Deutschlands Digitalisierung Ärger um die Einmalzahlung für Studenten: Besser in Brieftauben investieren

Die Antragsplattform für die 200-Euro-Einmalzahlung an Studierende aufgrund der gestiegenen Energiepreise sorgt für Ärger. Quelle: Screenshot

Die Antragsplattform für die 200-Euro-Energiepauschale ist eine Zumutung –  aber nicht nur die Studenten leiden. Für den Wirtschaftsstandort ist die Ambitionslosigkeit fatal. LNG-Tempo für die Digitalisierung? Gibt’s nicht. Ein Kommentar.  

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Haben Sie eine BundID? Einen Online-Personalausweis? Und die AusweisApp2 auf dem Smartphone? Wie, haben Sie etwa nicht?

Dann geht es Ihnen womöglich wie den meisten der 3,5 Millionen Studierenden und Fachschülern in Deutschland, die seit fünf Monaten auf ihre Energiepauschale von 200 Euro warten und sich nun durch eine Antragsplattform Einmalzahlung200.de kämpfen müssen, die ihresgleichen sucht – dass die federführende Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eine Telefonhotline schalten lässt, zeigt vor allem eins: Digitalisierung ist in Deutschland noch immer eine Nummer voller Kummer.

Da lachen sich nicht nur die Chinesen schlapp

Warum einfach entlasten – etwa über den Abzug der 200 Euro von den Semestergebühren – wenn es auch komplex geht? Bund und Länder schieben sich die Schuld gegenseitig zu, aber Verantwortung übernehmen will offensichtlich niemand, geeint wirken sie nur in einer Sache: in ihrer Ambitionslosigkeit.

Wie will die Industrienation noch wettbewerbsfähig bleiben, wenn der Staat allein für das Aufsetzen einer Website fünf Monate braucht? Wenn eine Online-Kfz-Zulassung als Meilenstein gefeiert wird? Und ein Bauantrag noch immer so analog wie zu Kaisers Zeiten per Bote von Amt zu Amt transportiert wird? Da lachen sich doch nicht nur die Amerikaner und Chinesen schlapp.

Nutzerunfreundlich – oder Nutzerfeindlich? 

Seit 2017 arbeiten Bund und Länder an der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), mit dem alle Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert werden sollen. Doch von 575 Angeboten sind erst 33 Dienste online, und das teilweise nur rudimentär und dazu teils kundenunfreundlich.

Die Online-Zulassung „i-Kfz“ ist beispielsweise so komplex gebaut, dass die Nutzungsquote bei gerade einmal 0,3 Prozent liegt – das belastet nicht nur die Bürger, sondern auch die Beschäftigten in den Ämtern, die eigentlich Besseres zu tun haben sollten, als Anträge analog abzustempeln und ins Register einzuhängen.

Desaster um die Grundsteuererklärung 

Hatte sich die große Koalition noch vorgenommen, bis Ende 2022 mit dem OZG durch zu sein, setzt sich die Ampel-Koalition jetzt noch nicht mal eine neue Frist, bis wann sie die Dienstleistungen anbieten will. Die Bürger werden hingegen drangsaliert mit Dingen wie der Grundsteuererklärung, obwohl den Ämtern die Daten längst vorliegen – weil sie aber an der digitalen Zusammenführung scheitern, müssen eben die Grundstückbesitzer ran. Willkommen in Analogistan!  



Erst am Mittwoch warnten die Innovationsweisen der Bundesregierung, die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger bei der Übergabe ihres Jahresgutachtens vor den Folgen der deutschen Ambitionslosigkeit. 

Wo bleibt die Zeitwende für die Innovationspolitik?

„Auch in der Innovationspolitik ist eine Zeitenwende notwendig!“, fordert der EFI-Vorsitzende und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Jena, Uwe Cantner: „Ein Weiter-wie-bisher bei der Politikkoordination kann sich Deutschland weder in zeitlicher noch in finanzieller Hinsicht leisten.“

Das ist offensichtlich noch nicht bei allen angekommen, wie die Einmalzahlungen zeigen: Alle 16 Datenschutzbeauftragten der Länder mussten mitreden und jeweils für ihr Land eine eigene rechtliche Grundlage schaffen. Einer für Alle? Bitte nicht, das könnte ja schneller gehen. „Wäre Deutschland ein Unternehmen, würde es wohl direkt in der Pleite landen“, sagte der Ökonom Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), bereits im Herbst angesichts der verschleppten Digitalisierung.

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Wenn das so weiter geht, lohnt es sich, wieder in Brieftauben zu investieren, die sind im Zweifel schneller als der Staat mit seiner Digitalisierung. Das gilt auch für die Studierenden: Die haben jetzt zwar eine Antragsplattform – aber wann sie ihr Geld bekommen, ist noch vollkommen unklar.

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