Brexit Kommt es zum Bürgerkrieg bei den Tories?

Brexit-Hardliner stören sich an dem Nordirland-Protokoll.

Ein Kompromiss zwischen London und Brüssel zum umstrittenen Nordirland-Protokoll galt schon als so gut wie beschlossen. Doch nun drohen die Brexit-Hardliner bei den Tories dem Premier Rishi Sunak offen. Kommt es zum Riss innerhalb der Regierungspartei?

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Eigentlich sollte jetzt Rishi Sunaks große Stunde kommen. Schon seit Wochen lässt der britische Premier hinter verschlossenen Türen Gespräche mit der EU führen. Es geht, mal wieder, um den Brexit. Genauer gesagt: um das Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens. An dem stören sich vor allem die Brexit-Hardliner bei den Tories und die pro-britischen Unionisten von der Democratic Unionist Party (DUP) in Nordirland. Ein Kompromiss mit Brüssel sollte das leidige Thema endlich zu den Akten legen.

Es wäre der erste nennenswerte Erfolg Sunaks seit seiner Ernennung zum Premier im Oktober. Die britische Öffentlichkeit wüsste der Premier dabei hinter sich: Ein Großteil der Briten wünscht sich Umfragen zufolge eine engere Beziehung zur EU.

Noch vor wenigen Tagen sah auch noch alles nach einer Einigung aus: Über das Wochenende wurden immer mehr Details über den möglichen Kompromiss bekannt, der Insidern zufolge schon vor zwei Wochen größtenteils ausgehandelt worden sein soll. Schon am Dienstag sollte Sunak seinem Kabinett den Deal mit Brüssel vorstellen, hieß es in der Londoner Politik-Gerüchteküche weiter.

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Der Dienstag kam, und es geschah: nichts. Denn dieselben Kräfte, die sich schon seit Jahren einer langfristigen Lösung des Problems in den Weg stellen, könnten auch diesmal eine Einigung verhindern. Aktuell ist sogar die Rede von möglichen Minister-Rücktritten und vom Ausbruch eines Bürgerkriegs innerhalb der Tory-Partei.

Sunaks Amtssitz in der Downing Street erklärte am Dienstag lediglich, es gebe noch „ungelöste Fragen“ bei den Gesprächen mit der EU. Außenminister James Cleverly sollte am Nachmittag einen weiteren Videocall mit Maroš Šefčovič führen, dem Vize-Präsidenten der EU-Kommission, der für Brexit-Fragen zuständig ist. Wie so oft bei Verhandlungen, erklärte Sunaks Sprecher weiter, würden die langfristigen Probleme erst angegangen, „wenn man an diesem Punkt angelangt ist“. Das sei „nicht ungewöhnlich“. Also: Es gibt nichts zu sehen, bitte weitergehen?

In Wirklichkeit dürften die Brexit-Hardliner bei den Tories, die Sunak über seine Verhandlungen offenbar bewusst im Dunkeln gelassen hat, einen raschen Verhandlungserfolg vermasselt haben – zumindest vorläufig. Eine deutliche Warnung kam am Montag aus der Regierung selbst. Sie stammte von Innenministerin Suella Braverman, eine kontroverse Figur vom rechten Rand der Tory-Partei, die Sunak (offenbar erfolglos) auf ihren Posten gehoben hat, um sich das Wohlwollen der Brexit-Hardliner zu erkaufen. Braverman warnte Sunak davor, ein geplantes Gesetz zu kippen, mit dem London das Nordirland-Protokoll einseitig aufkündigen könnte. Dass Großbritannien damit internationales Recht brechen würde, ist aus Sicht der Juristin Braverman offenbar kein Problem.

Der Gesetzentwurf hat in Brüssel erwartungsgemäß für großes Unbehagen gesorgt. Dessen Rücknahme dürfte eine der Bedingungen der EU für ein überarbeitetes Nordirland-Protokoll sein. Kein Wunder also, dass die Brexit-Hardliner genau dieses Gesetz dazu nutzen, um Sunaks Pläne für einen Deal mit der EU zu torpedieren.

Zusätzliche Kritik kam von Jacob Rees-Mogg, einem weiteren einflussreichen Brexit-Hardliner. Er warf Sunak am Dienstag vor, bei den Verhandlungen über das Nordirland-Protokoll wie die ehemalige Premierministerin Theresa May vorzugehen, indem er die DUP und den rechten Rand der Tory-Partei nicht zuvor über einen möglichen Kompromiss konsultiert habe. Das war eine unmissverständliche Warnung: Schließlich haben die Brexit-Hardliner und die DUP Theresa Mays Sturz herbeigeführt, indem sie gegen ihren Brexit-Deal gestimmt haben.

Und ein weiterer alter Bekannter, der in der Vergangenheit den Brexit häufiger als Karriere-Sprungbrett genutzt hat, meldete sich zu Wort: Boris Johnson. Er ließ am Wochenende über einen Vertrauten streuen, dass es aus seiner Sicht „ein großer Fehler“ wäre, das Gesetz zu kippen, das es London ermöglichen würde, Teile des Nordirland-Protokolls aufzuheben. Schließlich könnte man darüber ja Druck auf Brüssel ausüben.

Johnson, der im Sommer über eine nicht enden wollende Serie von Skandalen gestürzt ist, arbeitet schon seit Wochen unübersehbar an seiner Rückkehr auf den Posten des Premiers. Kürzlich reiste der begnadete Selbstdarsteller mit dem Hang zur Unwahrheit sogar überraschend nach Kiew, gegen die ausdrückliche Bitte der Regierung.

Dass ausgerechnet Johnson das Nordirland-Protokoll dazu nutzen könnte, um Sunak zu torpedieren, könnte ironischer nicht sein. Schließlich ist das Protokoll Teil des Brexit-Abkommens, das Johnson im Dezember 2020 persönlich unterschrieben und in den höchsten Tönen gelobt hat. Den Gegnern des Protokolls hatte Johnson offenbar versprochen, dass er es „zerreißen“ würde, sobald der Deal einmal steht, erklärte ein führender DUP-Politiker später.

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Da das nicht geschah, nahm der Unmut bei der DUP und am rechten Rand der Tory-Partei in den vergangenen Monaten merklich zu. Die DUP boykottiert seit einem Jahr deswegen sogar die nordirische Regionalregierung, in der sich gemäß dem Friedensabkommen die größte unionistische und republikanische Partei die Macht teilen müssen. Die Region verfügt seitdem deswegen über keine Regierung. Denn das Nordirland-Protokoll sorgte dafür, dass Nordirland nach dem Brexit im EU-Binnenmarkt für Waren verblieben ist. Zolltechnisch wird die Region weiter so behandelt, als sei sie Teil der Europäischen Zollunion. So sollte eine erneute Einführung einer Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindert werden – die für die pro-irischen Republikaner indiskutabel wäre. Das Problem: Diese Grenze verläuft nun faktisch zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs. Sowohl für die nordirischen Unionisten als auch für die Brexit-Hardliner ist das ein Unding.

Die Brexit-Hardliner bei den Tories lehnen darüber hinaus jegliche Rolle des Europäischen Gerichtshofs in Fragen ab, die Nordirland betreffen. Brüssel bestand bis vor Kurzem darauf, dass das oberste Gericht der EU bei Streitfragen, die den Binnenmarkt betreffen, zuständig sein müsse. Und das eben auch in Nordirland. Ein Kompromiss dürfte schwierig sein.

Von dem anhaltenden Hickhack bei den Tories profitiert die Opposition. Die Labour-Partei liegt schon seit Monaten in Umfragen dermaßen weit vorne, dass die zerstrittenen Tories bei Neuwahlen als politische Kraft so gut wie verschwinden könnten. Die Partei legte zuletzt sogar noch einmal zu.

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Deren Chef Keir Starmer hat sich in den Streit mit einem geschickten Schachzug eingebracht: Er bot Sunak seine Unterstützung an, falls der dem Parlament einen eventuellen Nordirland-Deal mit Brüssel zur Abstimmung vorlegen sollte. Damit ließ Starmer die Briten nicht nur öffentlichkeitswirksam wissen, dass Labour keine Schuld an dem anhaltenden Brexit-Hickhack trifft. Er ließ Sunak auch wie einen schwachen Premier erscheinen, der seine eigene Partei nicht im Griff hat. Eine baldige Normalisierung des Verhältnisses zur EU dürfte auch Starmers geplante Annäherung an die EU erleichtern, falls Labour die kommenden Wahlen wie erwartet gewinnt.

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