Tauchsieder

Die neue Weltunordnung

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Die Zeitenwende, auf die sich deutsche Unternehmen einstellen müssen


Das Problem ist: Die neue politische Realität lässt sich nicht mehr aus den Vorgärten der Deutschen heraushalten. Die Wirtschaftswelt politisiert sich, die Deutschen müssen wieder Außen- und Verteidigungspolitik lernen – und sich dabei deutlich souveräner als bisher „die Hände schmutzig“ machen, so Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die Zeitenwende besteht letztlich darin, dass Deutschland seinen Wohlstand nicht mehr unter dem militärischen Schutzschirm der USA erwirtschaften und genießen kann – sondern künftig einen viel größeren Beitrag zu seiner eigenen Sicherheit leisten muss als bisher. Und die deutschen Wirtschaftsbosse ahnen auch schon, was ihnen bevorsteht.

Wenn etwa BASF-Chef Martin Brudermüller davon spricht, „dass die russischen Gaslieferungen bisher die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie sind“, dann sagt er eben auch, dass die Unternehmensgewinne des Ludwigshafener Chemieriesen bisher sicherheitspolitisch gehebelt waren: Deutsche Unternehmen haben dank Washingtons Protektion sieben Jahrzehnte lang satte Friedensdividenden in Europa eingestrichen – und dabei im engem Schulterschluss mit Moskau nicht nur auf Kosten des Klimas besonders gut profitiert, sondern etwa auch auf Kosten der Sicherheit osteuropäischer Länder.

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Damit ist es vorbei. Deutschland ist am 24. Februar, dem Tag des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine, endgültig in einer neuen außenwirtschaftspolitischen Welt aufgewacht. Es ist eine Welt der Verteidigungsbereitschaft und Konfrontation, des forcierten Wettbewerbs und der Systemkonkurrenz, des beherzten Zugriffs auf knappe Rohstoffe und des Rennens um Technologieführerschaft, der Schaukelpolitik und Bündnissysteme und möglichen Blockbildung – aber auch der Weltgemeinschaftsaufgaben (Klima, Artenschutz, Freihandel), die wir als Menschheit nur zusammen oder aber gar nicht lösen werden.

Und es ist interessant zu beobachten, dass Habeck und Annalena Baerbock es bisher am besten verstehen, die Deutschen auf die Reise in die politisch aufgeladene, moralisch uneindeutige Wirtschaftswelt der Zukunft vorzubereiten. Der Grund ist denkbar einfach: Die beiden Grünen verstehen Freiheit nicht primär als „wirtschaftliche Freiheit“, sondern elementar: als Freiheit, nicht in der Macht eines anderen zu stehen. An einem solchen Freiheitsverständnis zerschellt in diesen Wochen alle „Realpolitik“ der „übergeordneten Interessen“ und politischen Schulterklopffreundschaften, von Gerhard Schröders Gas- und Ölkumpaneien mit dem Kreml bis hin zu Manuela Schwesigs und Scholz' „rein privatwirtschaftlichen Projekten“ (Nord Stream 2). Viele in der SPD und manche in Union und FDP sind bis zuletzt gern onkelhaft aufgetreten, um geschäftige Weltmännlichkeit zu annoncieren gegenüber allem, was sie für „naiv“ hielten und „gesinnungsethisch“ ziehen. Jetzt schlägt der Naivitätsvorwurf auf sie und ihre hohlen „Wandel-durch-Handel“-Formeln zurück; jetzt stehen Habeck und Baerbock plötzlich gut da – weil ihnen ein gesundes Feindempfinden hilft, sich in einer moralisch uneindeutigen Welt aus eher besseren denn schlechteren Gründen „die Hände schmutzig zu machen“.

Und die Wirtschaft? Sie hat traditionell Angst vor einer „wertegeleiteten Außenpolitik“: Kapital geht bekanntlich gern dahin, wo es die günstigsten Bedingungen zu seiner Vermehrung findet – also auch nach China oder Russland, ganz egal. Viele Manager haben sich drei Jahrzehnte lang Francis Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“ vorgebetet – und mit Thomas Friedman nur zu gern an die Utopie einer „flachen Welt“ geglaubt, die sich nicht zuletzt dank ihrer Hilfe realisiert: eine Welt der friktionslosen Handelsbeziehungen, die die Menschen einander näher bringt und pazifiziert – welcher Diktator, so prostete man sich bei jedem Geschäftsabschluss zu, werde sich am Ende nicht überzeugen lassen von den technologischen Errungenschaften der westlichen Moderne, den Vorzügen des zivilisatorischen Fortschritts – den Annehmlichkeiten einer deutschen Luxuslimousine?

Die Deutschen haben von dieser flachen Welt ausweislich ihrer Handelsbilanzüberschüsse bis zuletzt besonders profitiert, ihre Autos und Maschinen, Schrauben und Laubbläser in alle Winkel der Erde verkauft – und sich im Windschatten politischer Konflikte nahezu unbehelligt freuen können über Weltmarktführerschaften und Exportrekorde. Putin schrumpft diesen entgrenzten, globalisierten Welt-Raum nun wieder in regionale Einflusszonen, parzelliert ihn in Eingriffsgebiete und Sphären nationaler Interessen, markiert ihn als geschichtlichen Boden und territorialen Anspruch – das ist die Zeitenwende, auf die sich deutsche Unternehmen jetzt einstellen müssen. Die gut drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer waren die Scheinblüte einer liberalen Weltordnung: Die Wirtschaft hat geglaubt, sie in diesem Sinne verändern zu können. Es kommt aber darauf an, ihre Unordnung richtig zu interpretieren. Und sie muss begreifen: Putin droht auch ihr mit Vernichtung, nimmt auch Wolfsburg, Leverkusen und Ludwigshafen mit seinen Atomwaffen ins Visier.   


Und - wie geht es dann weiter? Ist für Unternehmen bald auch in China Schluss? Nein, denn China bedroht keine deutschen Unternehmen in Deutschland, keine europäischen Nationen in Europa — das ist das eine, was wir uns klar machen müssen. Das andere: Der Welt-Raum weitet sich in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr zum neoliberalen „dominium“ einer grenzenlos agierenden Wirtschaft, sondern wird künftig (wieder) von Groß- und Mittelmächten  nationalpolitisch als „imperium“ bewirtschaftet. Das zeigt nicht nur die nach Afrika und in den Mittleren Osten ausgreifende „Seidenstraße“ und die„unverbrüchliche Freundschaft“ zwischen China und Russland, sondern etwa auch die US-geführte „Allianz der Demokratien“. Das alles muss nicht auf eine ideologische oder geografische Blockbildung hinauslaufen (Autokratien versus Demokratien, Asien-Afrika-Block versus Transatlantik), dagegen sprechen schon die starken Sonderinteressen von Ländern wie Indien, Indonesien, Japan, Südkorea, Brasilien, Südafrika. Im Gegenteil. Viel spricht dafür, dass (diesmal tatsächlich) eine multipolare Welt konkurrierender, sich vielfach kreuzender, nationaler, regionaler und weltanschaulich motivierter Interessen entsteht. Und es wäre wünschenswert, wenn auch die USA dabei ihre unilaterale Übergriffigkeit auf ein Minimum reduzierte und sich nurmehr in entscheidenden Momenten entschieden einmischte – so wie augenblicklich in der Ukraine.   

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Und Deutschland? Muss seine Rolle in dieser neuen Welt vor allem in Europa finden. In einem Europa, dem Putin den Krieg erklärt hat. In einem Europa ohne Russland, das einmal unsere „Tankstelle“ (Öl, Gas) mit angeschlossenem „Bistrobereich“ (Getreide, Rohstoffe) war, so der Politikwissenschaftler Philip Manow – Putin selbst hat es so gewollt, und sein Land der absehbaren ökonomischen Bedeutungslosigkeit ausgeliefert. Es gibt also für die Politik keinen Grund, auf das Befinden Russlands Rücksicht zu nehmen - und für Unternehmen keine Rechtfertigung zu bleiben in Russland. Und schon gar nicht gibt es einen Weg dorthin zurück auf der Grundlage eines Waffenstillstands, der abermals gewaltsame verschobene Grenzen in Europa sanktionieren würde.

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