Tauchsieder
Quelle: imago images

Und jetzt lasst gut sein, ihr Bauern!

Woher rührt die rohe Wut vieler Landwirte, Handwerker, Selbstständiger? Welche Schuld tragen Regierung und Opposition? An welchem Punkt schlägt Kritik in Feindseligkeit um? Und wie gefährdet ist die Demokratie?

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Die gute Nachricht vorweg: Der Bauernaufstand 2024 begann mit einem abstoßend übergriffigen Einbruch in die Privatsphäre des Wirtschaftsministers und zeichnet sich seither im Großen und Ganzen durch Zivilität und Mäßigung aus: Es gibt Treckeraufmärsche, Sternfahrten und Straßenblockaden. Aber es gibt keine Entgrenzung der Demonstrationen in Richtung generalisierter Obstruktionsbereitschaft und Gelbwesten-Wut, kein Chaos, kein Zündeln, keine Gewalt – auch haben die Rechtsopportunisten der AfD es nicht vermocht, die Proteste der Bäuerinnen und Bauern für ihre destruktiven Zwecke zu kapern. Noch. Vorerst.

Denn die große Frage ist: Wie geht es nach Höhepunkt der „Aktionswoche“, nach der Großdemonstration am Montag in Berlin weiter?

Man möchte den Bauern zurufen: Lasst gut sein. Reißt Euch zusammen. Zurück auf die Höfe. Verspielt jetzt nicht die Sympathien der Restbevölkerung. Der Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir, hat die aus dem Hut einer eingebildeten Haushaltskrise gezauberten Sparvorschläge der Ampelregierung, der er angehört, von Tag eins kritisiert und sich als erster Lobbyist seiner Klientel vor die Bäuerinnen und Bauern gestellt – mehrfach buchstäblich – um sich für seinen Einsatz beschimpfen und auspfeifen zu lassen. Özdemir hat sich für die politische Flickschusterei des unseligen Ampel-Triumvirats Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) mehrfach entschuldigt. Und das Kabinett hat auf sein Drängen hin dem Druck der Bauern nachgegeben und einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Mit dem ließe sich leidlich leben. Trotz allem.

Die Bauernproteste haben in ihrer Wucht viele überrascht. Aus ihnen lassen sich gleich zwei Dinge lernen – wenn Berlin denn nur hinhören würde.
von Horst von Buttlar

Trotz allem, das heißt: Obwohl auch diese Entscheidung (Scholz: „Die Bundesregierung steht dazu“) immer noch falsch ist. Obwohl selbst SPD-Länderchefs und Ministerpräsidentinnen (Stephan Weil, Dietmar Woidke, Manuela Schwesig, Anke Rehlinger) den Bundeskanzler zu einer Komplettrevision auffordern – eine kleine Palastrevolution gegen König Olaf, den Stolzen: Seine Majestät, der Besserwisser, müsste einen Fehler einräumen, nichts fiele ihm schwerer – und setzte sich dem Vorwurf der Erpressbarkeit durch eine Lobby aus, nichts dementierte klarer seinen Führungsanspruch.

Trotz allem, das heißt: Obwohl die Regierung nach 200 Stunden Beratung per Federstrich verfügt hat, dass allein die Landwirte nach anderthalb Jahren der kräftigen Geldentwertung in diesem Land durchaus kräftige Gehaltseinbußen hinzunehmen haben. Obwohl die Ampel einer einzelnen, ausgewählten Berufsgruppe Einschnitte zumutet, während viele Gewerkschaften in anderen Branchen gerade zweistellige Lohnzuwächse durchsetzen. Obwohl die Bundesregierung mal wieder handwerklich stümpert, überhaupt akzidentielle Ad-hoc-Entscheidungen am Fließband produziert, null Linie, Kohärenz, Strategie, Verlässlichkeit erkennen lässt.

SPD, Grüne und FDP: Drama oder Komödie?

Man kann sich die letzte Nachtsitzung der Ampelspitze zur Lösung der „Haushaltskrise“ leicht kabarettistisch vorstellen: Wir brauchen noch eine Milliarde, das Landwirtschaftsministerium war noch nicht an der Reihe, da muss doch was zu holen sein (Lindner). Schließlich wird die ganze Branche vom Steuerzahler gepäppelt, also schauen wir uns mal die Subventionsliste an (Scholz). Wie wär’s mit dem Agrardiesel? Klingt nach Dreck, Gestank, Feinstaub, Klimaschmutz, also weg damit, was meint Ihr? (Habeck). Aber die Bauern können nicht auf E-Traktoren umsteigen, selbst wenn sie wollten, glaube ich (Scholz). Hmm. Stimmt wohl. Trotzdem. Wir gehen da ran. Die Bauern wählen sowieso CDU (Habeck; allseitiges Lachen). Und ich werde nicht zulassen, dass wir stattdessen allen Autofahrern noch zwei Cent mehr für den Sprit abverlangen, damit das klar ist, da mache ich nicht mit, automobile Unabhängigkeit ist gelebte Freiheit, es muss jetzt endlich mal Schluss sein mit dem Kreuzzug gegen… (Lindner). Jaja, Christian, ist schon gut (Scholz, Habeck. Augenrollen). Pause. Stille. Ratlosigkeit. Dann: Ich komme noch mal auf die Kerosinsteuer für Flugreisen zurück (Habeck; Augenrollen Lindner). Joa, warum nicht, kann man machen, ist schon spät, muss morgen nach Brüssel, also warum nicht (Scholz)? Weil es sein könnte, dass alle Fluggesellschaften ihre Jets dann im Ausland betanken! (Ein Referent aus dem Off). Achso? Ja, wenn das so ist. Habe ich das nicht irgendwie schon immer gewusst (Scholz, Augenrollen Habeck und Lindner)? Also, dann bleibt’s jetzt beim Agrardiesel? (Habeck, allseitiges Kopfnicken). Dann ist's so beschlossen (Scholz).

Trotz allem, das heißt: Das Regierungshandeln ist chaotisch, amateurhaft, dilettantisch – und unverschämt, weil der Bundeskanzler sich auch noch erdreistet, seine regierungsamtliche Plan- und Konzeptionslosigkeit in eine Generalkritik an die Regierten umzudeuten: Bei einem Subventionsabbau, so Scholz, gebe es immer Stimmen, die sagten, „aber nicht diese“. Wohl wahr. Aber wie wäre es zur Abwechslung mit einer politischen Leitidee, einer Priorisierung und Hierarchisierung von Vorhaben – dann hätten die Deutschen immerhin die Chance, den politischen Sinngehalt mancher Streichungen, Einbußen, Sparmaßnahmen und Zusatzkosten einzusehen? Aber genau dazu ist die Ampel schlicht nicht mehr fähig: zum Ziehen an einem Strang.

Die landesweiten Proteste von Landwirten sind mehr als nur der Aufschrei einer getroffenen Lobby. Große Teile der Gesellschaft reagieren empfindlich zornig im Angesicht des Wandels.
von Volker ter Haseborg, Sonja Álvarez, Max Haerder, Dieter Schnaas, Anabel Schröter, Hendrik Varnholt

SPD, Grüne und FDP können nicht mehr miteinander. Und wollen auch nicht mehr miteinander. Sie streiten über Schuldenbremse, Investitionsstau und Sondervermögen, über die Digitalisierung, die grüne Transformation der Wirtschaft und die Rolle des Staates, über Industriestrompreise und Subventionen für Ankerindustrien, kurz: über Ordnungspolitik versus Globalsteuerung. Und heraus kommt dabei immer nur der kleinste, gemeinsame Nenner, ach was: ein dickes Minus an politischer Führung und Richtung.

Trotz allem: Es reicht. Die Bauern müssen sich jetzt für eine größere Sache in die Pflicht nehmen lassen, zur Befriedung des Landes beitragen, zum Abbau verrohter Umgangsformen – und entschieden gegen Scharfmacher in ihren eigenen Reihen vorgehen. Die Bauern – und die Union. Denn ein Mob, der meint, Wirtschaftsminister Robert Habeck an den Kragen gehen zu dürfen, ist nicht nur das Ergebnis schlechter Regierungspolitik, sondern auch das Ergebnis rhetorischer Eskalationen (vormals) konservativer, „bürgerlicher Kräfte“, die sich in einem Kulturkampf wähnen: Friedrich Merz und Markus Söder, von Halbpopulisten wie Hubert Aiwanger zu schweigen, haben dafür gesorgt, dass inzwischen halb Deutschland meint, mit der AfD enthemmt demokratische Grüne beschimpfen zu dürfen – und nicht mehr trotz der Grünen die antidemokratischen Deutschlandfeinde der AfD. So geht es nicht weiter.

Friedrich Merz, man muss es so deutlich sagen, ist als Staatsmann und nomineller Vertreter des Konservatismus ein Totalausfall. „Was mit Robert Habeck letzte Woche in Schlüttsiel passiert ist, war nicht in Ordnung – aber er sollte das nicht moralisch überhöhen“, schreibt sein Team auf X, vormals Twitter – drunter geht's nicht. Merz vernebelt die Ereignisse und setzt die Protestmeute ins Passiv, nickt den Eingriff in die Privatsphäre des Ministers wohlwollend tadelnd ab („nicht in Ordnung“) und wirft Habeck auch noch wahrheitswidrig vor, er würde „Schlüttsiel“ politisch ausbeuten – das alles ist der Inbegriff von Unbürgerlichkeit. Typisch Merz eben.

Aber was soll man von diesem Mann noch erwarten? Wer die Grünen zum „Hauptgegner in der Regierung“ erklärt und eine „AfD mit Substanz“ anführen will, kann vielleicht eine längst havarierte Regierung ins Abseits driften lassen und das Volk ein wenig aufrühren, womöglich sich und der AfD noch ein paar Wutwähler mehr zuführen. Aber so ein Mann empfiehlt sich definitiv nicht als Regierungschef im Wartestand. Im Gegenteil. Was Deutschland noch weniger gebrauchen kann als eine stümpernde Ampelregierung unter Olaf Scholz, ist eine Kanzlerschaft von Friedrich Merz. Es ist der perfekte Ausdruck von politischer Selbstanspruchslosigkeit, dass sich Merz und mit ihm weite Teile der Unionsparteien (und der FDP) permanent hinter ihren wirtschaftspolitischen Formeln des 20. Jahrhunderts (Ordnungspolitik, Rahmensetzung, Technologieoffenheit) verstecken, um den Deutschen keine politische Alternative für die großen Themen der Zeit anzubieten. Auch in der Union wissen viele, dass es jetzt eine Reform der Schuldenbremse braucht. Ein Sondervermögen. Einen Mix aus Ordnungspolitik und Ordnungsrecht. Einen stark steigenden CO2-Preis. Eine strategische Industriepolitik. Und dass den Deutschen dabei auch etwas zugemutet werden muss. Trotzdem heizt die Merz-Union die Stimmung gegen alles vermeintlich Linksgrüne kulturkämpferisch auf, weil sie zurück an die Macht will, hebt immer neue Gräben zwischen Volksgruppen und Lebensstilen aus, schürt eingebildete Stadt-Land-Konflikte und begünstigt damit den Aufstieg des Rechtspopulismus – zum Schaden des Landes.

Aber was entlädt sich da eigentlich? Woher rührt die rohe Wut der Bauern? Und was bringt manche Landwirte dazu, mit ihren sachlichen Anliegen auch Umsturzfantasien, Galgenbilder und rechtspopulistische Sprüche wie „Mit dem Geldsack durch die Welt, für die Bauern bleibt kein Geld“ oder „Freie Bauern – Durch Demokratie verraten“ spazieren zu fahren?

Die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westhäuser haben „Triggerpunkte“ identifiziert, an denen gesellschaftliche Selbstverständigungsdebatten in Kulturkämpfe kippen, „neuralgische Stellen, an denen Meinungsverschiedenheiten hochschießen, an denen Konsens, Hinnahmebereitschaft und Indifferenz in deutlich artikulierten Dissens, ja sogar Gegnerschaft umschlagen“. Umgangssprachlich ließe sich das vielleicht am besten in das Bild aufgestauter Zornenergien fassen, die sich an einem bestimmten Punkt, aus einem bestimmten Anlass entladen – oder noch einfacher: in das Bild vom Tropfen Wasser, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es ist offenbar so, dass viele Bäuerinnen und Bauern in den vergangenen Jahren gut verdient haben, aber wenig investieren können, weil die Rahmenbedingungen sich permanent ändern, der bürokratische Aufwand groß ist und weil es diverse Einnahmeeinbußen bereits gegeben hat: Jetzt reicht es.

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