Amerikanische Ökonomen machen sich gerne lustig über das Verhältnis der Deutschen zu Schulden. Über unsere Obsession, nicht über unsere Verhältnisse zu leben. Über die Vorstellung, dass alle Schulden zurückbezahlt werden müssen. Dass wir sie gedanklich in Waggons füllen, die bis zum Mond reichen. Und vor allem: dass wir Schulden moralisch aufladen.
Wenn man eine Weltmacht mit Weltwährung ist, muss man sagen: Mit voller Hose ist leicht stinken. Der Spott trifft dennoch einen Punkt: Bei Schulden geht es nicht um Tugend, sondern um ihren Zweck, ihre Wirkung und die Tragfähigkeit. Deshalb ist die deutsche Debatte verquast, und nachdem man sich über Jahre mit Schattenhaushalten nach außen sauber und solide präsentierte, hat diese – wenn man so will – Doppelmoral nun zu dem Knall aus Karlsruhe geführt.
Schulden sind nicht per se schlecht: Wenn man eine Straße verbreitert, damit doppelt so viele Lkw zu einer Fabrik und wieder wegfahren, ist das Geld gut angelegt. Das Problem unserer Zeit ist, dass es nicht mehr nur um Straßen geht, sondern um Schienen, Ladesäulen und Wasserstoffnetze, und die Fabrik, nun, die soll auch noch grün produzieren.
Über Sinn und Ausmaß, die grüne Transformation der Wirtschaft mit Steuergeldern zu finanzieren und flankieren, kann man trefflich streiten. Das gilt auch für den Aufbau von Schlüsselindustrien. Eines aber steht fest: Der Staat ist ein wesentlicher Akteur; es gibt kein seriöses Szenario, in dem nur private Investitionen diesen Jahrhundertumbau stemmen.
Deutschland trifft nun ein Doppelschlag: Erst hat die Ampel das Land im Sommer in eine Blockade und Angststarre geführt – und nun wurde dem Staat die finanzielle Grundlage entzogen. Die Klarheit, die das Urteil aus Karlsruhe bringt, ist wichtig: Der Staat kann nicht wie ein Hütchenspieler Schulden in Sondertöpfen hin und her schieben. Die Klarheit bringt aber neue Unklarheit. Der Standort, ohnehin in einer Strukturkrise, ist nun in einem Schwebezustand, der die ohnehin schmale Aussicht auf Erholung 2024 zusätzlich gefährdet.
Denn nichts hasst die Wirtschaft mehr als Unsicherheit – in einer Phase, die ohnehin von immer neuen Unsicherheiten geprägt ist: Zahlreiche Unternehmen, ob aus der Chipindustrie oder der Batteriebranche, warten nun. Es wird gerätselt und gerechnet, gewartet und gezittert, von Heide bis Dresden.
Deutschland könnte problemlos zehn Prozent des BIPs oder 300 Milliarden auf den Schuldenberg draufpacken. Um all die Investitionen zu finanzieren, die diesem Land so bitter fehlen. Der Kapitalmarkt würde es uns leihen, und Deutschland könnte es schultern.
Das Problem ist nicht das Geld, sondern die Menschen, die darüber entscheiden, wie es ausgegeben wird. Weshalb die Schuldenbremse ein nötiges Instrument bleibt, auch wenn eine Reform – Stichwort Investitionsklausel – ernsthaft diskutiert werden sollte. Wenn eine Reform der Schuldenbremse sicherstellt, dass nicht mit viel Kosmetik und Kreativität doch irgendwelche Projekte und Quatschideen unter Investitionen verbucht werden, die nichts damit zu tun haben, dann ließe sich darüber diskutieren.
Bis zuletzt haben Politiker aller Parteien gezeigt, dass sie Geld ohne Blick auf das große Ganze und nach Proporz ausgeben – jeder darf dem Volk mal Gutes tun. Das ist vorbei. Im besten Fall ist die Notlage nun ein Weckruf.
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