Deutscher Innovationspreis 2022 Neun Ideen, die Industrie und Alltag verändern werden

Die WirtschaftsWoche verleiht einmal jährlich den Deutschen Innovationspreis. Neun Firmen sind 2022 nominiert. Eine davon baut etwa Anwendungen für Virtual-Reality-Brillen, bei denen Übungen zu einem dreidimensionalen Computerspiel werden: Die Einheiten motivieren zum Beispiel Patienten nach einem Unfall dazu, virtuelle Früchte von einem Baum zu greifen oder mit Schlägeln auf eine Trommel zu schlagen. Quelle: Imago

Die WirtschaftsWoche kürt die innovativsten Start-ups, Mittelständler und Großunternehmen. Die nominierten Kandidaten revolutionieren grundlegende Arbeitsschritte in der Industrie, die Herstellung von Impfstoffen – oder sie helfen schwerkranken Patienten, zurück ins Leben zu finden.

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Krisen, das hat die Weltgeschichte immer wieder gezeigt, sind die Zeiten großen Innovationen. Insofern lohnt es sich gerade in turbulenten Zeiten wie heute besonders, einen genauen Blick auf das zu werfen, was in den Entwicklungsabteilungen deutscher Konzerne so alles passiert, wenn gerade mal nicht de Lieferketten abreißen oder die Mitarbeiter von einem auf den anderen Tag ins Homeoffice geschickt werden. Dann nämlich werden dort die Technologien entwickelt, die in ein paar Jahren unsere Industrie und unseren Alltag prägen dürften.

Die WirtschaftsWoche verleiht deshalb gemeinsam mit den Partnern Accenture und EnBW einmal jährlich den Deutschen Innovationspreis. In diesem Jahr bereits zum 13. Mal. Neun Firmen sind nominiert, jeweils drei in den Kategorien Großunternehmen, Mittelstand und Start-Up. Aus ihnen wird eine zehnköpfige Jury die zukunftsweisendsten auswählen – und Ende April die jeweiligen Sieger verkünden.


Beckhoff Automation: Die Neuerfindung des Fließbands

Viele technische Geräte sind so selbstverständlich Teil unseres Alltags, dass ihr Sinn und Aufbau kaum je in Frage gestellt wird. Ampeln etwa, Toaster, Rolltreppen. Oder eben: Förderbänder. „Seit mehr als 100 Jahren sind Förderbänder technologisch kaum verändert worden“, sagt Felix Schulte vom Elektronikunternehmen Beckhoff Automation. „Dabei haben sie viele Nachteile: Die Geschwindigkeit kann nicht reguliert werden, sie sind verschleißanfällig und schlicht: nicht intelligent.“

Alles Gründe, um die Uralttechnik infrage zu stellen – und zu revolutionieren. Nicht weniger nämlich, da ist Schulte sich sicher, bedeutet das Beckhoff-System XPlanar für die Industrie. Das Prinzip erinnert ein bisschen an den Schnellzug Transrapid: Anstatt in einer starren Reihe mechanisch bewegt zu werden, schweben die zu transportierenden Teile mithilfe von Elektromagneten ein paar Millimeter über einer Oberfläche, können fortbewegt, gedreht oder geschüttelt werden. „Das eröffnet in der Produktion die Möglichkeit für völlig neue Prozesse“, sagt Schulte. Fehlerhafte Produkte können ohne weitere Eingriffe ins System herausgenommen werden, die Teile können unterschiedlich behandelt werden, etwa bei der Beschriftung oder Verpackung.

„Schnelle und langsame Produktionsschritte können ohne Verzögerungen zusammengebracht werden“, erläutert Schulte einen weiteren Vorteil, der etwa in der Pharmaproduktion ein ganzes neues Maß an Effizienz ermöglicht. Wenn ein Vorgang, etwa das Befüllen einer Ampulle, deutlich länger dauert als die folgende Verpackung und Etikettierung, können diesen Schritt mehrere Maschinen parallel durchführen. Die Ampullen durchlaufen die Station parallel und reihen sich danach wieder hintereinander ein.

Das System ermöglicht es zudem, dass die Transportfläche selbst Aufgaben übernimmt, die bisher der bearbeitenden Maschine oder dem beteiligten Arbeiter zufallen. Etwa Flüssigkeiten zu mischen – was durch Rütteln der Transportflächen, der sogenannten Mover, passiert. Soll ein Teil etwa lackiert werden, bewegt sich bisher ein Lackierroboter über dem Teil. Mit dem XPlanar-System kann er fixiert werden, die notwendige Bewegung übernimmt der Mover. All das passiert, ohne das die völlig berührungslos bewegten Transportflächen jeglichen Verschleiß erfahren würden. „Wir arbeiten daran, dass der intelligente Produkttransport mit XPlanar in der nahen Zukunft ein so selbstverständlicher Standard ist wie heute das Fließband“, sagt Schulte.


Infineon: Effizientere Chips für die Stromwandlung

Halbleiter für Leistungselektronik, das haben in den letzten Monaten der nicht endenden „Chipkrise“ selbst Laien realisiert, sind die zentralen Bauteile für die Elektrifizierung der Welt, wie sie sich gerade durch viele Industrien zieht: „Jeder nutzt sie, keiner bemerkt sie“, sagt Peter Friedrichs, der bei Infineon die Rolle des Vice President Siliziumkarbid inne hat. „Immer, wenn elektrische Energie gewandelt wird – etwa beim Aufladen eines Smartphones von 220 Volt Wechselstrom auf 12 Volt Gleichstrom – benötigt man solche Schaltbausteine.“

Anders ausgedrückt: Die Spezialtransistoren, die den Strom wandeln, stecken in praktisch allen modernen Geräten, sei es in der Wallbox in der Garage, an der man sein Elektroauto über Nacht auflädt oder im Spannungswandler der Photovoltaikanlage auf dem Hausdach, der aus dem Solargleichstrom wieder Wechselstrom für das Hausnetz macht. „Diese Energiewandlung soll möglichst verlustfrei ablaufen“, sagt Friedrichs.

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Infineon hat nun die Herstellung solcher Transistoren an einer unscheinbaren, für Halbleiterbausteine gleichwohl sehr zentralen Stelle optimiert: Dem Lötprozess zwischen Chip und seinem Gehäuse. „Die Verbindung zwischen Chip und Metallgehäuse soll robust sein und zugleich Verlustwärme gut abführen“, so Friedrichs. Das sei wichtig, damit die Wärme schnell vom Chip weggeleitet werde. Bei herkömmlichen Verfahren wirkte die Lötverbindung bisher jedoch wie eine thermische Wand.

Stattdessen verwendet Infineon heute ein Diffusionslötverfahren, das bedeutet: Die Chips werden schon bei ihrer Herstellung auf ihrer Unterseite mit einem speziellen Metallgemisch versehen. Dadurch geht der Chip mit der Kupferplatte des Gehäuses beim Erhitzen eine metallische Verbindung ein, die einen extrem guten Wärmeübergang hat. „Dadurch ist der thermische Widerstand des Chips deutlich kleiner“, sagt Friedrichs. „Ein Chip kann dadurch bei derselben Größe gut 30 Prozent mehr Strom schalten.“ Oder umgekehrt: Der Chip kann bei 10 bis 15 Grad niedrigeren Betriebstemperaturen laufen, ohne dass die Größe des Chips zunimmt.

Eine wichtige Eigenschaft, um Geräte etwa in der Photovoltaik oder der Elektromobilität bei gleicher Leistung kleiner und kompakter zu machen. Dank der neuartigen Technologie können beispielsweise Solarwechselrichter um die Hälfte verkleinert werden. Eine niedrigere Temperatur wiederum sorgt dafür, dass sich die Lebensdauer der Halbleiterbauteile um bis zu 80 Prozent verlängern lasse. Friedrich: „All das kitzelt wichtige Effizienzgewinne aus elektronischen Komponenten – und leistet damit einen Beitrag, dass wir unsere globalen Klimaziele erreichen.“

Schaeffler: Weniger Reibung, weniger Emissionen

Selbst ein mehr als 200 Jahre altes Produkt wie ein Kugellager lässt sich noch entscheidend verbessern. Bei Schaeffler in Herzogenaurach suchten Stefan Werner und sein Team nach Möglichkeiten, die Reibung in den Lagern zu verringern. Besonders die Autoindustrie mache da Druck, sagt Werner: „Die Hersteller und ihre Zulieferer suchen immer nach Wegen, die Effizienz ihrer Fahrzeuge weiter zu steigern, denn unabhängig von der Antriebsart bedeutet weniger Reibung immer auch weniger Kohlendioxid pro Kilometer." Den konkreten Anstoß für Werners Projekt gaben der österreichische Auftragsfertiger Magna und dessen Kunde BMW: die Bayern wollten ein effizienteres Getriebe.
„Normalerweise sind Kugellager entweder an der Seite offen, oder sie haben eine Dichtung aus Spezialgummi“, sagt Werner. Die Dichtung soll Schmutz von den Kugeln und Laufringen abhalten und so die Lebensdauer der Lager verlängern. Der Nachteil: geschlossene Kugellager haben eine höhere Reibung als offene, weil das am Außenring befestigte Gummistück sich gegen den Innenring des Lagers dreht und dort Reibung erzeugt; offene Laber wiederum gehen wegen des fehlenden Schmutzschutzes schneller kaputt.

Die Schaeffler-Konstrukteure haben nun einen Weg gefunden, die Vorteile der beiden Bauarten zu vereinigen: Statt einer Gummidichtung hält im neuen Lager eine Zentrifugalscheibe, auch Schleuderscheibe genannt, Dreck von den beweglichen Teilen des Lagers ab. Sie dreht sich frei und erzeugt so weniger Reibung als die herkömmlichen Gummidichtungen. Das Prinzip haben sich die Schaeffler-Entwickler von Fenstern an Drehmaschinen oder Schiffsbrücken abgeschaut: dort nutzt man die sich schnell drehenden, durchsichtigen Scheiben, um Gischt oder Schmiermittel aus dem Sichtfeld fernzuhalten.

Vor zwei Jahren hat Werners Team in Herzogenaurach erste Prototypen mit dem 3-D-Drucker gefertigt; nun geht das neue Lager in Serie. Die Ergebnisse waren besser als erhofft. „Das neue Lager ist nicht nur reibungsärmer als herkömmliche geschlossene, sondern sogar besser als offene Lager“, sagt Werner stolz, „das war so nicht zu erwarten.“ Ausrollversuche haben ergeben, dass das Schleuderscheibenlager 50 Prozent weniger Reibungsverluste als vergleichbare offene und sogar 70 Prozent weniger als geschlossene Lager erzeugt. Inzwischen haben die Franken auch herausgefunden, woran das liegt: Normalerweise saugen sich alle Kugellager im Betrieb voll Öl; das führt zu so genannten Planschverlusten: Das Öl schwabbelt, vereinfacht gesprochen, hin und her, was Kraft kostet. „An unserer schnell drehenden Zentrifugalscheibe prallt das überschüssige Öl sehr gut ab“, erklärt Werner. Die Versuche zeigten, dass im neuen Lager nur ein hauchdünner Ölfilm verblieb.


Ambright: Gedrucktes Licht

Wer bisher eine individuell gestaltete Leuchte für sein Büro, seinen Laden oder sein Wohnhaus gesucht hat, musste sich einen Kunstschlosser oder Kunstschreiner suchen. Der hat sie dann in Handarbeit gebaut. Dem will das Münchner Unternehmen Ambright mit einem komplett neuen Ansatz, Leuchten zu bauen, nun ein Ende machen. Der Kunde kann entscheiden, wie viele LEDs in der Leuchte stecken, wann die an die Decke, wann zum Boden strahlen sollen. Auf Wunsch ist jedes LED einzeln steuerbar. Zudem können die Leuchten eine seitliche Leuchtkante haben, die sich ebenfalls individuell ein- und ausschalten lässt. Der Kunden kann auf einer Website sein Wunschdesign hochladen, das Unternehmen liefert.

„Normalerweise würde man dafür elektronische Schaltkreise auf Platinen aufbringen“, sagt Ambright-Gründer Florian Ilchmann. Die aber seien dafür optimiert, möglichst klein zu sein – und entsprechend teuer. Sein Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, dass die Schaltungen statt dessen auf große Oberflächen druckt, die zum Teil mehrere Quadratmeter messen. Dafür platzieren Mitarbeiter LEDs und Sensoren nach Kundenwunsch auf der Oberfläche, drucken dann die Kupferleitbahnen auf, die eine Schaltung ergeben. Ein Verfahren, dass das Unternehmen „Lichtdruck“ getauft hat. 

Die Idee dafür kommt aus der Medizintechnik, in der Ilchmann seit 2013 unterwegs ist und namhafte Hersteller mit Bauteilen für Computertomographie-, Röntgen- und Mammographie-Apparate  beliefert. Die Technik sei aber nun reif, bereiter eingesetzt zu werden. Die Leuchte wird binnen vier Wochen gebaut und ausgeliefert. Inzwischen hat Ambright 40 Mitarbeiter und Kunden beispielsweise in der Superjachtbranche. 54 Prozent des Umsatzes kommt aus China – jenem Land, das wahrscheinlich heute die meisten Leuchten der Welt produziert. „Wir sind jedoch die einzigen, die sowas können“, sagt Ilchmann stolz, „es ist unser Prozess, es sind unsere Maschinen.“ 


Knauer: Hochdruck für Corona-Impfstoffe

Frühjahr 2020: Das Coronavirus hat seinen Zug um die Welt angetreten – im Eiltempo arbeiten die Unternehmen Biontech und Pfizer an ihrem neuartigen mRNA-Impfstoff. Die Hoffnung ist groß, dass die Impfung funktionieren wird. Klar ist auch schon, wie das mRNA-Molekül in den Körper gelangen soll: Über so genannte Lipid-Nanopartikel, mikroskopisch kleine Kügelchen aus Fetten, die die mRNA wie Pakete umhüllen sollen. Die klinischen Studien laufen bereits. 

Eine Frage allerdings bleibt zu klären: Wie lassen sich die mRNA-Stränge im industriellen Maßstab in Fettpartikeln verpacken? „Dafür gab es nirgendwo auf der Welt ein Gerät“, erinnert sich Alexandra Knauer, Geschäftsführerin beim Berliner Labormessgerätehersteller Knauer aus Berlin. „Bisher gelang das nur in kleinen Mengen im Labormaßstab.“. Das Kerngeschäft von Knauer sind sogenannte Flüssigkeitschromatografie-Geräte, mit denen in Laboren Moleküle schonend getrennt und quasi sortiert werden. In diesen Geräten spielt die hochpräzise Mischung von Flüssigkeiten bei hohem Druck eine wichtige Rolle. „Dieses Mischprinzip stieß bei den Impfstoffherstellern auf großes Interesse“, sagt Knauer.

Herzstück der Knauer-Technologie sind Pumpen, die auch bei hohen Drücken sehr gleichmäßig arbeiten und ein spezieller Mischerbaustein. Mit dieser Technologie, so die Idee, könnten sich auch mRNA mit den Lipiden unter Hochdruck auf die gewünschte Weise zu Lipidnanopartikeln verbinden und der Prozess könnt sich skalieren lassen. Die Knauer-Geschäftsführung setzt im Frühjahr 2020 ein Team auf das Problem an, das unter Hochdruck an einer technischen Lösung arbeitet, während das Coronavirus sich weltweit rasend schnell verbreitet. Auf eigene Kosten wagt sich das Unternehmen auf ein neues Gebiet. „Unternehmer sein, heißt auch einmal Risiken einzugehen und nicht auf der sicheren Seite zu arbeiten“, sagt Carsten Losch, Geschäftsführer von Knauer.

Der Mut zahlte sich aus: Nach einigen Monaten Entwicklungszeit und vielen Überstunden wurde rechtzeitig vor der klinischen Zulassung des Impfstoffs in den USA eine Produktionsanlage für den Corona-Impfstoff fertig, die so präzise und zuverlässig arbeitete wie gefordert. Pro Woche können damit mehrere Millionen Impfdosen hergestellt werden. „Hätten wir uns der Sache nicht angenommen, wäre ein großes neues Geschäft an uns vorbeigegangen“, sagt Geschäftsführer Losch. Die mRNA-Nanopartikel-Technologie habe den Umsatz des Mittelständlers von 20 Millionen auf 35 Millionen Euro im Jahr angekurbelt. Und der Biontech-Impfstoff rettete vermutlich Millionen Menschen das Leben.

Nemetschek: Schneller Brücken bauen

Dass Infrastrukturprojekte aus dem Ruder laufen, ist inzwischen eher der Normalfall als die Ausnahme. Nicht nur Extrembeispiele wie der Bau des Berliner Flughafens BER, der Hamburger Elbphilharmonie oder des unterirdischen Bahnhofs Stuttgart 21 dauerten viele Jahre länger und verschlangen ein Vielfaches ihrer geplanten Kosten, auch zahlreiche kleinere öffentliche Bauwerke sprengen regelmäßig Zeitplan und Budget.

„Das ist ein weltweites Phänomen“, weiß Daniel Bittrich vom Konstruktionssoftwarespezialisten Allplan, einer Tochter des Münchner Softwareanbieters Nemetschek. Neun von zehn Infrastrukturprojekten weltweit übersteigen die in den Ausschreibungen veranschlagten Kosten; im Schnitt liegen sie bei Fertigstellung der Bauwerke 35 Prozent über Plan.  Das zu ändern könnte die neue Software Allplan Bridge von Nemetschek helfen. Bis vor kurzem wurden neue Brücken klassisch als zweidimensionale technische Zeichnung geplant. Bei größeren Ausschreibungen erstellten die Planer zudem ein physisches Modell aus Papier oder Kunststoff. „Im Laufe der Planungsarbeiten ergeben sich aber häufig Änderungen an Verlauf, Form oder Maßen der Brücke, etwa weil der Boden unter dem vorgesehenen Standort eines Pfeilers nicht genug trägt“, erklärt Bittrich. Bisher musste dann umständlich die neue Statik berechnet, die Brücke neu konstruiert und gezeichnet werden. Allein dadurch gehen nicht selten mehrere Wochen ins Land.

Die neue Software von Nemetschek berechnet bei solchen Änderungen die komplette Statik sowie alle anderen technischen Parameter neu, etwa den Beton- und Stahlbedarf, zusätzliche Bewehrungen oder längere Tragseile; sie berechnet alle Maße neu und erstellt ein 3-D-Modell der Brücke. „Bisher gab es keine solchen parametrischen Werkzeuge für den Brückenbau, wie sie etwa im Automobil- oder Flugzeugbau schon seit Jahrzehnten üblich sind“, sagt Bittrich. Wenn ein Bauingenieur trotzdem ein parametrisches 3D-Brückenmodell erstellen wollte, musste er dafür eine Maschinenbausoftware zweckentfremden. „Die sind aber nicht auf die Anforderungen des Bauwesens zugeschnitten“, sagt Bittrich.. Weil die Allplan-Brückensoftware in der Datencloud für alle Beteiligten zugänglich ist, wird jede Änderung und deren Folgen für alle Beteiligten sofort in Echtzeit angezeigt. „Das spart weitere Zeit und vermeidet Fehler, weil Daten und Änderungen einfach übernommen werden und nicht immer wieder neu eingegeben werden müssen. Auch das hilft, Termine und Budgets einzuhalten“, erklärt Bittrich.


Reactive Robotics: Intensivpatienten schneller heilen

Patienten, die im Krankenhaus auf einer Intensivstation landen, wieder fit für den Alltag zu machen, ist ein langwieriger Weg. Das Start-up Reaktive Robotics verkürzt diesen Weg mithilfe eines sogenannten Exoskeletts. Pflegekräfte bringen den Roboter am Krankenhausbett an, verbinden ihn mit den Beinen des Intensivpatienten. Der Roboter richtet ihn auf, lässt ihn typische Laufbewegungen machen. Diese Bewegung fördert Kreislauf und Atmung, verhindert den Abbau von Muskeln und Knochen. Das beschleunigt die Heilung im Schnitt um 20 Prozent.

Inzwischen hat Reaktive Robotics so bereits 250 Patienten therapiert, in mehr als 1500 Einzelbehandlungen. Darunter Patienten mit Schlaganfall, Rückenmarksverletzung, Hirnverletzungen. Aber auch solche, die aufgrund einer Covid-19-Infektion auf der Intensivstation gelandet sind.

Die Unfallklinik Murnau etwa behandelte mit der Technik im November erfolgreich einen 53-jährigen umgeimpften Mann, der sich mit dem Coronavirus infiziert hatte und künstlich beatmet werden musste. Binnen Wochen verlor er einen Großteil seiner Muskelmasse, konnte sich nicht mehr selbstständig bewegen. Die Ärzte ließen ihn daraufhin mit dem Roboter jeden Tag eine halbe Stunde Gehbewegungen machen, insgesamt 1000 Schritte. Die Lungenfunktion stabilisierte sich, die Mediziner konnten den Mann im Januar von der Beatmungsmaschine entwöhnen. 

Ein selbst lernender Algorithmus findet dabei für jeden Patienten den optimalen Mittelweg für die Therapie, damit die ihn einerseits fordert, aber auch nicht überfordert. Dafür hatte Reactive Robotics unter anderem mit dem renommierten Münchner-Robotertechnik-Forscher Sami Haddadin kooperiert. Die Idee kam Reaktive-Robotics-Gründer Alexander König, der an der ETH Zürich sowie in Harvard an Assistenzrobotern für die Spättherapie geforscht hat, beim Lesen eines Fachartikels. Darin stand, dass so etwas auch für die Frühtherapie hilfreich wäre. Er zögerte nicht lange, gründete 2015 in München das Unternehmen. 


Cureosity: Virtuell zurück ins Leben

Die Geschichte hinter der Innovation des Düsseldorfer Start-ups Cureosity ist für Gründer Thomas Saur eine sehr persönliche. „Meine Familie erlitt vor 21 Jahren einen schweren Autounfall“, erzählt Saur. „Unser Sohn ist seitdem querschnittsgelähmt.“ Für die Familie begann eine lange Reise auf der Suche nach neuen Therapien, die Menschen mit Schädigungen des zentralen Nervensystems wieder zu mehr Kontrolle über ihren Körper verhelfen.

Als Chef eines Unternehmens für 3-D-Visualisierung beschäftigten sich Saur und sein Unternehmerkollege Stefan Arand früh mit Virtual-Reality-Brillen und ihren Möglichkeiten. „Es war ein Aha-Erlebnis“, erzählt Arand, „unsere Ideen sprudelten nur so und wir kamen schnell darauf, dass wir mit Virtual Reality vollkommen neue therapeutische Möglichkeiten haben.“ Im Jahr 2018 gründen Saur und Arand das Start-up Cureosity – um mit ihrer Erfahrung in Visualisierungstechnik die Medizin voranzubringen.

Die Idee: In virtuellen Umgebungen, dargestellt per Datenbrille, könnten Patienten durch Bewegungstrainings geführt werden, die ihnen helfen, wieder kontrolliert ihre Finger, Hände und Arme zu bewegen. Schlaganfallpatienten etwa werden heute unter anderem in Reha-Kliniken von Physiotherapeuten durch Übungen begleitet, bei denen sie immer wieder Bewegungen wiederholen, etwa Objekte greifen oder die Arme heben.

Das Cureosity-Team entwickelte Anwendungen für Virtual-Reality-Brillen, bei denen diese Übungen zu einem dreidimensionalen Computerspiel werden: Die Einheiten motivieren die Patienten dazu, etwa virtuelle Früchte von einem Baum zu greifen oder mit Schlägeln auf eine Trommel zu schlagen. „Die Therapie wird für die Patienten zu einem Erlebnis, das Spaß macht“ sagt Saur. „Unser eigens entwickeltes Bewegungsleitsystem ermöglicht es, Netzwerke im Gehirn zu aktivieren und Bewegungen neu zu bahnen.“

Zudem sind die Nutzer dank der Brille weniger von ihrer Umgebung abgelenkt und können sich ganz auf ihre Reha-Aufgaben konzentrieren. „Die Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich höher als bei herkömmlichen Therapien“, sagt Caesar van Heyningen, Finanzchef bei Cureosity. „Patienten, die vorher nur fünf Minuten fokussiert waren, trainierten mit der Virtual-Reaity- Brille eine halbe Stunde und länger.“ Und je häufiger die Patienten trainieren, desto schneller und größer kann der Heilungserfolg sein. Einige Kliniken wenden die VR-Therapie der Düsseldorfer schon an – und die Zeichen stehen auf Wachstum.


Accure: Cloud-Algorithmen für bessere Batterien

Elektromobilität ist eines der wichtigsten High-Tech-Themen überhaupt – mit einem zentralen Baustein, über den kaum jemand Bescheid weiß: Die Batterie. „Sie macht 40 Prozent des Gesamtwerts eines E-Autos aus, aber niemand weiß bislang, wie es ihr geht“, sagt Kai-Philipp Kairies, Chef und Mitgründer des Aachener Start-ups Accure.

Genau hier leisten Kairies und seine Mitgründer Abhilfe mit einer speziellen Software zum digitalen Batterie-Monitoring in der Cloud. Kunden können mithilfe der Accure-Algorithmen die Sicherheit der Batterien verbessern, die Lebensdauer verlängern und die Nutzung dadurch letztlich nachhaltiger gestalten. Dazu übermitteln Unternehmen die Daten aus den sogenannten Battery Management Systemen – den Steuersystemen ihrer verwendeten Batterien – in die Accure-Cloud. „Wir reichern diese Daten an, analysieren sie und senden diese Analysen als Entscheidungshilfen zurück“, sagt Kairies.

Die Aachener können so Details des Alterungsprozesses automatisch in der Cloud ermitteln ­– dazu waren bisher manuelle Labortests nötig. Durch solche Datenanalysen lassen sich beispielsweise auch kritische Batteriefehler frühzeitig erkennen und damit Brände verhindern – ein Service, der bereits von zahlreichen renommierten Firmen genutzt wird.

Demnach überwacht das Unternehmen aktuell rund 300.000 Batteriemodule weltweit. „Das entspricht bereits einer Speicherkapazität von 1,1 Gigawattstunden“, sagt Kairies nicht ohne Stolz. Zum Ende des Jahres plant das erst seit Mitte 2020 aktive Unternehmen, diese Kapazität zu vervierfachen – und dementsprechend auch im Umsatz zu wachsen.

Dabei hilft unter anderem eine Partnerschaft mit dem Versicherer HDI Global: Die Versicherung aus Hannover bietet seinen Kunden besondere Konditionen an, wenn diese die Accure Cloud nutzen – eine Maßnahme, um das Risiko von Batteriebränden zu verringern. Kairies: „Wir arbeiten an weiteren Partnerschaften mit prominenten Kunden, die derzeit aber noch nicht spruchreif sind.“

Lesen Sie auch: SAP-Chef Christian Klein und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger über Lehren aus der Abhängigkeit, Digital-Desaster und Tabus.

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