WissZeitVG „Wir schaden unseren eigenen Leuten“

Von vielen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen läuft der Vertrag bereits während ihrer Promotion ab. Quelle: www.imago-images.de

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sollte Chancen für den Nachwuchs eröffnen. Die Realität sieht oft anders aus: Befristete Verträge und ständige Jobsuchen sind die Regeln. Professorin Regina Riphahn berichtet aus der Praxis.

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Unter den Hashtags #IchbinHanna und #WissZeitVG berichten Wissenschaftler regelmäßig über die Probleme, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) mit sich bringt. Das Gesetz ermöglicht es, wissenschaftliche Mitarbeiter sechs Jahre vor und nach der Promotion befristet zu beschäftigen. Wer dann nicht die Professur erreicht hat, muss die Wissenschaft verlassen. Das Problem an den befristeten Verträgen: Viele haben schon während ihrer Promotion oder vor dem Abschluss des Postdocs keine Arbeit mehr. Oftmals sind die Stellen an den Universitäten auf wenige Jahre befristet. Es folgt wieder die Suche nach einem neuen Job. 92 Prozent der Wissenschaftler unter 45 Jahren befindet sich, laut dem Bundesbericht für den wissenschaftlichen Nachwuchs, in einem befristeten Arbeitsverhältnis.

WirtschaftsWoche: Frau Riphahn, Sie sind selbst Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Statistik und empirische Wirtschaftsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Wie erleben Sie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Praxis?
Regina Riphahn: Ich hatte an zwei Stellen Berührungspunkte mit dem Gesetz. Zum einen können Mitarbeitende an die Grenzen ihrer zulässigen Promotionszeit stoßen. Das kann zum Problem werden. Ich hatte eine Doktorandin, deren weitere Finanzierung von der Bewilligung eines Drittmittelprojektes abhing. Das hat glücklicherweise funktioniert. Sonst hätte sie mitten in ihrer Promotionsphase kein Geld mehr bekommen. Ich hätte ihre Stelle nicht mehr über den Lehrstuhl bezahlt dürfen, obwohl das Geld da war. Der andere Punkt ist: In Bewerbungsverfahren etwa für Juniorprofessuren haben Personen aus dem Ausland eine bessere Startsituation als Personen aus Deutschland. Bewerber dürfen zum Teil vor Stellenantritt nicht mehr als sechs Jahre im deutschen akademischen System verbracht haben. Das schadet dann nur Personen aus Deutschland. Wenn wissenschaftliche Mitarbeitende aus dem Ausland kommen, ist es egal, wie lange sie schon an Unis waren, da das nicht in Deutschland war. Damit schaden wir unseren eigenen Leuten.

Gibt es bei den jungen Mitarbeitenden Existenzsorgen?
Das hängt davon ab, wie mit der Situation umgegangen wird. An meinem Lehrstuhl gebe ich Mitarbeitenden die Zusage, dass wir sie für einen festen Zeitraum finanzieren. Die faktischen Vertragslaufzeiten können dann gestückelt sein, weil ich kurzfristig verfügbare Mittel ausnutzen muss. Manche machen sich dann Sorgen, wenn der Vertrag nur ein Jahr geht. Aber das ist individuell und in dieser Situation eine Frage des Vertrauens. Grundsätzlich sind befristete Stellen natürlich immer mit Unsicherheit über die Zukunft verbunden, die zu Existenzsorgen führen kann.

Zur Person Riphahn

Wie würden Sie die Stimmung der jungen Wissenschaftler beschreiben? Sind sie frustriert durch die Situation?
Wenn Mitarbeitende mit der Promotion beginnen, spielt die Zeitbegrenzung in der Regel erstmal praktisch keine Rolle. Da sehe ich in meinem Umkreis auch keinen Grund zur Frustration. Schwierig wird es, wenn per Gesetz Mindestlaufzeiten für befristete Verträge vorgegeben werden. Das wird mit dem Argument des Schutzes der Promovierenden diskutiert, aber beißt sich mit der Verwaltungspraxis. Da Drittmittelprojekte der DFG oft nur 24 Monate bewilligen. Wenn ich Mittel für 24 Monate bekomme, kann ich damit keine Stelle für drei Jahre ausschreiben. Auch universitätsinterne Mittel haben zum Teil sehr kurze Laufzeiten. Man bekommt eine halbe Stelle für ein Semester, wenn man einen Projektantrag vorbereitet oder wenn man sehr große Veranstaltungen betreut, oder man hat für einige Monate eine freie Stelle wegen Elternzeit. Damit kann man keine langfristigen Verträge machen. Diese Struktur steht direkt im Widerspruch zu Sicherheitsbedürfnissen durch langlaufende Verträge, die die Interessenvertretung der wissenschaftlichen Mitarbeitenden verständlicherweise fordert. In der Praxis sind die Stellen oft nur für kurze Zeiträume verfügbar und dann muss man stückeln.

Wie sieht die Situation im Ausland aus? Gibt es dort weniger befristete Verträge?
Es gibt Systeme, in denen Forschende an Unis frühzeitig unbefristete Verträge bekommen. England ist da recht attraktiv. In anderen Ländern gibt es so wie in Deutschland zunächst nur befristete Verträge. Ein befristeter Vertrag an einer sehr guten Universität kann dann doch die bessere Option sein, als an eine schlechte Uni zu gehen. Beschäftigungsverhältnisse haben eben viele Dimensionen. Neben der Befristungsdauer sind auch die Rahmenbedingungen, etwa die Chance auf wissenschaftliches Arbeiten und die Lehrpflichten wichtig. Es kommt also vieles zusammen, wenn man die Optionen vergleicht.

Auf Twitter schreiben einige User zu dem Thema, dass sie nicht für befristete Verträge in andere Städte ziehen. Wird es dann nicht schwieriger für die Universitäten, neues Personal zu bekommen?
Ja, das ist ein wichtiger Faktor. Der Arbeitsmarkt für Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen ist heute auf der Arbeitgeberseite schwieriger als in der Vergangenheit. Durch den Fachkräftemangel und das große Interesse an hochqualifiziertem Personal haben die jungen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen attraktive Möglichkeiten außerhalb der Wissenschaft. Das hat sich gegenüber der Situation vor 20 oder 30 Jahren etwas verschoben. Da ist der Arbeitgeber Universität ist heute in einer schwierigeren Situation als früher.

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Wie könnte der Job in der Wissenschaft denn wieder attraktiver werden?
Langfristige Sicherheit ist natürlich ein zentraler Faktor. Auch die Bezahlung könnte höher sein. Die jungen Menschen sind heute in der Position, ihren Bedarf nach Sicherheit stärker durchzusetzen. Und da muss sich die Wissenschaft als Arbeitgeber anpassen. Diese Rahmenbedingungen erfordern Veränderungen, wenn man die gleiche Qualität an Personal gewinnen möchte wie in der Vergangenheit.

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