In 12.000 Meter Höhe fliegt der Luftwaffen-Airbus gerade mitten über dem Atlantik in Richtung amerikanische Ostküste, als Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den mitreisenden Journalisten eine Vorschau auf die Themen gibt, die ihn und seine Amtskollegen aus aller Welt zusammen mit den Notenbankchefs in den kommenden zwei Tagen beschäftigen werden. In Washington findet die traditionelle Frühjahrskonferenz von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank statt, dort treffen sich auch die G20- und G7-Staaten in ihrem jeweiligen Format. Es ist das größte finanz- und geldpolitische Meeting der Welt.
Themen gibt es diesmal zu genüge, die Welt scheint aus den Fugen zu geraten und das betrifft vor allem auch die Finanzminister. Lindner fliegt zu seinem ersten großen internationalen Treffen als Bundesfinanzminister. Und das Spektrum an Herausforderungen, das er in 12.000 Metern im vertraulichen Hintergrundgespräch auffächert, ist breit. Natürlich geht es um Russland und wie man mit der ebenfalls anreisenden Delegation aus Moskau umgehen will. Doch ganz oben auf der Agenda steht die Lage der Weltkonjunktur, die unter der Last von hohen Energiepreisen und Lieferkettenproblemen gefährlich ins Stottern gerät.
Wie sehr, das verkündet der IWF zu Beginn des Treffens. Für das weltweite BIP erwarten die IWF-Experten in diesem Jahr nur noch einen Zuwachs von 3,6 Prozent, ein Minus von 0,8 Prozentpunkten gegenüber der Januarprognose. Besonders schwer soll es Deutschland erwischen; hier schrumpft die Prognose für 2022 um 1,7 Prozentpunkte auf 2,1 Prozent. Die erhoffte starke Erholung nach der Coronakrise fällt nur noch schwach aus.
Für Bundesfinanzminister Lindner heißt das: Die Steuereinnahmen werden weniger stark sprudeln als geplant. Und das, obwohl gerade die Ausgaben des Bundes kräftig steigen. Die hohen Energiepreise, der russische Angriffskrieg und hunderttausende Flüchtlinge aus der Ukraine schlagen ins Kontor. Nächste Woche will Lindner deshalb parallel zum normalen Haushalt für 2022 noch einen Ergänzungshaushalt einbringen. Die zusätzlichen Bundesausgaben dürften bei gut 30 Milliarden Euro liegen – das sind fast zehn Prozent eines normalen Bundesetats.
Doch mehr als darüber machen sich Lindner und viele seiner Amtskollegen Sorgen um die hohe Inflation bei gleichzeitig gedämpftem Wirtschaftswachstum. Es droht eine globale Stagflation und damit ein Teufelskreislauf. Bei den rasant steigenden Rohstoff- und Energiepreisen steigen unwillkürlich mit etwas Verspätung auch die Preise für Maschinen und Konsumgüter. In Deutschland erreicht die Inflation rekordverdächtige sieben Prozent, in den USA sogar mehr als acht Prozent. Das führt zu Kaufkraftverlusten und höheren Lohnforderungen. Das heizt dann die Inflation weiter an.
Wie aber lässt sich der Teufelskreislauf durchbrechen? Spannende Gespräche stehen den Finanzministern und noch mehr den Notenbankern in Washington bevor. Insbesondere die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, steht unter Druck. Seit Jahren fährt die EZB einen extremen Niedrigzinskurs und kauft überdies Anleihen auf. Das fördert die Geldentwertung. In den USA hat die Federal Reserve schon die Zinssätze angehoben. In der EU zögert die Notenbank noch aus Angst, vor allem die hochverschuldeten Südländer könnten dann in Schieflage geraten. Solidere Staaten wie Deutschland, Österreich und die Niederlande drängen dagegen auf eine Zinswende der EZB, um die Inflation zu bekämpfen. Vielleicht findet Lindner in Washington ja Verbündete, allen voran die US-Finanzministerin Janet Yellen. Ein Blick über den europäischen Tellerrand kann jedenfalls nicht schaden.
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