Standortdebatte Deutschlands Wirtschaft leidet – und seine Bürger verzweifeln!

Stempelträger: In Amtsstuben noch immer das höchste Gut. Quelle: imago images

Teure Bürokratie gehört aufs Abstellgleis. Dafür müssen endlich Reformen  und Entlastungen auf die Überholspur. Ein Gastbeitrag.

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Deutschlands Wirtschaft leidet, und seine Bürger verzweifeln! Für viele bekannte Herausforderungen wie die hohe Inflationsrate, die im internationalen Vergleich erdrückende Steuer- und Abgabenlast sowie den Mangel an Fach- und Arbeitskräften hat die Ampel-Koalition bereits Verbesserungen und Entlastungen auf den Weg gebracht. Die Einhaltung der Schuldenbremse, das Inflationsausgleichs-, das Zukunftsfinanzierungsgesetz und das Wachstumschancengesetz tragen dabei ebenso wie die Änderungen bei der Fachkräfteeinwanderung eindeutig die Handschrift der FDP

Dennoch liegt immer noch vieles im Argen, Potenziale bleiben sträflich ungenutzt. So müssen wir die immer noch zu große Abhängigkeit unserer Volkswirtschaft von Staaten aus Asien oder dem Mittleren Osten besser in den Griff bekommen. Wohin diese Abhängigkeiten führen können, haben uns die exorbitant hohen Energiekosten im vergangenen Jahr ebenso deutlich gemacht wie die zum Teil lebensbedrohenden Engpässe bei Medikamenten und Grundprodukten für die produzierende Industrie. 

Alle Hebel in Bewegung!

Entgegen den Forderungen politischer Mitbewerber setze ich meine Hoffnungen bei dieser Mammutaufgabe nicht auf planwirtschaftliche Ansätze, höhere Abgaben und eine steigende staatliche Verschuldung, sondern auf die Vergrößerung der notwendigen Handlungsspielräume für Industrie und Wirtschaft – und nicht zuletzt auf eine Energiepolitik, die von  Fracking  über Kernkraft bis hin zur heimischen Gasförderung alle Möglichkeiten für sinkende Energiepreise ausschöpft. Ohne Engpässe und Höchstpreise wäre beispielsweise ein Industriestrompreis unnötig. Die dafür aufgewandten Milliardenbeträge könnten dann ohne Umwege in die weitere Dekarbonisierung von Verkehr, Infrastruktur und Energiegewinnung investiert werden.

Über den Gastautor

Unabhängig vom dicken Brett der bezahlbaren Energieversorgung liegt der erfolgversprechendste und kostengünstigste Ansatzpunkt zur Stabilisierung und Verbesserung des deutschen Wirtschaftsstandortes aus meiner Sicht in der umfangreichen Streichung bürokratischer Auflagen und der Rückführung einzuhaltender Standards auf ein vertretbares Mindestmaß. Anstelle des oft betriebenen deutschen Gold-Platings europäischer Vorgaben und Richtlinien wie aktuell bei den Plänen zur E-Rechnung müssen wir endlich praktisch denken. Niemandem ist geholfen, wenn Unternehmen vor Bürokratiekosten Reißaus nehmen und anderswo neue Standorte aufbauen. 

44 Milliarden mehr – allein bei Robert Habeck

Gerade angesichts vieler Gesetzgebungsprozesse der vergangenen Jahre fällt es mir leider zunehmend schwer, den Willen aller politischer Akteure zu erkennen, unserer wankenden Volkswirtschaft mit kostendämpfenden Gesetzen, geringem Erfüllungsaufwand und umfangreichen Bürokratieabbaumaßnahmen die längst überfällige Hilfestellung zu gewähren. So hat allein das Bundeswirtschaftsministerium seit Dezember 2021 einen zusätzlichen Erfüllungsaufwand von über 44 (!) Milliarden Euro für Wirtschaft und Bürgerinnen zu verantworten. Jährlich kommen laut Angaben des Normenkontrollrates allein durch die BMWK-Gesetze knapp 11 Milliarden und das auf Rang zwei liegende Bundesarbeitsministerium rund 5,3 Milliarden an Mehrbelastungen hinzu. 

Es dürfte dem gesunden Menschenverstand folgend unstrittig sein, dass diese Mehrausgaben an anderen Stellen fehlen. Allein die Verwaltungskosten für BMWK-Gesetze betragen seit 2021 übrigens rund 2,3 Milliarden Euro – also ungefähr der Betrag, den die grüne Parteifreundin von Robert Habeck über Wochen für ihr Prestigeobjekt der Kindergrundsicherung ermauert hat. Die Kenntnis dieser Zahlen lässt mich persönlich ungläubig mit dem Kopf schütteln. 

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Verwaltungs- und Bürokratiekosten gehen dabei selbstverständlich nicht nur auf einzelne Ministerien oder gar Einzelpersonen zurück, sondern stammt aus vielen Quellen  Gerade die EU mit CDU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat hier in den vergangenen Monaten und Jahren  etwa durch umfangreichste Berichtspflichten massive Mehrbelastungen verursacht. Aber auch wir im deutschen Parlament müssen uns an die eigene Nase fassen. Schon seit vielen Jahren kommt es objektiv belegbar zu einer Zunahme von Bürokratie, anstatt zu einer vielfach versprochenen Abnahme der Belastungen. 

Ursächlich dafür ist natürlich auch ein Staat, der in der Vergangenheit seine digitalen Hausaufgaben nicht erledigt hat. Schon deshalb verlangt er nun 36 Millionen (!) Erklärungen zur Grundsteuerreform von seinen Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen. Dabei werden Daten abgefragt, die in den deutschen Amtsstuben bereits vorliegen. Ich verstehe jeden, der dabei den Glauben an unsere Verwaltung verliert. 

Berlin und Brüssel versprechen Bürokratieabbau, tatsächlich passiert das Gegenteil. Jüngstes Beispiel: Die Berichtspflicht zur Work-Life-Balance. Wie viel Zeit bleibt uns noch für produktive Arbeit? Ein Kommentar.
von Hauke Reimer

Papierkladde und Stempelkissen

Nachvollziehbarerweise stößt auch die Verwaltung mehr und mehr an die Grenzen des Machbaren. Sowohl angesichts der Fülle an Prüfaufgaben als auch hinsichtlich der Qualifizierung geeigneter Fachkräfte zur Digitalisierung, zur Umsetzung in nationale Gesetzgebung und zum Abbau von Bürokratie. Insofern müssen aus meiner Sicht nicht nur die gesetzlichen Vorgaben auf unnötige bürokratische Fallstricke geprüft werden, sondern auch die Leistungsfähigkeit der Verwaltung bei den Megathemen Bürokratieabbau und Digitalisierung sollte regelmäßig bestätigt werden.

Die schönsten politischen Konzepte für eine Verwaltung des 21. Jahrhunderts mit umfangreichsten digitalen Bürgerangeboten kann nicht gelingen, wenn in den zuständigen Amtsstuben noch Papierkladde und Stempelkissen das höchste Gut darstellen, während die Tabletbedienung an der bislang ausgebliebenen Schulung scheitert. Gerade auf den zuständigen Leitungsebenen der verantwortlichen Behörden sollten daher Personen eingesetzt werden, für die die Umstellung auf eine digitale Verwaltung und der Abbau von Bürokratie Teil ihrer beruflichen DNA ist.

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Bei der Kabinettsklausur in Meseberg wurden nun die Eckpunkte für das nächste Bürokratieentlastungsgesetz vorgelegt. Weitere werden zwingend folgen müssen. Mindestens so wichtig ist aber, dass nicht gleichzeitig immer neue Bürokratie dazukommt. Das alles ist eine Dauerbaustelle der Politik, die dringend mit mehr Verve angegangen werden muss. Zur Vermeidung von zu verwaltungsaufwendigen Regeln sollte dabei vorrangig auf Pauschalen und weit verbreitete Standards zurückgegriffen werden. Der Wunsch nach individuellen Berechnungen wie zuletzt zum Beispiel bei der Versteuerung der Energiepreispauschale oder der Dezember-Soforthilfe erhöht zwangsläufig die Komplexität der Verwaltungsaufgaben. Höhere Kosten und längere Bearbeitungszeiten sind die direkte Folge. Ich finde, es ist Aufgabe des Staates, mit geringstmöglichen Eingriffen sein System verfassungskonform und so effizient wie möglich am Laufen zu halten.

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Bürokratieabbau kostet kein Geld. Im Gegenteil: Mehr Freiraum und eine ebenfalls gebotene Priorisierung politischer Aufgaben nach dem Notwendigen anstatt dem Gewünschten führen dazu, dass die Wertschöpfungskette nicht immer am Verwaltungsschreibtisch unterbrochen wird. Wird Deutschland dazu die Kraft aufbringen? Meine bisherigen Erfahrungen in der Bundespolitik belassen mir eine Grundskepsis. Allerdings wird mich das nicht davon abhalten, weiter für die Vernunft zu kämpfen und Bürokratieabbau zu fordern, wo es angebracht ist.

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