Stagflation „Das größte Risiko für die Zukunft des Euro sehe ich in Frankreich“

Wachstum, Preisstabilität und Finanzstabilität. Das ist in einer Welt überbordender Schulden kaum möglich. Quelle: REUTERS

Der US-Ökonom Nouriel Roubini warnt vor einer Abwärtsspirale aus Bankenkrise und Rezession. Die Notenbanken werden die Zinsen nicht stark genug anheben, um die Inflation zu besiegen. Die Weltwirtschaft steht vor einer lang anhaltenden Stagflation. 

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WirtschaftsWoche: Professor Roubini, die Turbulenzen im Bankensektor haben die Finanzmärkte in Unruhe versetzt. Anleger sind verunsichert, wie es weiter geht. Steht die Weltwirtschaft vor einer neuen Finanzkrise?
Nouriel Roubini: Die Unruhen im Bankensektor, die wir derzeit erleben, sind das Symptom für eine schwere Krankheit, unter der die Weltwirtschaft leidet. Regierungen, private Haushalte, Unternehmen, Banken, Schattenbanken – sie alle haben sich in den vergangenen Jahren Schulden aufgeladen, die nur bei niedrigen Zinsen tragbar sind. Jetzt, da die Zinsen steigen, wird es für die Schuldner immer schwieriger, ihre Außenstände zu bedienen. 

Noch aber hat es keine nennenswerten Kreditausfälle gegeben. 
Aber die Forderungen in Form von Staatsanleihen in den Bilanzen der Banken sind im Wert gefallen. In den USA sind die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen im vergangenen Jahr von einem auf rund drei Prozent gestiegen. Das hat die Anleihekurse um 20 Prozent nach unten gedrückt. Vermeintlich sicherere Staatsanleihen haben den Anlegern größere Verluste beschert als Aktien. Viele Investoren hatten das Bewertungsrisiko, das bei steigenden Zinsen eintritt, ausgeblendet und nicht adäquat abgesichert. 

Zur Person

Dann sind die Probleme der Banken also das Resultat von Managementfehlern? 
Es waren Gier und mangelnde Vorsicht, die den Banken zum Verhängnis geworden sind. In den Jahren mit Nullzinsen haben Anleihen mit kurzer Laufzeit den Banken kaum Rendite gebracht. Also sind sie in Langläufer gegangen, die etwas höhere Renditen boten. Papiere mit langer Laufzeit verlieren in Phasen mit steigenden Zinsen aber besonders stark an Wert. Die Banken sind ins offene Messer gelaufen. 

Warum haben die Regulierungsbehörden nicht davor gewarnt?
In den USA wurden unter der Präsidentschaft von Donald Trump kleine und mittelgroße Banken von der harten Regulierung ausgenommen. Das war ein großer Fehler. Aber auch die Aufseher der Fed haben Fehler gemacht. Sie haben nicht intensiv genug geprüft, wie die Bankbilanzen bei stark steigenden Zinsen reagieren. Sie hielten dieses Szenario offenbar für vernachlässigbar. Zudem wurden die Risiken ausgeblendet, die sich aus der spezifischen Volatilität der Einlagen von Kunden aus dem Tech-Sektor ergeben. Nun droht eine wirtschaftliche Abwärtsspirale. 

Inwiefern? 
Die kleinen und mittleren Banken sind in Amerika der wichtigste Kreditgeber für Hauskäufer und Unternehmen. Wegen der erhöhten Unsicherheit dürften sie sich mit der Vergabe von Krediten zurückhalten. Das bremst die Investitionen und die Bauaktivitäten und erhöht die Gefahr einer Rezession. Schrumpft die Wirtschaft, brechen die Gewinne der Unternehmen und die Einkommen der Arbeitnehmer ein. Es kommt zu Zahlungsausfällen, die Banken müssen ihre Forderungen abschreiben und schlittern in die Krise. 

Das hört sich nicht gerade nach einer weichen Landung der Konjunktur an.
In den USA hat es noch nie eine weiche Landung gegeben, wenn die Inflation wie derzeit über fünf Prozent und die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent liegt und die Fed sich gezwungen sieht, die Leitzinsen anzuheben. Dann ist die Wirtschaft jedes Mal hart aufgeprallt. Das gilt auch für die Eurozone. 

In Europa zeigen die Stimmungsindikatoren derzeit aber nach oben.
Der Rückgang der Energie- und Rohstoffpreise könnte der Wirtschaft in Europa eine kurze Verschnaufpause verschafft haben. Aber die Zinserhöhungen und die Turbulenzen an den Finanzmärkten werden die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks in die Rezession treiben. Eine Kreditklemme drückt das Wirtschaftswachstum um 0,5 bis 0,75 Prozentpunkte nach unten, haben die Ökonomen von Goldman Sachs berechnet. 

Noch haben wir keine Kreditklemme.
Aber sie wird kommen. In den USA hat der Zinsanstieg den Banken unrealisierte Wertverluste bei Anleihen von 620 Milliarden Dollar beschert. Das entspricht etwa 28 Prozent ihres Eigenkapitals von 2200 Milliarden Dollar. Das wird die Kreditvergabe der Banken bremsen. Eine Rezession ist keine Frage des ob, sondern des wann. In Europa sieht es ähnlich aus. Umfragen der EZB zeigen, dass die Banken ihre Kreditstandards bereits verschärfen. 

Nicht alle Banken in Europa haben so viele Staatsanleihen in der Bilanz wie die US-Banken.
Das ist kein Grund zur Beruhigung. Deutsche Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit rentierten im Jahr 2020 mit minus 0,5 Prozent. Inzwischen liegt die Rendite bei 2,5 Prozent. Die Eigentümer der Anleihen sitzen daher auf hohen Kursverlusten. Irgendwo im System müssen diese Verluste auftauchen. Wenn nicht bei den Banken, dann bei den Versicherungen, den Pensionsfonds oder den Gegenparteien von Hedging-Geschäften. Verschwinden können die Verluste nicht. 

Die Notenbanken fahren derzeit eine Doppelstrategie. Einerseits wollen sie an ihrem geldpolitischen Straffungskurs festhalten, um die Inflation zu bekämpfen. Andererseits versorgen sie die Banken mit zusätzlicher Liquidität, um den Finanzsektor zu stabilisieren. Kann das funktionieren?
Ich bin da skeptisch. Tatsächlich versuchen die Notenbanken drei Ziele gleichzeitig zu erreichen: Wachstum, Preisstabilität und Finanzstabilität. Das ist in einer Welt überbordender Schulden kaum möglich. Die Schulden von Staaten, Unternehmen, Haushalten und Banken zusammen genommen liegen mittlerweile bei 350 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. In den 1970er-Jahren lag diese Quote erst bei 100 Prozent. Erhöhen die Zentralbanken die Zinsen weiter, droht eine Schuldenkrise, die in eine Finanzkrise und globale Rezession mündet. Dann nutzen auch Liquiditätsspritzen für einzelne Banken nichts. Ich fürchte, dass wir diesen Punkt erreicht haben. 

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