Arbeitslosigkeit „Es geht nicht ohne Sanktionen“

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt aktuell um rund 200.000 höher als vor Corona. Quelle: imago images

Was bedeutet die Konjunkturschwäche für Menschen, die jahrelang ohne Job sind? Arbeitsmarktökonom Enzo Weber warnt vor einer Spirale nach unten – und fordert effizientere Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer.  

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WirtschaftsWoche: Herr Weber, der deutsche Arbeitsmarkt beginnt zu schwächeln. Wie stark trifft das Menschen, die schon längere Zeit arbeitslos sind?    

Enzo Weber: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt aktuell um rund 200.000 höher als vor Corona. Wir haben nun seit vier Jahren Krise, und bei jedem Tief ist es uns gelungen, die existierenden Jobs zu sichern. Zugleich aber sind die Chancen, aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraus einen neuen Job zu finden, enorm gesunken. Dadurch entsteht eine Spirale nach unten: Arbeitserfahrungen und Qualifikationen veralten, es kommt zur sozialen Stigmatisierung. Die Bretter, die man bohren muss, werden immer dicker. 

Aber bohren sollte man schon. Was ist dran an dem Vorwurf, das Bürgergeld habe die Anreize zur Arbeitsaufnahme reduziert?

Die Bürgergeldreform hat viele Vorteile in Richtung Qualifizierung und berufliche Entwicklung gebracht. Sie hat aber auch mit dazu geführt, dass die Jobaufnahmen aus der Grundsicherung zurückgegangen sind. Aktuell sind wir in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Wenn sich die Konjunktur erholt, dürfte das eine leichte Entspannung bringen. Aber das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit wird uns noch lange begleiten.

Zur Person

Die Bundesregierung hat nach langem Hin und Her die zuvor gelockerten Sanktionen  für Arbeitsverweigerer verschärft.  Ein sinnvoller Schritt oder reine Symbolpolitik?

Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Sanktionen die Arbeitsaufnahme erhöhen. Sowohl bei den Personen, die sanktioniert werden, als auch bei denen, die nicht sanktioniert werden wollen. Die Menschen passen ihr Verhalten an, wenn Konsequenzen drohen, das ist ja Sinn der Sache. Sanktionen haben aber auch eine Kehrseite. Sie zwingen Menschen teilweise in schlechte und nicht nachhaltige Jobs, die nicht zu ihnen und ihren Qualifikationen passen. Und ein komplettes Streichen des Bürgergeldes, wie es die Regierung jetzt zeitlich befristet plant, halte ich für problematisch.

Warum?

Es geht nicht ohne Sanktionen, aber der Staat braucht das richtige Maß. Wenn Sie richtig hart zulangen, wenden sich Menschen womöglich vom System ab und verschwinden aus der Arbeitsvermittlung. Damit ist nichts gewonnen.

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Und was ist für Sie die Alternative?  

Sinnvoll wäre ein Mittelweg zwischen sehr laxen und sehr harten Regeln. So müsste man bei Verstößen das Bürgergeld nicht komplett streichen, könnte aber dafür mit Sanktionen früher beginnen und sie länger laufen lassen als die jetzt geplanten drei Monate. Wenn jemand wieder kooperiert, kann man eine längere Sanktion dann jederzeit aufheben. Das wäre der ausgewogenere Weg.

Eine gute Maßnahme sind zudem Eingliederungszuschüsse für Arbeitslose, die in der ersten Zeit im neuen Job nur verminderte Leistung bringen können und Betreuung brauchen. Der Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit besteht aus unzähligen kleinen Schritten.

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Es gibt Arbeitslose, die wegen diverser Probleme nicht vermittlungsfähig sind. Macht es Sinn, für diese Menschen einen staatlich organisierten dritten Arbeitsmarkt einzurichten?

Ja, ein solcher sozialer Arbeitsmarkt existiert ja bereits. Rund zwei Drittel der arbeitslosen Bürgergeldbezieher verfügen über keinen Schul- oder Berufsabschluss, manche haben aktuell keine realistische Chance auf einen regulären Arbeitsplatz. Wichtig ist aber, dass man den sozialen Arbeitsmarkt hinreichend restriktiv handhabt. Deutlich mehr als 100.000 Stellen sollten es nicht sein. Denn wenn das ausufert, subventioniert der Staat am Ende alles Mögliche und hält Leute in subventionierten Jobs, die vielleicht noch eine Entwicklungschance in Richtung regulären Arbeitsmarkt haben.

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