Gute Ideen, heißt es, kommen oft in schlechten Zeiten. So gesehen sind die Krisen in der Welt und die schwache Konjunktur in Deutschland ein guter Anlass, in die Zukunft zu schauen. Denn an der arbeiten deutsche Unternehmen durchaus mit starkem Einsatz: 81,8 Milliarden Euro hat die Industrie im Jahr 2022 in selbst durchgeführte Forschung und Entwicklung investiert – acht Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Technologien und Produkte, die dabei meist hinter verschlossenen Türen entstehen, sind die Wachstumsquellen von morgen.
Um diese Ideen auszuzeichnen, verleiht die WirtschaftsWoche gemeinsam mit den Partnern Accenture, EnBW und O2 Telefónica einmal im Jahr den Deutschen Innovationspreis. Auch dieses Jahr sind wieder neun Unternehmen nominiert – in den Kategorien Großunternehmen, Mittelstand und Start-up. Eine hochkarätige Jury kürt unter den Finalisten drei Sieger – und verkündet sie im April auf einer großen Preisverleihung.
Aixtron: Effizientere Herstellung von Halbleitern
Von künstlicher Intelligenz bis zu Lasertechnik – hinter vielen Technologien, die die Welt verändern, stecken modernste Computerchips. Darum will die EU nun mit dem European Chips Act die Halbleiterindustrie in Europa stärken.
Einen Beitrag dazu liefert der Halbleiterspezialist Aixtron aus dem nordrhein-westfälischen Herzogenrath. Das Unternehmen ist Weltmarktführer bei speziellen Produktionsanlagen für Computerchips, die mit der so genannten metallorganischen chemischen Gasphasenabscheidung arbeiten, kurz MOCVD. Mit den Anlagen lassen sich Chips aus mehreren verschiedenen chemischen Elementen herstellen, so genannte Verbindungshalbleiter: Hightech-Chips, die in wachsender Zahl etwa in Computern, Autos oder Tablets stecken.
Die neueste Anlagengeneration, die Aixtron im Herbst vorgestellt hat, produziert Verbindungshalbleiter nun in bisher unerreichter Materialqualität – und zugleich deutlich kostengünstiger als vorherige Maschinen. Damit sollen die effizienten Chips künftig neue Anwendungen erobern und etwa die Reichweite von Elektroautos steigern oder noch schnelleren Mobilfunk ermöglichen.
Eppendorf: Biokunststoff für Labore
In Laboren werden viele Hilfsmittel nur einmal genutzt, schließlich ist Reinheit oberstes Gebot. Darum sind etwa Reaktionsgefäße häufig aus Kunststoff und werden nach Gebrauch entsorgt.
Der Hamburger Laborbedarfhersteller Eppendorf hat nun als erster Hersteller Verbrauchsartikel für die Handhabung von Laborproben entwickelt, die aus biobasierten Kunststoffen produziert werden: Statt aus Erdöl werden die Reaktionsgefäße, Pipetten und Platten aus Speiseölabfällen und -resten hergestellt. Die biobasierten Labormaterialien sind nur leicht teurer als herkömmliche Hilfsmittel – sollen aber bis zu 27 Prozent weniger Treibhausgase verursachen. Zugleich handelt es sich bei Speisefettabfällen um Biorohstoffe, die nicht mit der Nahrungsmittelproduktion in Konkurrenz stehen.
Die Marktchancen für die umweltfreundlicheren Labormittel stehen nicht schlecht – schließlich müssen auch Betreiber von Laboren ihren Investoren immer häufiger nachweisen, Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen.
Evonik: Smarte Wasserversorgung für innovative Landwirte
Die Forscher beim Spezialchemiekonzern Evonik haben sich intensiv mit den heutigen Herausforderungen der Landwirtschaft beschäftigt – und eine smarte Wasserversorgung für die Tierhaltung und die Pflanzenproduktion entwickelt. Das System misst mit Sensoren verschiedene Werte im Wasser etwa von Ställen oder Gewächshäusern. Weichen die Messwerte von definierten Zielen ab, etwa wenn zu viele Keime im Wasser sind, dann gibt eine Dosiereinheit von Evonik entwickelte Substanzen ab, die die Wasserqualität verbessern.
So sollen weniger Tiere krank werden und auch Pflanzen gesünder bleiben. Obendrein hilft das System, Wasser zu sparen und weniger Chemikalien in der Wasserversorgung einzusetzen. Davon sollen künftig auch Aquakulturen profitieren oder vertikale Farmen, bei denen Pflanzen in Hallen oder Hochhäusern wachsen und Wasser im Kreislaufverfahren wieder verwendet wird.
EcoG: Ein Betriebssystem für Ladesäulen
Damit das Elektroauto zum Standard wird, braucht es weltweit Millionen neuer Ladesäulen. Wichtig ist aber nicht nur, dass deren Hardware reibungslos funktioniert – sondern auch ihre Software. Hier hat sich der Mittelständler EcoG aus München einen Namen gemacht – mit einem Betriebssystem für E-Auto-Ladesäulen. So wie Computerhersteller ihre Geräte mit Windows ans Laufen bringen, soll der so genannte Universal Core, die Software von EcoG also, verschiedenen Ladesäulen-Modellen digitales Leben einhauchen.
Deren Hersteller können sich damit voll auf die Hardware konzentrieren und sie schneller und preiswerter auf den Markt bringen. Das Betriebssystem lässt sich auch aus der Ferne updaten und es erlaubt auch bidirektionales Laden: E-Autos können Strom nicht nur speichern, sondern auch ins Netz zurückspeisen.
Mit beachtlichem Erfolg: Mehr als 30 verschiedene Ladesäulen arbeiten schon mit dem System des Münchner Mittelständlers, in Europa erreicht die Software einen Marktanteil von 15 Prozent.
Smapone: Apps ohne Code entwickeln
Eine Idee für eine neue App haben viele Menschen – das Wissen, eine App zu bauen, nur wenige. Hier setzt die Innovation des Hannoveraner Softwareunternehmens Smapone an: Mit der Plattform des Unternehmens können auch Menschen, die noch nie einen Code geschrieben haben, eine App in nur 30 Minuten entwickeln. Möglich machen es vorgefertigte Bausteine, die sich zu neuen Apps zusammensetzen lassen. Benötigte Funktionen – etwa Eingabefelder oder die Möglichkeit, per Handy ein Foto aufzunehmen – lassen sich per Text beschreiben; eine KI entwickelt automatisch einen Designvorschlag. Per Maus lassen sich weitere Funktionen aus einem Baukasten ziehen und nach Belieben zusammenstellen.
Zielgruppe sind Unternehmen etwa aus der Logistik, dem Maschinenbau oder der Energiebranche, die ihre Prozesse mit Hilfe einer App beschleunigen wollen, von der Wareneingangskontrolle bis zum Urlaubsantrag. Laut Smapone beschleunigt die Plattform die Entwicklung einer Unternehmens-App um 60 Prozent.
PSI Software: KI-gestützte Software für Gasnetzbetreiber
Erdgas, Wasserstoff, Biogas – das sind die Energieträger, die Deutschland eine Brücke ins fossilfreie Zeitalter schlagen sollen. Um die Gase in Pipelines sicher und effizient zu transportieren, benötigen die Netzbetreiber spezialisierte Software.
Der Berliner Softwareanbieter PSI Software hat eine Software für Gasnetzbetreiber entwickelt, die den Transport aller drei verschiedenen Gase in Pipelines optimal steuert. Eine künstliche Intelligenz hilft den Pipeline-Betreibern, jederzeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das soll helfen, smarte Energienetze aufzubauen, in denen auch fluktuierende erneuerbare Energien, etwa Wasserstoff aus Windkraft, sicher und stabil integriert werden. Bedarf dürfte es geben: Allein Deutschland plant für die nächsten Jahren den Ausbau von tausenden Kilometern Wasserstoff-Pipelines.
Cellform Hydrogen: Effizientere Brennstoffzellen und Elektrolyseure
Ob bei grünem Stahl, Schiffstreibstoffen oder umweltfreundlichem Dünger: Wasserstoff soll in vielen Industrien eine wichtige Rolle spielen, um fossile Energieträger abzulösen. Nötig sind dafür sowohl Elektrolyseure, mit denen aus Wasser und Strom Wasserstoff produziert wird, als auch Brennstoffzellen, die Wasserstoff wieder in Strom umwandeln und etwa elektrische Flugzeuge antreiben.
Eine Schlüsselkomponente dieser beiden Geräte sind so genannte Bipolarplatten - in einer Brennstoffzelle etwa sind mehrere hundert davon verbaut. Das Design der Bipolarplatten hat den größten Einfluss darauf, wie schwer, voluminös, teuer und leistungsstark die gesamte Brennstoffzelle ist.
Das Start-up Cellform Hydrogen aus Baienfurt bei Ravensburg hat nun auf diesem Feld große Fortschritte erzielt: Mit einem neuartigen Umformprozess gelingt es den Gründern, das Gewicht und Volumen von Bipolarplatten um 50 Prozent zu verringern. Damit sollen auch filigranere Strukturen und größere Oberflächen möglich werden, wodurch Elektrolyseanlagen und Brennstoffzellen effizienter werden sollen. Auch die Produktionskosten der Wasserstoffanlagen sollen sich deutlich senken lassen.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
Deepdrive: Neuer Antriebsstrang für E-Motoren
Bei Elektroautos reden die meisten über die Leistung der Batterie. Doch wie weit ein E-Auto mit voller Ladung kommt, hängt auch von den anderen Komponenten im Auto ab – nicht zuletzt dem Elektromotor. Das Start-up Deepdrive aus München hat den nun völlig neu gestaltet. Dank einer innovativen Bauweise ist der Motor kleiner und leichter als andere Modelle und zugleich hocheffizient: Er erhöht die Reichweite eines Elektroautos um bis zu 20 Prozent.
Obendrein ist das Design auf preiswerte Massenproduktion optimiert, so dass der Motor von Deepdrive auch preiswerter sein soll als herkömmliche Modelle. Im Auto kann der Motor sowohl zentral als auch direkt in den Rädern eingebaut werden.
Aktuell arbeitet das Start-up aus München mit führenden Autoherstellern zusammen und bereitet die Kommerzialisierung des hocheffizienten Antriebs vor. Schon bald könnte die Technik also helfen, preiswertere und zugleich leistungsstärkere Elektroautos auf die Straße zu bringen.
N1 Trading: Ein Betriebssystem für die Kreislaufwirtschaft
Der Bausektor zählt zu den Branchen, die am meisten Rohstoffe verbrauchen. Im Jahr 2020 fielen allein in Deutschland 229 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle an – das macht 60 Prozent des hiesigen Mülls.
Doch ein Teil dieser Abfälle lässt sich wieder verwerten. Genau dafür hat das Start-up N1 Trading aus Dossenheim in Baden-Württemberg nun eine digitale Plattform entwickelt. Die Software namens Site Depot soll Bauunternehmen helfen, Materialströme effizienter zu organisieren und Material wie Beton oder Zement, das bisher weggeworfen wird, zu recyceln. Mehr Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie - das soll nicht nur Treibhausgasemissionen senken, für die Beton in hohem Maß verantwortlich ist, sondern auch helfen, Kosten zu sparen, indem Unternehmen Abfälle wieder verwerten.