Soziale Marktwirtschaft Die vierte Wirtschaftswende muss zuallererst eine Wachstumswende sein

Quelle: imago images

Wie können wir auf den Wachstumspfad zurückkehren? Ein Plädoyer für eine pragmatische Agenda 2030 – mit weniger Steuern und Abgaben, weniger Bürokratie und einem Pakt für Leistung. Ein Gastbeitrag.

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Robert Habeck will eine sozial-ökologische Marktwirtschaft errichten. Sahra Wagenknecht möchte „Ludwig Erhard zu Ende denken“. Wenn sich Politiker jeder Couleur auf Erhards Idee berufen, lohnt ein genauer Blick. Hat sich die Soziale Marktwirtschaft etwa zu Tode gesiegt? Leider nicht. Ein Blick auf ihre Geschichte zeigt: Das Pendel schlägt vor und zurück. Drei große Wirtschaftswenden hat unsere Republik bisher erlebt. Jetzt sind wir erneut an einem Wendepunkt. Entweder gelingen mutige Reformen oder jahrelanger Abschwung droht.

Eins: Wohlstand für alle.

Ihre Geburt erlebt die Soziale Marktwirtschaft mit der ersten Wirtschaftswende. Untrennbar mit der Währungsreform von 1948 verknüpft, legt die Soziale Marktwirtschaft den Rahmen für das Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er-Jahre. Nach Kriegswirtschaft und nationalsozialistischer Diktatur werden erstmals soziale und marktwirtschaftliche Prinzipien gemeinsam etabliert und sorgen für bisher ungekannten Wohlstand für alle. Damals wird klar: Die Soziale Marktwirtschaft ist mehr als eine Wirtschaftsordnung, sie drückt die Werte unseres Gemeinwesens aus. Freiheit auf der einen Seite, Verantwortung auf der anderen.

Zwei: Das Scheitern von „mehr Staat“.

Die zweite Wende zeichnet sich ab, als die hohen Wachstumsraten vorerst an ihr Ende kommen. Stagnation und Inflation, Energiekrise und Währungsturbulenzen setzen Anfang der 1970er-Jahre der deutschen Wirtschaft zu. Der Club of Rome sieht „die Grenzen des Wachstums“ erreicht. Vom britischen Ökonomen John Maynard Keynes beeinflusst, glaubt die Politik, durch mehr Staat eine Lösung zu finden. Mit der sogenannten „Globalsteuerung“ will der damalige SPD-„Superminister“ Karl Schiller den konjunkturellen Verlauf beeinflussen. Eine Wirtschaftspolitik ohne Wirtschaftskompetenz: ein krachendes Scheitern. Lohn- und Lohnnebenkosten steigen stärker als die Arbeitsproduktivität, Defizite der öffentlichen Haushalte wachsen und mit ihnen die Zinslast. Der Arbeitsmarkt wird reguliert und die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen eingeschränkt. Der Versuch endet 1982 mit dem Lambsdorff-Papier und dem Bruch der sozialliberalen Koalition.

Zur Person

Helmut Kohl kündigt „eine neue Wirtschaftspolitik“ an und will den Staat wieder „auf den Kern seiner Aufgaben“ zurückführen. Es folgt eine Politik mit mehr Freiraum für Unternehmen und solider Haushaltsführung, gesenkter Staatsquote und moderater Liberalisierung, mehr Markt und weniger Staat. Die Wirtschaft wächst wieder, die schwarz-gelbe Regierung schafft später im Sommer 1990 mit der Wirtschafts- und Währungsunion etwas historisch beispielloses und überführt eine sozialistische Planwirtschaft in eine marktwirtschaftliche Ordnung. Wirtschaftspolitisch gleicht das der Aufgabe, den Grand Canyon aufzuschütten. Auch in der Folge dieses Mammutprojekts steigen staatliche Ausgaben und die staatliche Steuerung nimmt – wieder – zu.

Drei: Die Agenda 2010.

Anfang der 2000er Jahre ist die wirtschaftliche Lage schlecht, fünf Millionen Menschen sind arbeitslos und die Staatskasse ist leer. Der „Economist“ erklärt Deutschland zum „kranken Mann Europas“. Die dritte Wirtschaftswende leitet eine rot-grüne Bundesregierung ein, indem sie mit der Agenda 2010 auf einen Kurs der Liberalisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes einschwenkt. Das gibt den Startschuss für einen langen Aufschwung. Die Arbeitslosigkeit halbiert sich und allein zwischen 2010 und 2020 wächst die Wirtschaft durchschnittlich um 1,1 Prozent pro Jahr trotz Banken-, Euro- und Migrationskrise. Doch unter der letzten großen Koalition, verstärkt durch die Corona-Pandemie, greift der Staat erneut weiter aus, Ausgaben und Steuerung nehmen zu; die Bürokratie für Bürger und Betriebe wächst.

Mit Amtsantritt der Ampel und der Energiekrise schlägt das Pendel endgültig zurück: Der starke Staat soll alles regeln. Mit der Idee seiner „transformativen Angebotspolitik“ versucht Robert Habeck, die Wirtschaft umfassend zu steuern. Der Angebots-Teil entpuppt sich als Etikettenschwindel, es geht vor allem darum, zu „transformieren“, also Kapital und Arbeitskräfte künstlich in politisch für gut befundene Bereiche zu lenken. Standortpolitik wird jetzt mit dem Maß der Subventionen gemessen. Inflation und Stagnation sind zurückgekehrt, private Investitionen nehmen rapide ab. Deutschland ist 2024 das einzige Industrieland, das schrumpft.

Vier: Und nun?

Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts. Nur Wachstum kann die Voraussetzung bieten, um im demokratisch verfassten Staat eine breite Daseinsvorsorge bei Gesundheit, Pflege, Rente, Bildung und Infrastruktur zu finanzieren. Die vierte Wirtschaftswende muss deshalb zuallererst eine Wachstumswende sein. Eine pragmatische Agenda 2030 mit weniger Steuern und Abgaben, einer neuen Grundsicherung, weniger Bürokratie, technologieoffener Energiepolitik und einem Pakt für Leistung – damit können wir auf den Wachstumspfad zurückkehren. Mehr kann nämlich oft mehr sein.

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Wachstum ist ebenso nötig, um den enormen Finanzbedarf zum Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität stemmen zu können. Die Soziale Marktwirtschaft weiß um die Anpassungsnotwendigkeit einer ressourcen- und umweltschonenden Wirtschaftsweise. Der Urheber des Begriffs Soziale Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, mahnt bereits in den 1960er-Jahren, die Soziale Marktwirtschaft entsprechend anzupassen. Und betont dabei, optimistisch mit dem Thema umzugehen und nicht dem „Weltuntergang“ das Wort zu reden. Dazu braucht es die Überzeugung, dass Fortschritt etwas Gutes und technische Innovation die Grundlage für ein besseres Leben ist, das mehr Wohlstand schafft. Eine Erkenntnis, die in den vergangenen Jahrhunderten stets dominiert hat. Und nun tatsächlich von links und grün in Frage gestellt wird.

Nicht überall, wo Soziale Marktwirtschaft draufsteht, ist sie auch drin. Weder eine sozialistische Marktwirtschaft im Stile Sahra Wagenknechts noch eine gelenkte grüne Marktwirtschaft werden die Kraft entfalten können, die in Ludwig Erhards Idee steckt. Beispiel Klimaschutz: Die Soziale Marktwirtschaft war beim Kampf gegen den Klimawandel erfolgreich. Die Treibhausgas-Emissionen konnten seit 1990 um 40 Prozent gesenkt werden. Gleichzeitig verzeichnete Deutschland ein durchschnittliches Wachstum von einem Prozent zwischen 2000 und 2020. Dagegen stellt sich die vermeintliche Segenswirkung eines grünen Wirtschaftswunders durch staatliche Steuerung bislang nicht ein, ganz im Gegenteil.

So wie der Gegensatz zwischen Liberalismus und Sozialismus durch die Soziale Marktwirtschaft befriedet wurde, kann nur sie auch zwischen Ökologie und Wachstum eine Brücke schlagen. Dafür muss einer ihrer Kerngedanken, nämlich dass der Staat nicht der klügere Unternehmer oder Investor ist, aber wieder beherzigt werden. Es ist die Anmaßung politischer Ideologien, in planwirtschaftlicher Manier die Technologien und Unternehmensentscheidungen der Zukunft zu kennen. Technologieoffenheit und der Fokus auf gute Rahmenbedingungen müssen wieder Leitlinien statt Nice-to-have sein.

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Wie in allen drei vorangegangenen Wirtschaftswenden geht es nicht darum, das Pendel ins andere Extrem ausschlagen zu lassen, sondern wieder in die Mitte zu bewegen. Das Gleichgewicht zwischen freiheitlicher und regelbasierter Wirtschaft sowie angemessenem sozialen Ausgleich muss wieder hergestellt werden. Zentral ist dafür das Vertrauen in Unternehmer und Arbeitnehmer, die gesellschaftlichen Herausforderungen und Ansprüche – vom Schutz für das Klima bis hin zum sozialen Ausgleich – in ihrem marktwirtschaftlichen Rahmen im klassischsten Sinne des Wortes „regeln“ zu können. Nur mit einer solchen vierten Wende hin zu echter Sozialer Marktwirtschaft wird sie ihren historischen Siegeszug fortsetzen können.

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