Tracking der Energiewende #1 Von allem zu wenig

Energiewende in Deutschland: Der Rückstand wächst. Quelle: imago images

Die Problembeschreibung hat gesessen, jetzt muss Klimaminister Robert Habeck liefern und den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch beschleunigen. In den ersten Wochen seiner Amtszeit jedoch wächst der Rückstand.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Bereits in seinen ersten Tagen als Bundesminister beweist Robert Habeck (Grüne) die Qualitäten eines Topmanagers. Wer als Unternehmenschef glänzen will, der muss am Anfang richtig schwarzmalen – um danach umso glorreicher reüssieren zu können. Der Minister für Klima und Wirtschaft also nutzte gleich seinen ersten großen Auftritt in der Bundespressekonferenz in diesem Sinne. Deutschland werde seine im Klimaschutzgesetz formulierten Emissionsziele in den kommenden zwei Jahren wohl nicht erreichen, so Habeck: „Wir werden unsere Ziele vermutlich auch für 2022 noch verfehlen, sogar für 2023 wird es schwer genug. Wir fangen mit einem drastischen Rückstand an.“ Es folgte eine „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“, um das ganze Elend noch zu illustrieren.

Das Problem im Falle Habeck: Das klingt zwar düster, dürfte aber wenig dunkler sein als die Realität. Erst im Dezember hat ein Forscherteam vom Öko-Institut im Auftrag der Bundesregierung durchgerechnet, wie die bereits angestoßenen Maßnahmen die Emissionen in Deutschland in den vergangenen Jahren verändern werden. Das Ergebnis: Statt um die geplanten 65 Prozent würden sie bis 2030 nur um 49 Prozent sinken. Genau diese 16 Prozent beträgt der Rückstand, den Habeck jetzt aufholen muss. 

Entsprechend kompliziert könnte es werden, mehr zu liefern als versprochen – das erklärte Kernziel der gesamten Ampelregierung. Die hat den klimagerechten Umbau der Wirtschaft zu ihrem wichtigsten Anliegen gemacht, spätestens 2025 muss das Land also auf dem Pfad Richtung Klimaneutralität 2045 sein. Um nachzuverfolgen, ob die Bundesregierung dieses Ziel erreichen kann, beginnt die WirtschaftsWoche wöchentlich einen Faktencheck in Grafiken zu veröffentlichen, der vor allem den Ausbau der Erneuerbaren dokumentieren soll.

von Florian Güßgen, Max Haerder, Cordula Tutt

Fernziel Klimaneutralität

Genau hier nämlich wird sich der Erfolg des Ministers und seiner Regierung am Ende entscheiden. Die Emissionen steuert sein Ministerium nicht direkt. Habeck muss versuchen, den Markt so zu beeinflussen, dass die größten Produzenten von Kohlendioxid (CO2) ihr Verhalten ändern. Der Großteil des deutschen CO2-Ausstoßes geht von den vier Sektoren Energie, Industrie, Wohnen und Verkehr aus. Sie allesamt werden ihre Zahlen nur verbessern, wenn fossile durch grüne Energieträger ersetzt werden: In der Energiewirtschaft und der Industrie direkt für die Herstellung von Strom und Wärme. In den Feldern Verkehr, Wohnen und Industrie läge zwar grundsätzlich ein alternativer Hebel im Einsparen von Energie, das aber ist in der Industrie bereits zu großen Teilen geschehen, ebenso beim Verkehr, wo ein guter Teil der Ersparnis dadurch ausgeglichen wurde, dass Autos zugleich immer größer und schwerer geworden sind. Beim Wohnen wiederum werden Investitionen in die Dämmung seit Jahren gefordert und gefördert – erweisen sich in der Umsetzung jedoch als langwierig und kleinteilig, die Klimaeffekte sind entsprechend gering. Ohnehin münden alle Sparversuche letztlich auch in einer Sackgasse: Das Fernziel lautet schließlich Klimaneutralität. Ein verringerter Verbrauch macht die Sache zwar einfacher, entschieden aber wird der Erfolg über die Energiegewinnung.

Der Weg, den Habeck und mit ihm die gesamte deutsche Wirtschaft vor sich hat, ist deshalb klar. An die Stelle von Kohlekraftwerken müssen Windparks treten, Benzinautos durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden, wo Erdgasheizungen stehen, müssen Wärmepumpen einziehen und in Stahlhütten muss statt Kohle und Erdgas Wasserstoff verfeuert werden.

Erstmals gibt es konkrete Ziele

Der erste Schritt dahin soll es laut Minister Habeck sein, bis zum Jahr 2030 den Strombedarf zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu decken. Der Minister selbst nennt dieses Ziel zwar „mega ambitioniert“, es ist jedoch nur die Bestätigung dessen, was sich bereits die große Koalition im vergangenen Jahr vorgenommen hatte. Daraus leiten sich die Werte ab, an denen sich die Ampelregierung nun messen lassen muss. 240 Terawattstunden Strom liefert die erneuerbare Energie derzeit, bis 2030 müssen es laut Habeck 544 bis 600 Terawattstunden sein. Konkret leitet er daraus ab: 100 Gigawatt Erzeugungskapazität sollen Windkraftwerke an Land liefern, 30 Gigawatt Windkraftanlagen auf dem Meer und 200 Gigawatt sollen aus Fotovoltaikanlagen kommen. Die Windkapazitäten an Land müssten sich dafür grob verdoppeln, die auf dem Meer um die Hälfte steigen. Und die Leistung der Fotovoltaik müsste sich gar verdreifachen.

Dass die Werte für Sonnenkraft so viel höher liegen als die für die derzeit dominante Windkraft, erklärt sich dadurch, dass die tatsächliche Ausbeute bei einem Solarpark deutlich niedriger liegt als bei einem von der Kapazität her gleich großen Windrad.

Habecks Ministerium leitet aus diesen Zielen nun erstmals konkrete Jahreswerte bis 2030 ab, die in der Eröffnungsbilanz als Balkengrafik dargestellt sind. Allzu genau will sich der Minister, vielleicht aus Sorge vor späteren, für ihn ungünstigen Vergleichen, zwar doch nicht festlegen. Die exakten Werte zum Diagramm, so heißt es auf Anfrage, befänden sich „noch in der Abstimmung“. Schätzungsweise lassen sie sich dennoch beziffern. An Land sollen 3 Gigawatt Windstrom entstehen, auf dem Meer weitere 500 Megawatt. Zudem sollen Fotovoltaikanlagen mit einer Kapazität von 7 Gigawatt entstehen.



Bricht man diese Ziele nun auf die Woche herunter, so müssen jeweils 57,7 Megawatt neuer Windstrom vom Land, 9,6 Megawatt Windstrom vom Meer und 134,6 Megawatt Solarenergie hinzukommen. Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass diese Werte jede Woche erreicht werden können, so haben etwa die Windparks auf hoher See eine sehr hohe Kapazität, es gehen jedoch nur sehr selten neue ans Netz – 2021 etwa kein einziger.

Bei der Fotovoltaik, die sich zu einem guten Teil aus Hunderttausenden Kleinanlagen auf Hausdächern speist, ist schon eher von einem kontinuierlichen Zuwachs auszugehen. Bei allen Einschränkungen zeigen die Werte der ersten beiden Wochen dieses Jahres nun, dass der von Habeck beschriebene Rückstand derzeit von Tag zu Tag größer wird.




Schon in der ersten Woche des Jahres bleibt der Ausbau deutlich hinter den Ansprüchen zurück. Zwischen dem 1. und 7. Januar sind Windkraftanlagen mit einer Kapazität von gerade einmal 19,99 Megawatt ans Netz gegangen, ein Drittel dessen, was eigentlich notwendig wäre. Wie schwach das Jahr in diesem Bereich gestartet ist, dokumentiert die Zahl der neuen Anlagen: Nur sechs Windräder wurden neu in Betrieb genommen.

Bei der Solarkraft sieht es in der ersten Woche deutlich besser aus: Gut 107 Megawatt wurden neu angeschlossen, nur knapp 20 Prozent weniger als notwendig. Hier dürfte die Kunst eher darin bestehen, das Tempo zu halten: In den vergangenen Monaten wurde deutlich mehr zugebaut als in den vergangenen Jahren, zugleich machen die Förderkonditionen private Anlagen immer unattraktiver. Und so verlangsamte sich in der zweiten Jahreswoche das ohnehin geringe Tempo deutlich. 

Der Ausbau beim Wind an Land blieb ungefähr auf dem niedrigen Niveau des Vormonats (20,7 Megawatt), die neu angemeldete solare Leistung jedoch lag deutlich unter den passablen Vorwochenwerten: Statt deutlich über 100 kamen diesmal nur 38 Megawatt neu hinzu, insgesamt lag der Zubau in der zweiten Woche damit um die Hälfte geringer als in der ersten Woche.



Eine Erklärung für das Absinken könnten kalendarische Effekte sein: So werden die Anlagen mitunter mit einigen Tagen Zeitverzug bei der Bundesnetzagentur angemeldet, gerade rund um den Jahreswechsel könnte es dadurch zu Verzerrungen kommen, etwa weil direkt am Anfang des Jahres Anlagen nachgemeldet werden, die bereits einige Tage vorher ans Netz gegangen sind.

Das legen auch die Wochenwerte der einzelnen Bundesländer nahe. Während in einigen Ländern die Werte der zweiten Woche etwa auf dem Niveau der ersten lagen (etwa in Bayern, Brandenburg oder Rheinland-Pfalz), brachen sie anderswo auf mitunter nur noch ein Zehntel des Vorwochenwerts ein (Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein). Sollten diese Werte die neue Normalität spiegeln, dann dürfte der Rückstand auf die Ausbauziele noch für längere Zeit größer werden, bevor er irgendwann schrumpfen mag.



Auch wenn es noch sehr früh im Jahr sein mag: Beim Vergleich der Bundesländer fällt auf, dass sich der Ausbau der Windenergie im Jahr 2022 bisher auf sehr wenige Regionen beschränkt. Nur in sechs Bundesländern wurde seit dem Jahreswechsel eine Windkraftanlage angemeldet. Der Ausbau der Solarkraft verläuft deutlich gleichmäßiger vor allem in Abhängigkeit von der Bevölkerungszahl und damit der Zahl der Einfamilienhäuser, wobei die Stadtstaaten natürlich auch hier eher schwach abschneiden.

Vergleicht man die Bilanz der ersten beiden Wochen des Jahres mit den deutschen Jahreszielen, so hat sich schon in wenigen Tagen eine deutliche Lücke gebildet. Bei der Windkraft an Land liegt der Ausbau 74,8 Megawatt oder 65 Prozent hinter dem Zielwert, bei der Solarkraft beträgt der Abstand 123,7 Megawatt (54 Prozent). In Windrädern des derzeit üblichen 4,2 Megawatt-Typs gesprochen: Habeck gegen Klimawandel – 47 Anlagen Rückstand.

Mehr zum Thema: Wirtschaftsminister Robert Habeck attestiert Deutschland einen „drastischen Rückstand“ bei der Energiewende – und zwingt der Gesellschaft seinen Aufbruchswillen auf: Habecks große Klimawette – und ihre Folgen

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%