Wiederaufbaukonferenz Wird in Zukunft eingefrorenes russisches Geld für die Ukraine arbeiten?

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, hält per Videolink eine Rede bei der Ukraine Recovery Conference in London. Quelle: dpa

Auf der internationalen Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in London wurden milliardenschwere Hilfen und Kredite in Aussicht gestellt. Die weitreichendsten Ankündigungen kamen von der EU – und sorgten für Aufsehen.

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Eigentlich wurden auf der Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine, die diese Woche in London abgehalten wurde, keine atemberaubenden Entwicklungen erwartet. Schließlich tauschen sich westliche Regierungen und internationale Institutionen in dieser Frage fortwährend über die gewohnten Kanäle aus. Auf der zweitägigen Konferenz, die Großbritannien und die Ukraine gemeinsam ausgerichtet haben, sollten lediglich alle neuen Zusagen und Absichtserklärungen gebündelt vorgestellt werden. Ein demonstrativer Schulterschluss und ein politisches Signal, gut für die Moral und wichtig für die Außenwirkung.

Die EU hat der Ukraine im vergangenen Jahr 30 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Geldmittel zweigte Brüssel bei seinen Energie- und Kohäsionsfonds ab. Diese Woche stellte Brüssel weitere 50 Milliarden Euro in Form von Krediten und Fördergeldern in Aussicht. Diese sollen über vier Jahre hinweg ausgezahlt werden.

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In ihrer Rede erklärte von der Leyen, wie diese Mittel aufgebracht werden könnten: „Mit Zuschüssen aus dem EU-Haushalt, mit auf Kapitalmärkten aufgenommenen Krediten, und schließlich mit Erlösen aus den immobilisierten russischen Vermögenswerten.“ Einen diesbezüglichen Plan werde die EU-Kommission noch vor der Sommerpause vorlegen.

Die Regierung in Kiew fordert schon seit dem vergangenen Jahr von westlichen Regierungen, eingefrorene Gelder des russischen Staates und sanktionierte Vermögen russischer Oligarchen in die Ukraine zu überweisen, wo diese für den Wiederaufbau verwendet werden sollen.

Bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch im Februar 2022 haben die EU, die USA, Kanada, Japan und weitere Staaten russische Devisenreserven in Höhe von 300 Milliarden Dollar eingefroren. Der Großteil – über 200 Milliarden Euro – liegt in Europa.

Ganz so weit, wie es sich Kiew wünschen würde, geht die EU mit ihrem Vorstoß derzeit noch nicht. Von einer Enteignung russischer Staatsgelder ist derzeit noch nicht die Rede. Stattdessen befasst sich Brüssel mit der Frage, die Gewinne aus den sanktionierten Vermögenswerten zu nutzen. Dennoch markiert der Vorstoß eine radikale Wende. Und die könnte für Verwerfungen sorgen.

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Denn Brüssel würde mit dem bislang beispiellosen Schritt mit Sicherheit eine Klagewelle lostreten. Europas Gerichte könnten auf Jahre hin damit beschäftigt sein, die Legalität des Vorgehens zu prüfen. Dabei stünden auch ganz grundlegende Fragen zur Debatte, darunter die Rolle von Devisenreserven zur Stabilisierung von Währungen und der internationale Schutz von Staatseigentum.

Ganz allein muss sich von der Leyen dabei nicht vorwagen. Die USA haben bereits im vergangenen Monat erstmals Gelder aus dem beschlagnahmten Vermögen eines russischen Oligarchen in die Ukraine überwiesen. Die amerikanischen Behörden überprüfen mögliche weitere Schritte. Die Regierung in London kündigte Anfang der Woche an, dass sie ihre Sanktionen gegen Russland so lange aufrecht erhalten möchte, bis Moskau Reparationen an die Ukraine gezahlt hat. Ein geplantes neues Gesetz soll sogar die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte ermöglichen.

Russland zeigte sich über die Überlegungen denkbar wenig begeistert. Andrej Kelin, Moskaus Botschafter in London, bezeichnete die Pläne als illegal. „Niemand kann dieses Geld verwenden, es ist Geld des Staates.“

Neben der EU stellten auch die USA weitere 1,3 Milliarden Dollar an Hilfen in Aussicht. London sagte 240 Millionen Pfund an bilateralen Unterstützungen zu und möchte gegenüber der Weltbank drei Milliarden Pfund an Kreditgarantien für die Ukraine abgeben. Premierminister Rishi Sunak erklärte, dass mehr als 500 Unternehmen aus 42 Ländern Investitionen zugesichert hätten, die sich auf über 5,2 Milliarden Dollar beliefen. Mit dabei sind Weltkonzerne wie Google, Siemens, Vodafone, Hitachi, Virgin Group, Rolls-Royce und Philips.

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Gemessen an den immensen Kosten des Wiederaufbaus sind die bislang angekündigten Kredite und Hilfsgelder jedoch derzeit noch nicht viel mehr als Tropfen auf den heißen Stein. Im März bezifferte die Weltbank die Kosten des Wiederaufbaus in einem gemeinsamen Bericht mit der Europäischen Kommission, den Vereinten Nationen und der ukrainischen Regierung auf 383 Milliarden Euro.

Eine der größten Herausforderungen bei der Finanzierung des Wiederaufbaus: Gelder in Wiederaufbauprojekte stecken, solange der Krieg noch nicht einmal vorbei ist. „Man weiß nicht, wie lange der Krieg noch andauern wird, und ob das, in das man investiert, eine Woche später zerstört wird“, sagte kürzlich Odile Renaud-Basso, die Präsidentin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), Reportern in Brüssel.

Der Londoner Thinktank „Centre for Economic Policy Research“ (CEPR) hat sich schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn für einen raschen Wiederaufbau der Ukraine ausgesprochen. Im April 2022 veröffentlichte die Denkfabrik einen Bericht mit dem Titel „A Blueprint for the Reconstruction of Ukraine“, auf Deutsch „Eine Blaupause für den Wiederaufbau der Ukraine“. „Wir haben versucht, aktuell, relevant und schnell zu sein“, sagte damals Simon Johnson, einer der acht Autoren. In ihrem Bericht orientierten sich die Autoren an historischen Wiederaufbauprojekten. Darunter: Der Marshallplan, der Wiederaufbau Afghanistans und des Iraks, Wiederaufbauprojekte nach Naturkatastrophen – und die Deutsche Wiedervereinigung.

Ende 2022 veröffentlichte CEPR ein 467 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel „Rebuilding Ukraine: Principles and policies“. Darin befassten sich zahlreiche Autoren mit Fragen wie: Wie müsste der Finanzsektor der Landes wiederaufgebaut und weiterentwickelt werden? Welche Bildungsreformen könnten den Wiederaufbau voranbringen? Wie müsste der Arbeitsmarkt umgestaltet werden? Und: Was ist zu tun, um die Korruption in den Griff zu bekommen?



Die zentrale Herausforderung beim Wiederaufbau beschreibt CEPR dabei so: „Beim Wiederaufbau geht es nicht darum, die Ukraine wieder in den Vorkriegszustand zu versetzen. Es geht um eine tiefgreifende Modernisierung des Landes auf dem Weg zum EU-Beitritt.“ Alle entscheidenden Elemente der Wirtschaft und Gesellschaft müssten sich Reformen unterziehen, „um der Ukraine dabei zu helfen, ihrem postsowjetischen Erbe zu entkommen und eine vollwertige Demokratie mit einer modernen Wirtschaft, starken Institutionen und einem leistungsstarken Verteidigungssektor“ zu werden.

Korruption taucht dabei in den Berichten und Überlegungen zum Wiederaufbau der Ukraine prominent auf. Schließlich landete das Land auf der Korruptions-Rangliste von Transparency International im vergangenen Jahr auf dem Rang 116 von 180. Die berechtigte Sorge: dass Gelder in dunklen Kanälen verschwinden könnten.

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Beispiel dafür gibt es in der jüngeren Geschichte: So flossen Studien zufolge 100 Milliarden Dollar in den Wiederaufbau Afghanistans, 60 Milliarden Dollar in den Irak. Der durchschlagende Erfolg blieb jedoch aus. Solveig Richter, Politologin an der Universität Leipzig, spricht sich daher dafür aus, die Unterstützung zu dezentralisieren. Richter sagte kürzlich der WirtschaftsWoche, sie empfehle „Projekte und Initiativen vor Ort statt Großprogramme, die von oben verordnet werden“. Eine unabhängige Justiz und Kontrollinstanzen wie Rechnungshöfe und Aufsichtsbehörden seien langfristig notwendig, um für Rechts- und Investitionssicherheit in der Privatwirtschaft zu sorgen.

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