Intel kommt nach Magdeburg Wer so viel Geld verteilt, muss höhere Ansprüche stellen

Tesla, Northvolt, Intel: Staatliche Fördergelder locken große Konzerne nach Deutschland. Aber stellen wir auch angemessene Bedingungen? Quelle: Imago

Deutschland wird zum Land der Gigafactorys. Doch die gute Nachricht hat einen bitteren Beigeschmack: Anstatt Brachflächen zu nutzen werden Wälder gerodet und beste Ackerböden versiegelt. Ein Kommentar.

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Als sich der Magdeburger Stadtrat im vergangenen Herbst mit dem geplanten Gewerbegebiet Eulenberg beschäftigte, da ahnte in der Stadt noch kaum jemand, dass genau hier bald die größte Investition in Europa seit Jahrzehnten stattfinden könnte. Was die Fläche aber auszeichnete, um die es ging, beschrieb die Wirtschaftsbeigeordnete Sandra Yvonne Stieger (CDU) schon da treffend: „350 Hektar als frei zu entwickelnde zusammenhängende, unverbaute Fläche sind in der heutigen Zeit weltweit eine Seltenheit.“

Genau dieses Argument dürfte es neben den üppigen Fördertöpfen gewesen sein, das den Intel-Konzern und seinen Chef Pat Gelsinger ein paar Monate später dazu bewegt hat, seine erste große Fabrik ausgerechnet hier zu entwickeln, am südwestlichen Stadtrand Magdeburgs. Fernab von Fachkräften und anderen Branchengrößen, die sich vor allem im Raum Dresden und rund um München tummeln.

Für den Standort Deutschland ist das zunächst eine gute Nachricht, die sich liest wie der Kulminationspunkt einer seit Jahren andauernden Entwicklung: Erst entschied der chinesische Konzern CATL, seine erste große Batteriefabrik außerhalb Chinas nahe Erfurt aufzubauen. Es folgten der US-Autokonzern Tesla mit seiner Autoproduktion in Grünheide bei Berlin, eine große Batterieherstellung des Konzerns SVolt im Saarland und zuletzt eine ähnlich große Batterieproduktion des schwedischen Konzerns Northvolt bei Heide in Schleswig-Holstein. Die Investitionskaskade ließe sich um weitere Fälle erweitern, die allesamt zweierlei verbindet: Möglich wurden sie nur dank immenser staatlicher Fördergelder. Und sie entstehen in völlig neu erschlossenen Gewerbeparks, oder, wie es umgangssprachlich heißt: auf der grünen Wiese.

Warum das aus Sicht der Investoren überzeugend ist, das weiß jeder private Bauherr. Wo vorher keine Fabrik und kein Doppelhaus stand, da gibt es weniger Beschränkungen. Keine Altlasten im Boden, keine ungünstig verlaufenden Versorgungsleitungen, kein Denkmalschutz – weniger Ärger. Doch was aus individueller Sicht vorteilhaft ist, das ist gesellschaftlich betrachtet ein Problem. Deutschland ist schon jetzt ein dicht besiedeltes Land, entsprechend knapp sind landwirtschaftliche Flächen und für die Klimabilanz unverzichtbare Waldgebiete. Zugleich haben zwei Jahrhunderte Industrialisierung, die zeitweise Teilung des Landes, die folgende militärische Aufrüstung und spätere Abrüstung gigantische Brachflächen wie Militärflughäfen, Stahlwerke oder aufgegebene Chemiekomplexe hinterlassen. Laut Schätzungen des Umweltbundesamts gibt es deutschlandweit zwischen 150.000 und 176.000 Hektar solcher Areale, genug für 400 Intel-Fabriken.

Natürlich kommen die meisten dieser Flächen für solche großen Projekte nicht infrage, weil sie zu klein, zu schlecht erschlossen oder die Besitzverhältnisse zu verworren sind. Dennoch: In einem engen Land wie Deutschland wäre es ein Gebot der Effizienz, Brachflächen stärker zu nutzen. Wenn Intel jetzt 350 Hektar Fläche in der Magdeburger Börde überbaut – im Übrigen nur der erste Schritt des Vorhabens – dann gehen dabei große Flächen des allerbesten Ackerbodens verloren, den das Land zu bieten hat. Durch den Bau von Tesla in Grünheide fehlen 170 Hektar Wald, die im Jahr rund 1000 Tonnen Kohlendioxid binden. Derweil nutzen hunderttausende Hektar Brachflächen im Land weder der Industrie noch der Landwirtschaft oder der Umwelt – sondern verursachen nur Kosten, indem sie zur weiteren Aufheizung der Landschaft beitragen oder das Grundwasser verunreinigen.

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Wer viele Milliarden Euro Fördermittel in die Hand nimmt, wie es jetzt für die Förderung der Elektromobilität oder der Chipherstellung passiert, der sollte damit mehr erreichen als nur die Ansiedlung neuer Arbeitsplätze. Nachdem jahrelang viel darüber geredet wurde, wie der Flächenverbrauch im Land sinken könne und sich einige Bundesländer globale Ziele gesetzt haben, auf wie viel Prozent dieser begrenzt werden solle, verpasst es die Politik jetzt, den Bekenntnissen Taten folgen zu lassen.

Investorengelder ließen sich durchaus auf Brachflächen umleiten. Dafür müssten die Genehmigungshürden fallen, Verantwortlichkeiten für die Entsorgung geteilt werden. Auch die Idee eines Handelssystems mit Flächenzertifikaten analog zum Klimaschutz existiert seit Jahren. Das Umweltbundesamt hat diesen Vorschlag zusammen mit einem guten Dutzend weiterer Ansatzpunkte schon vor Jahren benannt, um die Besiedlung von Brachflächen attraktiver zu machen. Passiert ist nichts.

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