Krankenkassenbeiträge steigen Die Milliardenlücke, die kaum jemand beachtet

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigt höhere Beiträge für die Krankenversicherung an Quelle: imago images

In normalen Zeiten wäre dringend eine Debatte notwendig, wo im Gesundheitssystem gespart und die Versorgung verbessert werden kann. Nun steigen die Krankenkassenbeiträge – es könnte der Anfang weiterer Belastungen sein.

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigt höhere Beiträge für die Krankenversicherung an – und kaum jemand beachtet diese Botschaft, obwohl sie es in sich hat. Der Minister hat inmitten von Ukrainekrieg und Coronapandemie ausgesprochen, was Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassen schon länger vorhersagen: Ihre Finanzen sollen durch höhere Sozialbeiträge saniert werden. Nun schlagen ausgeweitete Leistungen unter Vorgänger Jens Spahn (CDU), Coronakosten und wohl auch die schlechter werdende wirtschaftliche Situation durch. Heißt konkret: Die gesetzlichen Krankenkassen, bei denen mehr als 70 Millionen Menschen versichert sind, erwarten ein großes Defizit von rund 17 Milliarden Euro.

Auch andere unangenehme Wahrheiten räumt der Minister gerade fast unbemerkt ein, der sich bisher vor allem mit der Bekämpfung des Coronavirus beschäftigt hat. „Wir müssen an vier Stellschrauben drehen: Effizienzreserven im Gesundheitssystem heben, Reserven bei den Krankenkassen nutzen, zusätzliche Bundeszuschüsse gewähren und die Beiträge anheben“, sagte Lauterbach im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Die höheren Beiträge werden Beschäftigte und Unternehmen treffen. Sie werden anteilig von den Löhnen und Gehältern abgezogen, hälftig bezahlt von Arbeitgebern wie Angestellten. Zurzeit beträgt der durchschnittliche Beitragssatz der Kassen 15,9 Prozent vom Lohn. Als Faustformel gilt, dass ein Beitragspunkt mehr etwa 15,3 Milliarden Euro mehr fürs Gesundheitssystem bringen würde. Das ist viel für die Zahlenden, aber immer noch weniger als das erwartete Defizit.



Prompt kommen Warnungen von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zur angekündigten Anhebung der Beiträge. „Die Folgen des Krieges gegen die Ukraine werden zu gewaltigen Belastungen für Unternehmen und Bürger führen“, mahnt der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). In einer solchen Lage noch höhere Sozialbeiträge anzukündigen, sei unangemessen. Damit werde sofort wieder aufgebraucht, was die Ampelkoalition eben erst zur Entlastung der Bürger beschlossen hatte. „Der Gesundheitsminister sollte jetzt vor allem dafür sorgen, die von ihm selbst schon oft benannten Effizienzreserven im Gesundheitswesen zu erschließen, statt mehr Geld in ineffiziente Strukturen zu schütten“, fordert Dulger.

Die sind im deutschen Gesundheitssystem durchaus vorhanden und werden seit Jahren beklagt. Doch weder Spahn noch dessen Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) haben daran etwas geändert. Stattdessen weiteten sie Leistungen aus und wiesen die Krankenkassen an, ihre Reserven aufzulösen. So hat Deutschland zum Beispiel wesentlich mehr Krankenhausbetten als Nachbarländer, ohne dass medizinisch bessere Ergebnisse erzielt würden oder die Menschen gesünder wären.

Während in manchen Regionen mangelnde medizinische Versorgung beklagt wird, herrscht vor allem in Ballungszentren ein Überangebot an Kliniken. Etwa jeder dritte Euro der Kassenausgaben geht in die Krankenhäuser. Für die allgemeine Infrastruktur der Häuser zahlen die Bundesländer. Diese unübersichtlichen Zuständigkeiten und Interessen machen Reformen mühsam. Auch bei der Digitalisierung, die einiges effizienter machen könnte, ist das deutsche Gesundheitssystem weit hinterher.

Nun sind das Lauterbachs Probleme. Doch der will sich noch nicht festlegen, wie sehr die Kosten steigen. Um welchen Prozentsatz die Beiträge steigen sollen, ließ Lauterbach offen: „Es wäre unprofessionell, würde ich Ihnen hier aus den laufenden Gesprächen berichten“, sagt er nur. 

Absehbar ist jedoch, dass auch in der Pflege die Beiträge wohl steigen werden. Nicht nur die steigende Zahl Hilfebedürftiger im hohen Alter spielt hier eine Rolle. Zudem wurden in den letzten Jahren angesichts stark steigender Eigenanteile die Leistungen der Sozialversicherung ausgeweitet. Auch die Löhne von Beschäftigten in der Pflege sollen steigen, um den anspruchsvollen Beruf, in dem es viele unbesetzte Stellen gibt, attraktiver zu machen.

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Beide absehbaren Erhöhungen belasten Versicherte wie Arbeitgeberinnen. Spätestens zum Jahreswechsel dürfte dann die von den vorigen Regierungen gesetzte Obergrenze von 40 Prozent der Nebenkosten an den Löhnen deutlich gerissen werden, die für Beiträge zur Rente, Arbeitslosigkeit, Gesundheit und Pflege gesetzt wurde. 

Damit sollten die Arbeitskosten in Deutschland zum Beispiel konkurrenzfähig gegenüber anderen Ländern bleiben. Nun steht hierzulande vieles zur Disposition. Akute Krisen wie der Krieg in der Ukraine und Corona überdecken nur noch mühsam, dass einiges in Deutschland in die falsche Richtung läuft - und bei steigender Arbeitslosigkeit deutlich schwieriger zu lösen sein wird.

Mehr zum Thema: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kann Corona erklären, aber zum Krisenmanagement gehören noch andere Dinge. Statt Expertise im Haus zu nutzen, vertraut er nur wenigen Beratern.

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