Mittel für Investitionen entsprechend geringer.

Angelique Renkhoff-Mücke (59) führt den Mittelständler aus dem fränkischen Marktheidenfeld seit 1998. Quelle: PR

Selbst wenn der Ausbau der Windenergie nun auch in Bayern richtig in Fahrt käme, würde das die Situation nicht von heute auf morgen entspannen. Denken Sie, dass Unternehmen hier zu Lande auch bedenkenlos Atomstrom nutzen würden - gerade, wenn er demnächst ein Nachhaltigkeits-Label der EU erhält und womöglich auch noch günstig ist?
Ehe man ein Industrieunternehmen herunterfährt, wird man auch darauf zurück greifen. Aber Kernenergie ist nicht nachhaltig, da sollte sich niemand täuschen. Strom aus Atomkraftwerken ist auch nicht günstig, da verrechnen sich viele. Wenn man alle Kosten - auch die für Wartung, Reparatur, Modernisierung und natürlich für Rückbau und Entsorgung ehrlich hinzu addiert, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass erneuerbare Energien günstiger sind.

Vor drei Jahren liebäugelte man bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft noch mit einer Verzögerung des Ausstiegs aus der Atomkraft. Nun hat sich das Präsidium der vbw, dem auch Sie angehören, einstimmig und für viele Beobachter überraschend für ein Ende der 10H-Regelung im Freistaat ausgesprochen. Wie kam es zu dieser Kehrtwende? Immerhin stammt das Gesetz aus dem Jahr 2014.
Anfangs war es das Ziel, mit der 10H-Regelung die Akzeptanz zu erhöhen. Mittlerweile ist die Ausgangssituation aber eine ganz andere. Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, können wir nicht weiter mit angezogener Handbremse unterwegs sein. Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren mit aller Kraft voran treiben, dürfen dabei aber den Netzausbau und die Grundlastversorgung unter keinen Umständen vernachlässigen.

Fiel das Votum für die Abschaffung von 10H leicht?
In einem Verband ist Konsens nicht immer einfach. Es gibt immer spezielle Interessengruppen. Aber hier waren wir uns sehr schnell einig. Für eine erfolgreiche Energiewende müssen wir auch Einzelinteressen hintan stellen.  

Mehr zum Thema: Kaum ein Vorhaben aus dem Haus von Robert Habeck ist so umstritten wie der Plan, zwei Prozent des Landes mit Windkraftanlagen zu bebauen. In Bayern sind die Widerstände besonders groß – obwohl es dort sogar „Windkümmerer“ gibt.

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