Nach der Bundestagswahl im September ist eine Regierung mit den Grünen wahrscheinlicher als eine ohne die Ökopartei. Und im Wahlkampf wird die Bewältigung der Wirtschaftskrise nach der Coronapandemie wahrscheinlich zum zentralen Thema. Zugleich aber verfügt der Staat nach milliardenschweren Hilfsprogrammen kaum mehr über Spielraum für große Investitionen.
Keine leichte Gemengelage, in die hinein die Grünen nun den Entwurf ihres Wahlprogramms vorstellen. Darin geht es zentral um die Transformation der Wirtschaft und darum, wie der Staat die Digitalisierung und den Klimaschutz fürs Industrieland Deutschland vorantreiben soll.
Was die Grünen anders machen wollen? Sie werfen der Union und der SPD vor, das Land zu mutlos verwaltet, zu wenig investiert zu haben statt es mutig zu reformieren. Der Standort D sei deshalb nicht fit genug in Konkurrenz zu anderen Industrieländern.
Weniger als in früheren Bundestagswahlkämpfen wollen die Grünen dabei aber nach eigener Aussage vorgeben, wie genau sich die Wirtschaft umbauen soll. Bloß nicht wieder als Verbotspartei dastehen! Die Partei um Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck will natürlich Ziele setzen für den Klimaschutz – das ehrgeizige 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung ist ausdrücklich erwähnt. Sie will auch die Verwaltung rasch digitalisieren, Planungsprozesse verschlanken und sogar Infrastruktur schneller bauen statt in endlosen Verfahrensschritten auszubremsen. Das klingt einigermaßen ungewohnt, weil ja oft Naturschutzinteressen oder Umweltargumente zügiger öffentlicher Umsetzung entgegenstehen. Den Nachweis, wie es konkret gehen soll, bleiben sie noch schuldig.
Innerhalb von zehn Jahren sollen dafür jeweils jährlich 50 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden vom Staat: in schnelles, flächendeckendes Internet, in Spitzenforschung für Quantensysteme und Biotechnologie, in klimaneutrale Infrastruktur, andere Mobilität und moderne Stadtentwicklung. Die Grünen wollen eine Wasserstoffinfrastruktur aufbauen und die Halbleiterindustrie fördern, die Produktion von Batteriezellen und ab 2030 auch nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen.
Doch eine entscheidende Frage bleibt offen: Wer entscheidet, welche Innovation besonders förderungswürdig ist? Der Staat lag hier in der Vergangenheit immer wieder falsch. Geld wurde ineffizient und an falscher Stelle rausgehauen. Und: Woher die Mittel kommen sollen, bleibt teilweise noch offen.
Mehrere grüne Führungsleute haben aber wissen lassen, dass sie die Schuldenbremse für nicht mehr zeitgemäß betrachten, also Kredite aufnehmen würden für solche Ziele. Für eine solche erneute Grundgesetzänderung brauchen sie aber ein breites parlamentarisches Bündnis.
Helfen soll aus Sicht der Sonnenblumenpartei auch eine Vermögensteuer, die Wirtschaftsvertreter und auch manche in der Union wird aufheulen lassen. Von einer Vermögensabgabe wollen die Grünen nichts mehr wissen, wohl aber streben sie an, „für die Gerechtigkeit“ einen Steuersatz von einem Prozent für Vermögen über zwei Millionen Euro pro Jahr zu verlangen. Damit soll das Reihenendhaus auch in München zwar außen vor bleiben, treffen dürfte es aber Unternehmerinnen und deren Betriebsvermögen.
Die Grünen sprechen von dienender Finanzpolitik, die dafür da sei, Ziele für die Gesellschaft zu ermöglichen. Die Wahlkämpferinnen zielen offensichtlich weniger als bei anderen Bundestagswahlkämpfen auf die Steuerpolitik und die Finanzen als Kernthema. Sie entwerfen lieber ein Bild, wie das Industrieland BRD in einem Jahrzehnt nach ihren Vorstellungen aussehen sollte, konkret: wie Verkehr, Wohnen, Energie und Nachhaltigkeit vorangekommen sein werden.
Das ist ein Hinweis, dass die Grünen weniger aufs Finanzministerium zielen, dem traditionell stärksten Ressort nach dem Bundeskanzleramt in einer Regierung, sondern auf ein Super-Wirtschaftsministerium. So ist bereits immer mal wieder von führenden Köpfen in der Partei zu vernehmen. Das könnte dann, angereichert um Energie, Infrastruktur, Verkehr und Umwelt etwa, die großen Öko-Projekte auf den Weg bringen.
Die Grünen hatten es sich mit ihren Steuerplänen früher auch gern mal bei eigenen Anhängerinnen verscherzt, etwa weil sie statt des Ehegatten- ein Familiensplitting und Steuererleichterungen anhand der Zahl der Kinder forderten. Das ist zwar folgerichtig und nützt eher denen, die für andere einstehen und Kinder großziehen, doch auch bei den Grünen gibt es viele Wählerinnen, die ein eher traditionelles Familienmodell leben und nicht schlechter dastehen wollten.
Die Grünen geben sich als tatkräftig und innovativ - und sie wollen sich mit ihren Zielen bei der Wirtschaftspolitik deutlich von den jetzigen Regierungsparteien abheben. Wer viel will, muss aber auch zuerst mal einiges beweisen und belegen. Das wird im eigentlichen Wahlkampf eingefordert werden. Und egal ob die Ökopartei nun in Baden-Württemberg teils höhere Kompetenzwerte bei Wählerinnen erreicht als die klassisch wirtschaftsnahe Parte CDU: Entschieden wird über den wirtschaftlichen Erfolg einer Regierung im Zusammenspiel mit den Unternehmerinnen und Erfinderinnen. Dort muss am Ende der künftige, nachhaltige Wohlstand entstehen.
Dieser Austausch zwischen Grünen und der Wirtschaft ist jedoch noch brüchig, jedenfalls soweit es um die klassische Deutschland AG geht. Gleichzeitig haben gerade die beiden Parteichefinnen Baerbock und Habeck zusammen mit den Wirtschaftsfachleuten ihrer Partei inzwischen viele Kontakte in jene Branchen hinein, die den Klimaschutz als Geschäftsmodell verstehen. Denjenigen, die hier das Wohlstandsmodell für Deutschland im gerade begonnenen Jahrzehnt erkennen wollen, empfehlen sich die Grünen mit ihrem Programm als Partei der Wahl.