Tauchsieder
Lützerath, Klimakleber, CDU-Wahlkampfplakat in Berlin Quelle: imago images

Klimakrise war gestern

SPD und FDP unterwerfen sich dem angeblichen Volkswillen und setzen den Vorrang des Klimaschutzes außer Kraft. Sie stufen das Nullemissionsziel 2045 zurück zu einem Partikularinteresse und schreddern die Grünen. Eine Kolumne.

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Nach der für Rom verheerenden Schlacht am Trasimenischen See und erst recht der bei Cannae war die Sache für Fabius Maximus klar: Man kann sich diesem Hannibal nicht stellen, ihm nicht die Stirn bieten mit offenem Visier, man muss ihm ausweichen, ihn aufreiben, in kleine Kämpfe verwickeln – ihn defensiv besiegen. Hannibals Übermacht sorgte unter den Römern damals „für ungeheuren Schrecken“, für „Verwirrung und Volksaufläufe“, berichtet Titus Livius, aber Fabius, die damals bestimmende Figur der römischen Republik, habe verstanden, die Menschen immer wieder zu beruhigen, sie in Geduld zu üben, sie davon abzuhalten, in ihr Verderben zu rennen – und Hannibal nach langen Jahren des Zermürbens besiegt.

Der Schriftsteller Ennius flocht dem Konsul und Pontifex daraufhin einen Lorbeerkranz, erhob Fabius und seine Hinhaltetaktik zur Legende, ließ ihn als unus homo nobis cunctando restituit rem in die Annalen eingehen – als heldenhaften „Mann, der durch sein Zögern den Staat wiederherstellte“.

Heute, rund 2200 Jahre später, liest sich die Eloge des Ennius wie eine Karikatur des Bildes, das OIaf Scholz gern von sich selbst in die Welt trägt: Der Bundeskanzler will den Deutschen als überragender Defensivkünstler erscheinen, der das Land kraft Umsicht und Klugheit vor Zerstörung, Zweifel und Zersetzung bewahrt – vor Atomtod und Hungerwinter, Gasmangellage und Gelbwestenwut.

von Dieter Schnaas

Im homo cunctans Olaf Scholz, so sehen es seine Getreuen im Kanzleramt, gipfeln und erschöpfen sich alle Energien des Landes. Er führt die Republik von hinten, um sie im Zögern zu sammeln, zu stärken und zu einen. Er staut die politischen Chromatiken der Ampel und die Dissonanzen gesellschaftlicher Debatten auf wie eine fleischgewordene Fermate und beruhigt das Geschehen paradoxerweise im Moment ihrer dramatischen Zuspitzung und höchsten Spannungsdichte, in der Schwebe von Kabinettsklausuren, Koalitionsausschüssen und erwarteten Machtworten – indem er Probleme zugleich verschleppend auflöst und auflösend verschleppt. So ist Scholz mit Waffenlieferungen, Wummsmilliarden und dem Atomausstieg verfahren: ungelöst gelöste Aufgaben. Und so verfährt er auch diesmal. Nur dass er diesmal der Klimakrise ausweicht – die man nicht defensiv besiegen kann.

„… NICHT mit Verboten, Einschränkungen und höheren Preisen“

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat das mühsam ausgehandelte „Modernisierungspaket“ der Bundesregierung umgehend gelobt, weil es „ambitionierten Klimaschutz mit marktwirtschaftlicher Orientierung“ verbinde, auch ifo-Präsident Clemens Fuest freut sich über ein Plus an „Technologieoffenheit“ und erwartet „reduzierte Kosten“ für den Klimaschutz. Doch in Wahrheit gehen die beiden Ökonomen dem sozialliberalen Beschluss auf den Leim, weil sie ihr richtiges Kernanliegen – die Verbreitung und Heraufsetzung eines lenkungswirksamen CO2-Preises durch die verbindliche Festlegung von Emissions-Höchstmengen (cap) und den Handel mit Verschmutzungsrechten (trade) – nicht zur Vorbedingung ihrer Zustimmung erklären, sondern ihrem Applaus bloß als Mahnung hinterher schieben.

Dabei brauchte der Verkehrsminister nicht mal 48 Stunden, um zu verdeutlichen, dass er die Abschaffung bindender Sektorziele (Industrie, Wohnen, Verkehr etc.) vor allem als Freifahrtschein versteht, die gesetzlich bindenden Klimaziele in seinem Sektor mit Vollgas zu verfehlen: „Die CO2-Emissionen müssen runter, auch im Verkehrsbereich“, sagte Volker Wissing (FDP), aber, aber, und darauf meinte sein Ministerium in Versalien hinweisen zu müssen: „Das schaffen wir… NICHT mit Verboten, Einschränkungen und höheren Preisen.“

Blieben also nur milliardenschwere Entlastungspakete für die Bürger, wenn man an steigenden CO2-Preisen festhielte (also neue Tankrabatte, höhere Pendlerpauschalen, erweiterte Dienstwagenprivilegien). Oder aber man scherte aus der EU aus, zweigte vom „europäischen Weg“ hin zur Klimaneutralität ab und eiferte dem nationalen Steuersenkungskeynsianismus in den USA nach (Inflation Reduction Act) – und rollte Unternehmen mit grünen Geschäftsmodellen den roten Subventionsteppich aus, in der mehr als vagen Hoffnung, dass dann CO2-freie Mobilitätstechnologien schnell skalieren und sich so rasant verbilligen, dass Verbrenner bis 2045 praktisch wie von selbst aus dem Markt ausscheiden. Keine Optionen, die Grimm und Fuest vorschweben dürften, die praktischen Erfolg versprächen, die europapolitisch wünschenswert wären.

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Die „Flexibilisierung“ der Sektorziele dürfe nicht bedeuten, dass man sie aufweiche, barmt Veronika Grimm. Ein frommer Wunsch, den Christian Lindner am Donnerstag sogleich mit dem Hinweis ausgekontert hat, dass nicht etwa Volker Wissing die Klimaziele verfehle, „sondern die Bürgerinnen und Bürger…, weil die Menschen eben mobil sein wollen“. Der FDP-Chef hätte auch sagen können: „Ich bin in die Politik gegangen, um möglichst nicht und niemanden zu regieren. Die Deutschen sind nun mal Klimasünder – und das ist auch gut so. Denn das war’s mit der grünen Verkehrswende.“ Wirtschaftsminister Robert Habeck unternimmt angesichts der unverblümten Machtgesten der Liberalen erst gar nicht mehr den Versuch, seine Niederlage zu verhehlen: „Ich gebe kein Geheimnis preis, wenn ich sage, dass Deutschland seine Klimaziele im Verkehrsbereich (so nicht) einhalten kann.“

Es ist eine Farce

Dass die Sozialliberalen mit ihren Beschlüssen das geltende Klimaschutzgesetz brechen und das „Klima-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts in den Wind schlagen, scheint sie dabei nicht einmal mehr zu interessieren. Karlsruhe hat die Bundesregierung im März/April 2021 zum Zwecke des Freiheitsschutzes künftiger Generationen aufgefordert, „Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert (festzulegen), dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht“. SPD und FDP glauben im März/April 2023, sie könnten dem Urteil mit einer „mehrjährigen Gesamtrechnung“ genügen. Es ist eine Farce.

Oder besser: ein politisches Narrenspiel. Denn worum es den Sozialliberalen wirklich geht in ihrem Feldzug gegen die Grünen, mit der Abschaffung der Sektorziele und der Promotion von realitätsfernen Übermorgen-Technologien, ist die Schleifung der Klimaziele – und umgekehrt: Worum es mit ihnen mit dem Schleifen der Klimaziele geht, ist das geteilte Interesse, die Grünen zu schrumpfen als Wettbewerber ums Kanzleramt (SPD) und natürlichen Konkurrenten (FDP). Es geht den Sozialliberalen darum, sich hinter dem angeblichen Volkswillen zu verstecken, den Vorrang des Klimaschutzes außer Kraft zu setzen und das Nullemissionsziel 2045 von einer gesetzlichen Prärogative zurückzustufen auf den Status eines Partikularinteresses.



Klimaschutz soll wieder ein Thema unter vielen sein, ein Hype und eine Blase, das Anliegen einer Lobby – eine politische Ware, ein verhandelbares Gut. Die Grünen sollen als Klientelpartei markiert werden, die dieses Sonderinteresse mit Eifer und Furor durchsetzen will, auch gegen den Willen einer Mehrheit der Deutschen – die sozialliberale Koalition hingegen als Protektor des „deutschen Volkes“ (FDP-Chef Christian Lindner sagt das neuerdings wirklich so), genauer: als Schutzpatron des „kleinen Mannes“ (SPD) und Bannerträger seiner vulgärberalen „Ich-will-so-blieben-wie-ich-bin“-Freiheit (FDP).

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