Freytags-Frage
Klimaschutz ist nur effektiv, wenn er global betrieben wird. Quelle: imago images

Wie klimafreundlich wird die zukünftige deutsche Außenpolitik sein?

Die nächste Regierung muss in der Außenpolitik zwei Fragen beantworten: Wie tritt sie gegenüber Russland und China auf und kann sie ein Bündnis mit den USA schließen? Viele Dilemmata für eine grün-gefärbte Regierung.

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Vor wenigen Tagen hat die Kanzlerkandidatin der Grünen, Frau Baerbock ein recht aufschlussreiches Interview zu ihren außenpolitischen Vorstellungen gegeben. Darin hat sie einige Positionen vertreten, die in einem grün-rot-rotem Regierungsbündnis (G2R) sicherlich kaum mehrheitsfähig wären. Dies wäre in einer Ampelkoalition oder in einer Koalition nur mit den Christdemokraten (CDU) mit Sicherheit deutlich anders.

Frau Baerbock hat sich sehr klar – wenigstens für grüne Verhältnisse – für die Nato und die transatlantische Zusammenarbeit ausgesprochen; dabei hat sie sogar ein Klimabündnis mit den Vereinigten Staaten (USA) angeregt. Sie hat sich deutlich zu Russland und zu China positioniert und sehr deutlich Verletzungen der Menschen- und Bürgerrechte sowie außenpolitische Aggressivität beider Akteure gerügt; Nord Stream 2 kommt dabei genauso schlecht weg wie das europäisch-chinesische Investitionsabkommen. Ihr Blick auf die neue Seidenstraße ist recht nüchtern.

Das alles klingt sehr realitätsbezogen und pragmatisch, ohne zu viel zu versprechen. Es scheint auch klar zu sein, dass Frau Baerbock mit diesem Interview darauf abzielt, diejenigen Bürger abzuholen, die gegenüber grünen Träumen bezüglich Wirtschaft, Klima, internationalen Beziehungen, Ernährung und Genderfragen eine kritische Distanz wahren. Die zur Zeit spürbare und – nach weiteren 16 Jahre Aussitzen und Einschläfern mit guten und schlechten Ausreißern – nachvollziehbare Wechselstimmung soll sicherlich nicht durch radikale Beiträge zur Außenpolitik getrübt werden.

von Sonja Álvarez, Max Haerder, Christian Ramthun, Cordula Tutt, Silke Wettach

Doch was folgt aus diesen Ausführungen? Zwei Fragen sind dabei sicherlich zentral: Erstens, wie robust kann die nächste Bundesregierung gegenüber Russland, aber vor allem gegenüber China angesichts der nach der Coronakrise noch einmal gestiegenen Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom chinesischen Markt auftreten? Dieses Thema wird vor allem dann interessant, wenn durch eine wohl zu erwartende Verschärfung der klimapolitischen Auflagen zahlreiche Industriearbeitsplätze auf den Prüfstand gestellt werden. Hier wird eine grün-geführte oder wenigstens grün-gefärbte Regierung automatisch in ein Dilemma geraten; dieses würde aber auch für jede anders gefärbte Regierungskoalition ähnlich stark bestehen.

Während langfristig kein Widerspruch zwischen Klimaschutz und guter wirtschaftlicher Entwicklung bestehen muss, kann dies bei kurzfristig verschärften Regeln oder Grenzwerten ganz anders aussehen – dann brauchen die Unternehmen das Ventil Exporte umso mehr (falls sie preislich noch wettbewerbsfähig sein werden). Dann gibt es womöglich zwei Gruppen Unzufriedener, nämlich breite Teile der Arbeitnehmerschaft und die nicht gerade kleine Anzahl grüner Fundamentalisten, die in Deutschland harten Klimaschutz verlangen und gleichzeitig wenig Anstoß am Verhalten von Diktaturen nehmen.



Zweitens, kann eine grüne Bundeskanzlerin oder Außenministerin tatsächlich ein Bündnis mit den USA schließen, ohne in einen noch stärkeren Konflikt als dem eben beschriebenen mit der grünen Basis zu geraten? Immerhin war es vor etwa fünf Jahren vor allem dem vornehmlich grünen, unter Zuhilfenahme aller möglichen Mythen organisierten Widerstand geschuldet, dass es nicht gelang, ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) zu vereinbaren. Präsident Barack Obama war damals bereit, ein solches Abkommen abzuschließen; aus US-amerikanischer Sicht hätte es auch dazu gedient, Chinas Aufstieg zu kontrollieren und die Kontrolle über die Setzung internationaler Standards in der transatlantischen Sphäre zu halten. Aus heutiger Sicht ist es daher bedauerlich, dass es dazu nicht gekommen ist – das Chlorhühnchen als das Symbol deutscher Engstirnigkeit hätte man sicherlich aus dem Weg räumen können.

Es ist umso erfreulicher, dass Frau Baerbock, die sich im Übrigen damals in der Debatte um TTIP zurückhielt, transatlantische Beziehung intensivieren möchte. Es ist ihr sicherlich klar, dass die amerikanische Seite ein Klimabündnis nur unter Bedingungen beziehungsweise zu einem Preis eingehen wird – ob es noch einmal Freihandel sein wird, ist offen. Aber in geostrategischer Hinsicht müssten die Deutschen einige Kröten schlucken, da ist die Beendigung des Nord-Stream-2-Projekts sicherlich nicht die dickste. Auch die Beiträge zur Nato und der Umgang mit chinesischen Unternehmen werden wohl auf den Verhandlungstisch kommen.

Aber die Sache ist es wert, vor allem mit Blick auf das Klima (da sollte man doch das Chlorhühnchen hintanstellen!). Denn – wie an dieser Stelle schon oft herausgearbeitet –, ist das Klima beziehungsweise die Atmosphäre ein Allmendegut. Klimaschutz ist deshalb nur effektiv, wenn er global betrieben wird. Deshalb sollte die Europäische Union (EU), natürlich wesentlich getrieben von der Bundesregierung, alles unternehmen, internationale Partner mit glaubwürdigen und durchsetzbaren Verpflichtungen an Bord zu bekommen. Der von der Europäischen Kommission vorgesehene europäische Green Deal macht wesentlich mehr Sinn, wenn ein zweiter großer Partner dabei ist. Man muss außerdem es ja nicht bei den beiden belassen: Australien, Kanada, das Vereinigte Königreich, Japan oder Neuseeland haben ja durchaus ähnliche Vorstellungen.

Der Vorschlag läuft somit auf einen Klimaklub hinaus. Ein Klimaklub ist eine Koalition der Willigen, die gemeinsam CO2-Reduktionen oder CO2-Steueren vereinbaren und intern durchsetzen. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft nicht zu gefährden, erhebt der Klub Grenzausgleichszahlungen für CO2-intensiv produzierte Importe in den Klub, in diesem Fall die EU und die USA verlangen würden. Sofern diese nicht diskriminieren, kann man sie kompatibel mit der Welthandelsordnung ausgestalten.

Zusammen bilden die beiden Wirtschaftsräume einen gewaltigen Block, der Klimapolitik global durchsetzen könnte. Denn erstens werden viele Unternehmen weltweit sich den Standards im transatlantischen Klimaklub anpassen wollen, um den Marktzugang in die EU und die USA nicht zu gefährden. Zweitens hätte dieser Klub eine Sogwirkung – andere Länder würden über kurz oder lang mitmachen. Drittens kann man so möglicherweise auch die chinesische Seite für mehr Klimaschutz gewinnen, denn entgegen der vielfachen Verlautbarungen chinesischer Politiker werden chinesische Unternehmen den Weltmarkt noch lange brauchen.

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Somit könnte man erwarten, dass mit einem transatlantischen Klimaklub zum ersten Male erhebliche globale Emissionsreduktionen mit einem signifikant positiven Einfluss auf das Klima möglich wären. Es ist einerlei, wer im September die Regierung stellt – mit einem transatlantische Klimabündnis könnte die neue Bundesregierung einen wirklichen Schritt zum Klimaschutz gehen. Unterbleibt aber ein solcher Schritt aus ähnlichen Gründen wie im Fall von TTIP, bleibt die deutsche Klimapolitik kleinteilig und engstirnig.

Mehr zum Thema: Im Bundestagswahljahr sucht die Wirtschaft die Nähe der Grünen. Sie könnten Teil der nächsten Regierung sein. Konzerne engagieren deshalb prophylaktisch wechselwillige Parteileute, die die Lobbyarbeit sicher stellen.

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