Entlastungsgesetz Berlin feiert sich für Bürokratieabbau – Wirtschaft fordert mehr

Marco Buschmann (FDP), Bundesjustizminister, gibt ein Statement zum Bürokratieabbau. Quelle: dpa

Unternehmen und Bürger in Deutschland ächzen unter der Last der Bürokratie. Die Bundesregierung will da ran – mit einem Gesetz zum Bürokratieabbau. Doch die Wirtschaft nennt die Maßnahmen „kaum spürbar“.

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Die Bundesregierung hat weitere Maßnahmen zum Bürokratieabbau beschlossen. So soll unter anderem das Ausfüllen von Meldezetteln in Hotels entfallen, zumindest für deutsche Staatsangehörige. Außerdem werden die Aufbewahrungsfristen in der Buchhaltung verkürzt.

Justizminister Marco Buschmann sagte, die Belastung durch Bürokratie sinke auf den tiefsten Stand seit 2012. Allerdings betonten führende Vertreter der Ampel-Koalition, dass weitere Schritte folgen müssten. Die Wirtschaft reagierte zum Teil wütend und sprach von einer verpassten Chance, deutlich mehr zu machen.

Den entsprechenden Gesetzentwurf hatte das Kabinett am Mittwoch gebilligt. Das Entlastungsvolumen für die Wirtschaft wird darin auf gut 944 Millionen Euro pro Jahr beziffert. Das sind über 260 Millionen Euro mehr, als zunächst vorgesehen waren. „Der Bürokratiekostenindex fällt dadurch auf ein Allzeittief“, sagte FDP-Politiker Buschmann. Er wird seit 2012 erhoben und misst die Belastung von Unternehmen durch Informationspflichten. Weitere Schritte müssten folgen. „Denn Bürokratieabbau ist ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif.“

Ähnlich äußerten sich die Spitzen der Ampel-Regierung. „Das ist ein Projekt mit einer weitreichenden Wirkung“, kommentierte Kanzler Olaf Scholz (SPD). „Das aber darf nur der Beginn des Abbaus sein“, meint Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Vor allem müsse es darum gehen, zusätzliche Bürokratie zu vermeiden, weswegen die FDP ein EU-weites Lieferkettengesetz verhindert habe. Bürokratie bedeute immer auch fehlende Zeit in Betrieben, sich mit dem eigentlichen Produkt zu beschäftigen. „Das ist eine Verschwendung von Produktivität.“

Die Ampel verabschiedet ein Bürokratieentlastungsgesetz. Indes geht der tägliche Wahnsinn für Bürger und Betriebe weiter, weil die Regierung nicht anders kann. Ein Kommentar.
von Christian Ramthun
  • Größter Teil des Pakets mit etwa zwei Drittel der Entlastung ist, dass Buchungsbelege – Rechnungskopien, Kontoauszüge sowie Gehaltslisten – künftig nur acht statt zehn Jahre aufbewahrt werden müssen.
  • Auch sollen Betriebskostenabrechnungen digitalisiert werden. Reisende sollen die Option bekommen, bei der Flugabfertigung Reisepässe digital vorzuzeigen.
  • Öffentliche Versteigerungen sollen auch online möglich werden.

Das federführende Justizministerium rechnet mit einem Steuerausfall von 200 Millionen Euro, 89 Millionen entfallen dabei auf den Bund. Zusammen mit weiteren Maßnahmen der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP soll das Entlastungsvolumen für Unternehmen insgesamt bei rund fünf Milliarden Euro pro Jahr liegen.

Wirtschaft widerspricht dem Jubel

Besonders scharfe Kritik kam aus dem Chemieverband VCI. Dies sei nicht einmal im Ansatz die notwendige Entlastung. Ein radikaleres Vorgehen sei nötig und ein Mentalitätswechsel in der Gesetzgebung. „Wir müssen entrümpeln. Mit ein bisschen Frühjahrsputz ist es nicht getan“, mahnte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. „Die Bundesregierung verpasst den bürokratischen Befreiungsschlag“, kritisierte auch der Industrieverband BDI. Das jetzige Paket bleibe weit hinter den Erwartungen zurück. Es brauche mehr Praxischecks in den Ministerien. Außerdem müsse die Kultur des Misstrauens gegenüber der Wirtschaft weichen.

Der Großhandelsverband BGA forderte, das deutsche Lieferkettengesetz, das Unternehmen für Missstände in ihren Lieferketten in die Pflicht nimmt, abzuschaffen oder zumindest deutlich abzuspecken. Aus Sicht der Wirtschaft brummt es Firmen viele und kaum erfüllbare Informationspflichten auf.

Nur elf von 400 Vorschlägen wurden übernommen

Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, verwies auf das Heizungsgesetz der Ampel, das viel Bürokratie verursache. Die Wirtschaft habe zum jetzigen Abbaupaket insgesamt mehr als 400 konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht. „Übernommen wurden davon lediglich elf.“

Zugleich sei die Ampel wenig ambitioniert beim Vorhaben, die Verwaltung digitaler zu machen. „Erst 2029 sollen die Verwaltungsverfahren des Bundes volldigital angeboten werden, das ist eines modernen Industrielandes nicht würdig.“ Deswegen sprach auch der Digitalverband Bitkom von Trippelschritten. Der Zwang zu Papier und einer händischen Unterschrift sei weiterhin ein großes Hemmnis. Außerdem müssten bereits vorliegende Daten und Informationen in unterschiedlichen Registern vernetzt werden.

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Der Handwerksverband ZDH und die Automobil-Lobby VDA forderten den Bundestag auf, bei den Beratungen über den Gesetzentwurf Mut zu zeigen. Weitere Entlastungsmaßnahmen sollten ergänzt werden.

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