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Quelle: REUTERS

Das „exorbitante Privileg“ des US-Dollars

Die Sonderstellung des US-Dollars ist seit dem Ende des Bretton-Woods-Systems mit dem Dollar als Leitwährung kleiner geworden, aber es gibt sie noch. Wie der Dollar Gold ablöste, warum die USA so stark profitieren – und welches Risiko China darstellt.

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Valéry René Giscard d’Estaing, der kürzlich verstorbene frühere französische Staatspräsident und Finanzminister unter Präsident Charles de Gaulle, pflegte ein eher distanziert-kritisches Verhältnis zu den USA.

Dabei ging es nicht zuletzt um die Dollarfluten, mit denen die USA in den 1960er-Jahren die im Währungssystem von Bretton Woods zusammengeschlossenen Staaten regelrecht überschwemmten und dort erheblichen inflationären Druck verursachten.

Giscard d’Estaing war es, der von einem „exorbitanten Privileg“ sprach, das die USA mit dem Dollar in Anspruch nehmen würden, der als dominante internationale Reservewährung faktisch global als Zahlungsmittel diente und von den Bretton-Woods-Staaten zu einem fixierten Wert akzeptiert werden musste.

Und das meinte Giscard keineswegs besonders freundlich.



Zwar besteht das Bretton-Woods-System heute nicht mehr, und der Wert des Dollar schwankt an den Devisenmärkten. Aber das „exorbitante Privileg“, das die USA in ihrer eigenen Währung international einkaufen können, besteht bis heute. Dieses Privileg erlaubt es den USA insbesondere, ihre notorischen Handelsbilanzdefizite ohne Gefahr für ihre Leistungsbilanz allein durch das Drucken von Dollars auszugleichen, die, ohne in andere Währungen getauscht werden zu müssen, direkt dem Defizitausgleich dienen. In gewisser Hinsicht können die USA sich so weltweit Güter und Dienstleistungen mehr oder weniger kostenlos aneignen, müssen freilich dafür sorgen, dass der Dollar seine Funktion als Reservewährung und globales Zahlungsmittel nicht verliert.

Dieser Zwang, der wegen der hohen Kosten zur Aufrechterhaltung der amerikanischen globalen Dominanz nicht preiswert ist, diszipliniert zugleich die US-amerikanische Geldpolitik immerhin ein wenig, doch sind die USA eben nicht gezwungen, durch Kauf fremder Währungen ihre Defizite auszugleichen, wie es für andere Staaten gilt. Dass es hierbei keineswegs um Kleinigkeiten geht, zeigt die Tatsache, dass das amerikanische Handelsbilanzdefizit 2022 bei 1,3 Billionen Dollar lag; zwischen 2010 und 2020 schwankte es zwischen 800 Milliarden und einer Billion Dollar:



Müssten die USA wie die meisten anderen Länder dieses Defizit regulär finanzieren, wären sie kaum dazu in der Lage, ihre Leistungsbilanzdefizite auszugleichen. Vielmehr müssten die US-Importe drastisch sinken. Faktisch gestattet das „exorbitante Privileg“ es den USA, zumindest Teile ihres Wohlstands auf Kosten des Auslandes aufrechtzuerhalten.

Dieses „exorbitante Privileg“ nun ist nicht allein Folge der institutionellen Sonderstellung, die der US-Dollar im Rahmen des Währungssystems von Bretton Woods hatte; es war und ist auch Ausdruck der faktischen Bedeutung, die die US-Währung im Laufe des 20. Jahrhunderts erreichen konnte. Auch wenn die wirtschaftliche Bedeutung der USA heute deutlich geringer ist als noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts, ist es das Ziel der amerikanischen Politik, dieses Privileg aufrechtzuerhalten, wodurch ein bedeutender Teil der US-Außenpolitik, namentlich die Versuche zur Eindämmung konkurrierender Währungs- und Wirtschaftsordnungen, erklärbar wird. Alles dient letztlich dem Ziel, die Auflösung des „exorbitanten Privilegs“ zu verhindern, dessen Entstehung daher einiges Licht auf die gegenwärtige weltwirtschaftliche Lage zu werfen vermag.

Die Idee der Leitwährung

Historisch ist die Rolle einer Art Leitwährung nicht sonderlich alt. Erst in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich nach und nach der Goldstandard durch, wodurch das Gold zur materiellen Substanz der beteiligten Währungen wurde.



Großbritannien war – nach großen Goldfunden in Brasilien – schon längere Zeit zuvor zum Goldstandard (nach großen Goldfunden in Brasilien) übergegangen. Anfang der 1870er-Jahre schlossen sich dann das neue Deutsche Reich und schließlich mehr und mehr Staaten bis schließlich hin zu den USA dem Goldstandard an.

Die größte Volkswirtschaft im Goldstandard war lange Großbritannien, dessen Bank of England im Grunde auch als „lender of last resort“ so etwas wie der internationale Hüter der Einhaltung der Regeln des Goldstandards war. Sie sorgte vor allem dafür, dass der sogenannte Goldautomatismus in Gang blieb. Hatte ein Land hohe Handelsbilanzdefizite, floss Gold aus diesem Land ab, dass folgerichtig seine Geldpolitik restriktiv fassen und die Zinssätze hochhalten musste, um den Goldabfluss zu verhindern. In der Folge verringerten sich die Importe und das Handelsbilanzdefizit, sodass schließlich auch die Leistungsbilanz stabilisiert werden konnte. Bei Handelsbilanzüberschüssen lief der Mechanismus anders herum, sodass der Goldautomatismus im Grunde stets für eine Art Fließgleichgewicht sorgte, zumindest in der Theorie.

Kurzfristige Leistungsbilanzdefizite konnten indes erhebliche Risiken mit sich bringen, sodass es hier einer Art Hüter des Goldstandards bedurfte, der mit Krediten, die unter Auflagen gewährt wurden, einsprang. Das war die Rolle, die die Bank von England recht virtuos beherrschte – bis zum Ersten Weltkrieg.

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