Brüsseler Luxushotel „Amigo“ „Hier in der Bar wurden teilweise mehr Entscheidungen getroffen als oben bei der EU“

Ein Angestellter justiert das Geschirr im „Ambassador Ballroom“ Quelle: PR

Im Brüsseler Luxushotel „Amigo“ übernachten deutsche Regierungschefs seit Jahrzehnten. Auch Olaf Scholz reserviert sich dort immer gerne ein Zimmer. Über einen Ort, der mehr ist als nur ein Hotel.

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Was haben Helmut Kohl, Karl Marx, Louis Armstrong, Steven Spielberg, Edith Piaf und Willy Brandt gemeinsam? Sie alle übernachteten schon im „Amigo“ in der Altstadt von Brüssel.

Während draußen Touristen mit Einkaufstüten in Richtung der berühmten Grand Place strömen, zeigt Jan Nielsen auf eine Einbuchtung am Ende der Hotelbar: „Da hat immer Frau Merkel gesessen.“ Der Däne ist seit 2018 Managing Director des Luxushotels.

In der Bar sitzen nur vereinzelte Gäste. Doch wenn am heutigen Dienstag der dritte EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel fortgesetzt wird, werden Nielsen und seine Mitarbeiter wieder sehr viel mehr zu tun haben: Staatschefs samt Entourage reservieren gerne Zimmer in dem Luxushotel. Der dänische Hotelchef stellt sich auf intensive Stunden ein: „Wenn die da sind, ist es immer sehr busy.“

Seit Helmut Kohls Regierungszeit hat sich das Luxushotel „Amigo“ für das Bundeskanzleramt zur festen Unterkunft in Brüssel entwickelt. Auch französische und italienische Regierungsdelegationen sind inzwischen Stammgäste sowie vereinzelt andere Staatschefs, über deren Namen sich Nielsen jedoch ausschweigt: „Wenn die wollen, dass Sie wissen, wo sie wohnen, werden sie es Ihnen schon sagen.“ Weil die Politiker in seinem Hotel oft bis spät in die Nacht zusammensäßen, sagt er: „Ich glaube, teilweise wurden mehr Entscheidungen hier in der Bar getroffen, als oben bei der EU.“

Allein die Bundesregierung benötige bei EU-Gipfeln 30 bis 40 Zimmer, inklusive Unterkünften für die belgische Polizei und die deutschen Sicherheitsleute, so Nielsen. Außerhalb der Saison kosten die günstigsten Zimmer 300 Euro pro Nacht, für die größte Suite inklusive Dachterrasse werden 10.000 Euro fällig. Großkunden wie Regierungen erhielten freilich Sonderpreise, sagt Nielsen. Welche genau, das verrät er nicht. Auch nicht, wie viel die Bundesregierung bezahlen müsse, wenn sie kurzerhand die Zimmer storniert, weil ein Gipfel statt zwei Tagen schon nach einem Tag abgeschlossen wird.

Hier checken Bundeskanzler ein. Quelle: PR

Die längste Zeit in der 500 Jahre langen Geschichte des „Amigo“ zahlten Menschen für Übernachtungen allerdings nicht mit Geld sondern mit ihrer Freiheit.

Dunkle Vorgeschichte

Am Ort des heutigen Luxushotels wurde 1522 ein Gefängnis gebaut, direkt neben dem Rathaus und dem Grand Place. Im Rathaus hielt die Stadt Gerichtsprozesse ab auf dem großen Platz wurden öffentlich Todesurteile vollstreckt.

Der Gefängnis-Name „Amigo“ geht auf eine Verwechslung zurück: Im Laufe des 16. Jahrhunderts fiel Brüssel unter spanische Herrschaft. Die spanischen Soldaten verwechselten das flämische Wort „Vrunt“ (Gefängnis) mit „Friend“ und tauften den Ort daraufhin spanisch: „Amigo“. Das Wort etablierte sich im Volksmund, und hält sich bis heute. Das Gefängnis „Amigo“ musste neu errichtet werden, nachdem Frankreichs Truppen unter Ludwig XVI. das Gebäude sowie große Teile des „Grand Place“ 1695 bombardiert und zerstört hatten.

Im 19. Jahrhundert kam der erste berühmte Deutsche ins „Amigo“: Karl Marx wurde im März 1848 inhaftiert. Marx habe Waffen für Arbeiter aus Brüssel beschafft, hieß es im Haftbefehl. Ein Vorwand: Die Polizisten fanden keine Waffen das junge belgische Königreich hatte aber Angst vor Marx' Kontakten zu jenen Revolutionären in Frankreich, die Belgien annektieren wollten, schreibt Benoît Vandevelde im Buch „L'Amigo et Bruxelles“. Nach nur einer Nacht im „Amigo“ wurden Marx und seine Frau freigelassen und zur französischen Grenze eskortiert.

Promis aus Popkultur und Politik

Das Hotel „Amigo“ wurde anlässlich der Weltausstellung in Brüssel 1958 für VIP-Gäste eröffnet. Der berühmte Chansonnier Jacques Brel war bei der Grundsteinlegung dabei, die Liste der prominenten Gäste in den folgenden Jahrzehnten liest sich wie ein „Who is Who“ der Popkultur: Serge Gainsbourg, Nat King Cole, Sean Connery, Nicole Kidman, Harrison Ford, Beyoncé, Jay-Z, Bono und Harry Styles sie alle residierten bereits im „Amigo“.

Eine der Suiten im Hotel „Amigo“ Quelle: PR

Warum das Hotel kontinuierlich deutsche Regierungschefs anzieht, ist für Jan Nielsen leicht zu erklären: Das „Amigo“ habe sich zunehmend als wichtigstes Luxushotel etabliert außerdem sei die benachbarte Polizeistation ein Faktor. Und: „Wir behandeln die Staatschefs wie ganz normale Leute“, sagt er. So könnten sich die Politiker wie zu Hause fühlen.

Negative Schlagzeilen machte das Hotel 2006, als ein belgisches Fernsehteam eine funktionsfähige Bombe und eine geladene Waffe in das Hotel schmuggelte, in dem Angela Merkel und Amtskollege Jacques Chirac während eines EU-Gipfels logierten. Gefährdet waren die Staatschefs indes nicht, wie die belgische Polizei betonte. Trotz einmaliger Sicherheitspanne blieben die Regierungen dem Hotel „Amigo“ als Staatsgäste erhalten.

„Das ist ein Staatschefzimmer“

General Manager Nielsen sagt, sein Team lerne die Staatschefs über die Jahre gut kennen: „Von Zeit zu Zeit müssen wir neuen Mitarbeitenden der Staatschefs erklären, was sie lieben. Denn wir wissen es besser, als das neue Personal.“ Dass die Bundesregierung immer wieder das Hotel „Amigo“ ansteuere, sei auch „einfacher für sie, weil wir sie kennen“. Die Abläufe seien eingespielt, „wie ein Autopilot“. Er stehe auch im regelmäßigen Austausch mit der deutschen Botschaft in Brüssel. Der dänische Hotelchef spricht neben Französisch und Englisch unter anderem auch Deutsch.

Aus der „Grand Place“-Suite haben Gäste einen Ausblick auf den benachbarten Rathausturm. Quelle: PR

Nielsen führt durch sein Hotel, zeigt Standardzimmer und öffnet dann die Tür zu einer luxuriösen Suite: „Das ist ein Staatschefzimmer“, sagt er, und durchschreitet die vielen Räume des etwa 180 Quadratmeter großen Ensembles: Wohnzimmer, Esszimmer, Schlafzimmer, Ankleidezimmer, dann die Dachterrasse mit Blick über die Stadt und auf den hohen Rathausturm.

So kommen also Kanzler oder Präsidenten unter oder Popstars. Nielsen bleibt betont bescheiden: „Für uns ist ein Gast ein Gast. Und jeder hat seine Bedürfnisse.“ Aber wenn Olaf Scholz oder Emmanuel Macron im „Amigo“ einchecken, gibt es einen entscheidenden Unterschied für den Hotelmanager, der südlich von Brüssel in Waterloo lebt: Wohnen Staatschefs im „Amigo“, dann bleibt Nielsen „24/7 im Hotel“.

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von Volker ter Haseborg, Silke Wettach

Ob er Ambitionen hegt, den US-Präsidenten Joe Biden bei einem NATO-Besuch in Brüssel in seinem Hotel unterzubringen? Nielsen winkt ab: Dafür sei das „Amigo“ viel zu klein. Der US-Präsident reise üblicherweise mit einer sehr großen Delegation und benötige „ungefähr 300 Zimmer“ fast zehn Mal mehr als Scholz. Die US-Delegation reserviere ein ganzes Hotel das verhindert allerdings spontane Unterhaltungen beim Frühstück oder nachts an der Bar mit anderen Staatschefs.

Ob sich Scholz und andere Staatschefs im „Amigo“ nachts bei einem Wein oder morgens bei einem Croissant begegnen in der Hotelbar, in der auch schon Angela Merkel saß? Nielsen und seine Belegschaft werden wohl keine Details verraten. Diskretion sei schließlich ein wichtiger Teil des Geschäfts, betont der Hotelchef: „Wir hören nichts und sehen nichts.“

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