EU-Austritt May scheitert mit Brexit-Abkommen

Brexit-Abstimmung: Theresa May Quelle: dpa Picture-Alliance

Das britische Unterhaus hat das Brexit-Abkommen abgelehnt, Premierministerin Theresa May kassiert eine krachende Niederlage. Zwei Drittel stimmten gegen den Vertrag. Deutsche Wirtschaftsverbände sind alarmiert.

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Premierministerin Theresa May hat die Abstimmung über ihr Brexit-Abkommen in Parlament verloren. Das Unterhaus votierte am Dienstagabend mit 432 zu 202 Stimmen dagegen. Der Ausgang war im Vorfeld erwartet worden, weil auch viele Abgeordnete von Mays Konservativer Partei gegen das Abkommen waren.

May sagte nach der Abstimmung, die Regierung werde dem Votum des Parlaments folgen. Oppositionsführer Jeremy Corbyn forderte eine Vertrauensfrage. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bedauert den Ausgang des Votums. Das Risiko eines unordentlichen EU-Austritts des Landes sei damit gestiegen, sagte er. Man hoffe den Weg zu vermeiden, bereite sich aber darauf vor. Das Vereinigte Königreich müsse nun seine Absichten so bald wie möglich klar machen.

Noch am Montag hatte May versucht, die Abgeordneten mit einem leidenschaftlichen Appell umzustimmen. Nur die Zustimmung zu dem mit der EU ausgehandelten Abkommen könne einen ungeordneten EU-Austritt oder eine Abkehr vom Brexit verhindern, warnte May. „Geben Sie diesem Deal eine zweite Chance“, rief sie den Abgeordneten zu. Nun ist sie mit ihrem Abkommen krachend gescheitert. Noch am Abend stellte die Opposition einen Misstrauensantrag gegen die Regierung. May will sich diesem bereits an diesem Mittwoch im Parlament stellen. „Das Unterhaus hat gesprochen und die Regierung wird zuhören“, kündigte May nach der Abstimmung an.

Jetzt droht ein harter Brexit

Das Brexit-Votum aus dem Jahr 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU stimmte, hat alte Gewissheiten über den Haufen geworfen. Die Zerstrittenheit unter den Abgeordneten spiegelte sich auch auf der Straße wider. Demonstranten, die für und gegen den Brexit sind, versammelten sich am Dienstag lautstark vor dem Parlamentsgebäude. „Stop the Brexit mess!“ (Stoppt das Brexit-Durcheinander“) schrien die einen, „No Deal? - No Problem!“ (Kein Abkommen? - kein Problem!) die anderen. EU-freundliche Fahrer der typischen Londoner Doppeldecker-Busse hupten solidarisch.

Die Zeit wird knapp. Immer näher rückt der Austrittstermin 29. März, der in Großbritannien sogar gesetzlich festgeschrieben wurde. Eine Verlängerung der Frist lehnte May immer wieder vehement ab. Sollte es keine Einigung auf ein Abkommen mit Brüssel geben, droht der ungeregelte Austritt mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche.

Nach dem Willen des Parlaments muss die Regierung bis zum kommenden Montag (21.1.) einen Plan B vorlegen, über den innerhalb von sieben Sitzungstagen abgestimmt werden soll – also spätestens am 31. Januar. Doch es ist unklar, ob die Regierung rechtlich an diese Vorgaben gebunden ist. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat das Scheitern des Brexit-Vertrags im britischen Unterhaus bedauert. „Wenn ein Deal unmöglich ist und niemand einen No-Deal will, wer wird den Mut haben zu sagen, wie die einzige positive Lösung aussieht?“, fragte Tusk am Dienstagabend auf Twitter.

Deutsche Wirtschaftsvertreter alarmiert

Die Folgen eines harten Brexits dürften für Großbritannien und die EU-Staaten gravierend sein. Laut Christian Sewing, Vorstandschef der Deutschen Bank, erwarten die Ökonomen seines Geldhauses bei einem ungeordneten Ausstieg der Briten, dass das Land für „mindestens zwei Jahre“ in eine Rezession rutscht. Auch die übrige EU würde einen halben Prozentpunkt ihrer Wirtschaftsleistung einbüßen.

In Deutschland äußerte sich nach der Abstimmung auch BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang besorgt: „Die Ablehnung des Austrittsabkommens ist dramatisch. Wo Vernunft gefragt gewesen wäre, hat die Hysterie gewonnen. Die Chance, einen Ausweg aus dem Chaos zu finden, ist vorerst vergeben. Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche Nähe.“ Lang betonte, dass ein Handelsvolumen von 175 Milliarden Euro zwischen Großbritannien und Deutschland auf dem Spiel stehe. Eine nun drohende Rezession der britischen Wirtschaft würde an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen.

VDA-Präsident Bernhard Mattes hält eine Verschiebung des Austrittstermins angesichts deutlichen Ablehnung des Brexit-Abkommens für sinnvoll. „Die Folgen eines 'No-Deal-Szenarios' wären fatal. Das Austrittsabkommen abzulehnen, ohne dass es eine konkrete Alternative für einen anderen gangbaren Weg gibt, ist politisch fahrlässig. Alle Beteiligten sollten jetzt besonnen agieren und daran arbeiten, einen Hard Brexit noch abzuwenden.“

„Das Votum ist ein harter Warnschuss für alle Beteiligten“, kommentierte Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, die Entscheidung. „Eine Schockstarre darf sich aber niemand erlauben. Die Briten müssen jetzt klären, ob sie politisch noch handlungsfähig sind. Wir wissen weiterhin nur, was die Mehrheit nicht will: Es braucht aber endlich Mehrheiten, um einen fatalen harten Brexit zu verhindern.“

DIHK-Präsident Eric Schweitzer glaubt nicht, dass eine Verschiebung des EU-Austritts um einige Wochen, über die noch vor der Abstimmung spekuliert worden war, alle Hindernisse aus dem Weg räumen würde: „Letztendlich bliebe der gordische Brexit-Knoten weiter ungelöst.“ Die Unternehmen müssten sich jetzt verstärkt auf einen chaotischen Brexit vorbereiten.

Brexit means Brexit?

Ein nun drohendes Misstrauensvotum gegen die Premierministerin würde die Lage sicher nicht vereinfachen. Wenn man May etwas als Stärke auslegen will, dann ist es ihre Zähigkeit, trotz wiederholter Rückschläge an ihrem Amt festzuhalten. Doch längst halten Beobachter diese Widerstandsfähigkeit für gefährliche Sturheit. Der Journalist Steve Richards glaubt gar, dass May einen Punkt erreicht hat, an dem sie ihr eigenes politisches Überleben mit dem Interesse des Landes gleichsetzt. „Das ist immer gefährlich, weil es fast immer falsch ist“, so Richards.

Die EU-Kommission hat ihre Notfallplanung für ein ungeordnetes Ausscheiden Großbritanniens aus der Union vorgelegt. Brüssel schickt damit die deutliche Botschaft nach London, wie unschön ein harter Brexit wird.
von Silke Wettach

Zur Überraschung vieler in Europa interpretierte die EU-Befürworterin May das knappe Votum der Wähler im Jahr 2016 so wie die verbohrtesten Brexit-Enthusiasten im Parlament. Mit ihren roten Linien manövrierte sie sich bald in eine Ecke, aus der sie keinen Ausweg mehr fand. „Brexit bedeutet Brexit“ wurde gleichbedeutend mit Austritt aus der Zollunion, Austritt aus dem Binnenmarkt und keiner Rolle mehr für den Europäischen Gerichtshof.

Dass es für diese Interpretation des Wählerwillens keine Mehrheit im Parlament gab, war schon von Anfang an klar. Doch anstatt auf Teile der Opposition zuzugehen, versuchte May das Problem mit einer Neuwahl zu lösen und verschlimmerte ihre Situation damit erheblich. Sie verlor ihre Mehrheit im Parlament und war fortan auf die Unterstützung der DUP angewiesen. Die schwierige Frage, wie die Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland trotz Brexits in jedem Fall offenbleiben kann, war damit kaum zu lösen. Die DUP schloss jeglichen Sonderstatus für Nordirland aus.

May ohne Mittel gegen Spaltung

Das Parlament musste der Regierung wieder und wieder ein Mitspracherecht am Brexit-Kurs abtrotzen. May und die Brexit-Hardliner in ihrer Partei schwangen sich zur einzig legitimen Auslegungsinstanz des Volkswillens auf. Wer sich dem in den Weg stellte, wurde von der Boulevardpresse zu „Volksfeinden“ erklärt, wie die drei Richter des britischen High Courts, die Ende 2016 entschieden, dass das Parlament nicht übergangen werden kann beim Auslösen des EU-Austritts nach Artikel 50 der EU-Verträge.

Keine Schuld hat May hingegen an der Spaltung der Briten in EU-Befürworter und Brexit-Anhänger, die noch immer mitten durch die Gesellschaft geht. Umfragen zeigen, dass sich seit 2016 so gut wie nichts geändert hat. Aber May hat auch nichts dafür getan, diese Spaltung zu überwinden. Ihre Aufrufe zu Einigkeit und Versöhnung waren stets hohl, substanzielle Zugeständnisse an diejenigen, die den Brexit für einen historischen Fehler halten, gab es nie. Nun könnte sie möglicherweise dazu gezwungen sein.

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