Wolfgang Schäuble Architekt der Einheit und Erfinder der schwarzen Null

Wolfgang Schäuble, ehemaliger Bundespräsident und CDU-Politiker, ist gestorben. Quelle: dpa Picture-Alliance

Sein Leben galt der Politik: Wolfgang Schäuble prägte in mehr als einem halben Jahrhundert das Parlament und die Geschichte der alten und neuen Bundesrepublik mit. Mit 81 Jahren ist er nun verstorben. Ein Nachruf.

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In den letzten Jahren meldete er sich nur noch selten zu Wort, aber wenn, dann hörte man ihm zu. Es war nicht nur sein brillantes rhetorisches Talent, das ihm, dem dienstältesten Abgeordneten der deutschen Parlamentsgeschichte, die ungeteilte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und auch der politischen Gegner sicherte. Es war gerade zuletzt auch der Erfahrungsschatz eines Ausnahmepolitikers, der 51 Jahre lang dem Deutschen Bundestag angehörte und dort viele wichtige Ämter ausfüllte. Wenn einer wie Wolfgang Schäuble den von der „Zeitenwende“ verunsicherten Bundesbürgern Mut machte, dann hatte das Gewicht.

Deutschland habe schon viele Krisen überstanden, sagte er in seinem letzten großen Auftritt und verwies dabei auf die Finanzkrise und die daraus entstandene Eurokrise, auf die Asylkrise 2015 und 2016 sowie auf die Kriege der jüngsten Vergangenheit, wie den Waffengang am Golf, den Krieg in Ex-Jugoslawien und die vielen anderen Konflikte weltweit, in denen zunehmend auch die Bundeswehr beteiligt war. Politik, das war ein Teil seiner letzten Botschaft, sei auch die Fähigkeit, mit Krisen und Kriegen umzugehen und – wie auch Deutschland – an der erfolgreichen Bewältigung zu wachsen.

Schäuble, der nach Mitteilung seiner Familie am Abend des zweiten Weihnachtstags mit 81 Jahren zuhause friedlich eingeschlafen ist, führte ein Leben für die Politik. Nach Jura-Studium und kurzer Zeit in der Finanzverwaltung des Landes Baden-Württemberg trat der Sohn des badischen Landtagsabgeordneten Karl Schäuble 1961 in die Junge Union ein. Der Jurist fand noch Zeit, über die berufsrechtliche Stellung der Wirtschaftsprüfer zu promovieren, doch seine Leidenschaft galt der Politik. 1972 gewann Schäuble seinen Wahlkreis Offenburg direkt – was ihm danach noch 14-mal gelingen sollte – ein einmaliger Erfolg.

Er verhandelte den Einigungsvertrag

Wolfgang Schäuble füllte viele politische Ämter aus. Sein wichtigstes war wohl das des Bundesinnenministers unter Helmut Kohl, in dem er von 1989 bis 1991 den Einigungsvertrag aushandelte. Als er im Oktober 1990 von einem geistig verwirrten Mann angeschossen wurde und danach im Rollstuhl saß, schien seine politische Karriere frühzeitig beendet. Doch Schäuble, dem immer eine gewisse Strenge nachgesagt wurde, verlangte auch sich alles ab, kämpfte sich im Rollstuhl zurück in das Leben und in den Mittelpunkt des politischen Geschehens. Von 1991 bis 2000 führte er die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und wurde nach dem Machtverlust der Union 1998 im Zuge der Neuaufstellung CDU-Parteichef als Nachfolger von Helmut Kohl.

Sein Verhältnis zu Kohl hatte in den letzten Jahren stark gelitten – Schäuble verübelte es dem Kanzler der Einheit, dass er sich weigerte, frühzeitig seine Nachfolge zu regeln und ihm dabei eine Chance zu geben. Im Zuge des CDU-Parteispendenskandals und im Zusammenhang mit einer Barspende in Höhe von 100.000 Euro geriet auch Schäuble in den Sog der Ereignisse. Im Februar 2000 musste er zurücktreten – Nachfolgerin wurde Angela Merkel.

Nach ihrem Wahlsieg 2005 ernannte Merkel Schäuble zum Innenminister, vier Jahre später zum Bundesfinanzminister. Fremdelte er anfangs noch mit diesem Amt, so sollte er im Laufe seiner achtjährigen Amtszeit doch prägend für eine konservative und nachhaltige Finanzpolitik sein, die er gegen erbitterte Widerstände auch in der Eurozone vertrat. Zwar konnte er in Deutschland keine durchgreifende Steuerreform durchsetzen, und er nutzte nach Meinung seiner Kritiker auch nicht die Spielräume einer fast zehn Jahre andauernden Phase konjunkturellen Aufschwungs. Aber dafür entstanden unter seiner Mitwirkung die Schuldenbremse und die schwarze Null – nach Jahrzehnten der erste Haushalt ohne Neuverschuldung.

2017 schließlich wurde Schäuble zum Bundestagspräsidenten gewählt – protokollarisch das zweithöchste Amt in Deutschland. Die Berufung in das höchste Amt jedoch blieb ihm verwehrt. Merkel musste dem Umstand Rechnung tragen, dass weder die CSU noch die FDP Schäuble als Bundespräsident mittragen wollten.

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Förderer von Friedrich Merz

Als die Union 2021 die Bundestagswahl verlor, zog sich auch Schäuble aus den Führungsgremien seiner Partei und des Parlaments zurück. Man sah ihn immer weniger in den Gängen des Bundestags. Aber er nutzte weiterhin seinen Einfluss, um in den innerparteilichen Machtkämpfen nach dem Rückzug von Merkel seinen Favoriten Friedrich Merz zu unterstützen, den er noch aus dessen Anfangszeit im Bonner Bundestag kannte. Merz holte sich immer wieder Rat bei Schäuble – mit ihm verliert er einen seiner wichtigsten Förderer, ohne den sein spektakuläres Comeback in die Spitzenpolitik deutlich schwieriger gewesen wäre. Prägend für die Union bleibt Schäuble als Vorbild für eine im besten Sinne konservative Finanz- und Währungspolitik und als Politiker, für den Disziplin und der Mut, unpopuläre Entscheidungen auch durchzustehen, Auftrag und Verpflichtung war.

Lesen Sie auch das Interview mit CDU-Chef Friedrich Merz: „Ich würde mit dem Begriff große Koalition heute etwas vorsichtiger umgehen“

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