Weltkrisenpolitik Zweimal Kanzler, zweimal China, zweimal Krieg

Olaf Scholz allein in China. Quelle: dpa Picture-Alliance

Olaf Scholz‘ China-Reise wird zum heiklen diplomatischen Balanceakt – und das bereits zum zweiten Mal: Im November 2022 ging es um Putin und einen Atomangriff, jetzt um Irans Attacken auf Israel. Über die Parallelen deutscher Krisendiplomatie.

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Als Olaf Scholz Anfang November 2022 zu seinem ersten Staatsbesuch nach China aufbricht, begleiten ihn bedrückende Erkenntnisse. Die amerikanische Regierung hat mit dem deutschen Bundeskanzler vorab Geheimdienst-Informationen geteilt, sie betreffen russische Pläne zum Einsatz von Atomwaffen im Ukrainekrieg. 

Wladimir Putin sei entschlossen, diese Bomben tatsächlich auf dem Schlachtfeld einzusetzen, es seien keine leeren Drohungen, jedenfalls für den Fall, dass massive Verluste an der Front drohten, womöglich eine Bedrohung der Krim – so lautet die Einschätzung aus Washington D.C., die dort sehr große Sorgen auslöst.

Scholz soll mit diesem Wissen und im direkten Gespräch Xi Jinping dazu bringen, auf Putin einzuwirken, so hat es vor einigen Wochen die „New York Times“ recherchiert. Ein lange geplanter, geopolitisch schon ausreichend heikler Antrittsbesuch des Bundeskanzlers wird zur sensiblen Nuklear-Eindämmungsmission. Der diplomatische Coup gelingt: Xi – wenn auch danach weiter unverbrüchlich an Moskaus Seite – spricht sich öffentlich gegen den Einsatz von Atomwaffen aus.

Der bittere historische Zufall nun will es, dass auch der zweite Besuch des Kanzlers im Reich der Mitte von einem eskalierenden Konflikt überschattet wird. Diesmal ist es der direkte Angriff Irans auf Israel. Die Attacke mit hunderten Drohnen und Dutzenden Raketen überraschte die deutsche Delegation auf dem Flug in die 32-Millionen-Megacity Chongqing. Wieder ist es Scholz, der am heutigen Dienstag in Peking auf Xi treffen wird, um im Namen der G7 erneut an dessen Überzeugungskraft zu appellieren – diesmal in Richtung der Mullahs in Teheran.

Generalsekretär Xi Jinping verfolgt einen klaren Plan: China soll die Wirtschaft dominieren, die Welt sich um Peking und Shanghai drehen. Satellitenbilder zeigen, für welche deutschen Branchen und Firmen es eng wird.
von Thomas Stölzel, Jannik Deters, Nele Antonia Höfler, Andreas Menn

Eine über Wochen geplante Reise-Choreografie gerät dabei gehörig ins Wanken. Anders als im November 2022 ist der deutsche Regierungs-Airbus bei diesem Trip voll mit Dax-Chefs, begleiten mehrere Kabinettsmitglieder die Reise. Ganze zwei Tage hatte Scholz allein dafür reserviert, um sich in China mit Hightech, Kooperation und deutsch-chinesischem Handel zu beschäftigen – fast so wie zu seligen Zeiten Angela Merkels oder Gerhard Schröder.

Doch lupenreine Handelsreisen gibt es nicht mehr – die Eskalation zwischen den Erzfeinden Israel und Iran beweist das einmal mehr.

Die Besuchs-Agenda ist schon aus der Zeit gefallen

Schon am Sonntag wirkte der erste Programmpunkt, ein Unternehmensbesuch in einer Vorzeigefabrik von Bosch, buchstäblich aus der Zeit gefallen. Eine Flusstour über den Jangtse, die nach Vergnügung hätte aussehen können, wurde gleich abgesagt. Nachdem die Hamas Israel am 7. Oktober brutal überfallen hatte, verputzte der Kanzler mit Emmanuel Macron in Hamburg Fischbrötchen. So etwas soll nie wieder passieren.

Von seinem Hotel in Chongqing aus schaltete sich Scholz am Sonntag in das virtuelle Treffen der G7 ein. Man werde weiter daran arbeiten, die „Situation zu stabilisieren und eine weitere Eskalation zu verhindern“, ließen die Staats- und Regierungschef der führenden Industrienationen hinterher verbreiten. Und sie forderten Iran und seine Stellvertreter auf, ihre Attacken einzustellen.



Die Strategie ist offenkundig in beide Richtungen angelegt. Zum einen bearbeiten die westlichen Partner die israelische Regierung: die Abwehr des iranischen Angriffs sei ein großer Erfolg und stärke zudem die Solidarität mit Israel; weitere Vergeltung zu üben, wäre ein schwerer Fehler. Zum anderen wird Scholz seinen Termin bei Xi mit Sicherheit dazu nutzen, an dessen Verantwortung im Allgemeinen und an Pekings Einfluss auf Teheran im Besonderen zu appellieren.

Das Treffen dokumentiert einmal mehr die tektonischen Verschiebungen der Weltpolitik: China ist längst ein wesentlicher, ja: ein unbestrittener Faktor auf der geopolitischen Bühne – und zwar auch gerade dann, wenn es sich entscheidet, nicht zu handeln. Es ist jedoch noch sehr weit davon entfernt, international eine exponierte Ordnungsrolle zu übernehmen zu wollen – bei der Sicherung der Seewege etwa fällt die Exportnation gerade aus.

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