Die Idee für das Rad, aus dem sich ein Stück herausnehmen lässt, begegnete Wolf-Dietrich Pflaumbaum im Restaurant. Dort, so erzählt der Unternehmer, überzeugte ihn der Wissenschaftler Christian Czapek von seiner Erfindung: von einem Rollstuhlrad, aus dem sich im Stillstand ein Drittel wie ein Tortenstück herausheben lässt.
Die Neuerfindung des Rades würde die Leben vieler Menschen verbessern, glaubten Pflaumbaum und Czapek. Und es spricht einiges dafür, dass das stimmt: Etwa Querschnittsgelähmte können sich aus einem normalen Rollstuhl nur mit viel Armkraft herausheben, seitlich über die Räder, die schon mal 20 Zentimeter über die Sitzfläche ragen. Aus dem teilbaren Rad lässt sich das störende Stück einfach herausnehmen, sodass der Weg seitlich frei wird.
„Diese 15 bis 20 Zentimeter nehmen sehr vielen Rollstuhlfahrern jeden Tag ein Stück Unabhängigkeit“, sagt Pflaumbaum. Deshalb habe er sich dazu entschlossen, die Entwicklung des Produkts zu übernehmen und das Patent zu erwerben. Seit 2020 verkauft sein Unternehmen Trivida das laut Pflaumbaum erste teilbare Rollstuhlrad.
32.000 Hilfsmittel im Katalog
Der Markt für derlei Hilfsmittel, die Leben verändern, ist groß: Mehr als 32.000 Produkte sind derzeit im Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gelistet. Allein im vergangenen Jahr gaben die gesetzlichen Krankenkassen insgesamt rund 10,3 Milliarden Euro für Rollstühle, Prothesen, Sehhilfen und ähnliche Artikel aus. In den vergangenen Jahren sind die Hilfsmittel-Ausgaben der GKV jährlich um rund fünf Prozent gestiegen.
Der demografische Wandel sorgt dafür, dass immer mehr Menschen auf medizinische Hilfsmittel angewiesen sind. Und die Industrie entwickelt immer neue Gerätschaften, die möglich machen, was Menschen mit körperlichen Einschränkungen lange verwehrt blieb: Auf der Düsseldorfer Messe Reha-Care werden in dieser Woche Hilfsmittel-Neuheiten von mehr als 700 Ausstellern zu sehen sein.
Doch es könnte noch mehr Innovationen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen geben, glaubt Christina Pflaumbaum, die gemeinsam mit ihrem Vater das Unternehmen Trivida, den Hersteller des teilbaren Rollstuhlrades, führt. „Wir sind ein kleines Familienunternehmen. Wenn ich sehe, was wir alles machen mussten, um unser Produkt auf den Markt zu bringen, grenzt es an ein Wunder, dass wir es überhaupt geschafft haben“, sagt sie. Von diversen Tüv-Prüfungen bis hin zu hohen Kosten für Zertifikate: Als junges Unternehmen auf dem deutschen Markt für medizinische Hilfsmittel Fuß zu fassen, sei alles andere als einfach. Das bremse die Innovationskraft der ganzen Branche, sagt Pflaumbaum.
Rollstuhl im Handgepäck
Einer Branche, der es nicht mangelt nicht an neuen Möglichkeiten und technologischem Fortschritt: Kohlefasertechnologie und 3D-Druckverfahren ermöglichen immer leichtere und individuellere Hilfsmittel. Ebenso könnten Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz in Zukunft die Leben von Menschen mit Behinderungen oder schweren Erkrankungen verbessern.
Auch Trivida wird auf der Reha-Care in Düsseldorf eine Produktneuheit vorstellen. In einer Kooperation mit dem Schweizer Rollstuhlhersteller Küschall hat das Unternehmen einen komplett faltbaren Rollstuhl entwickelt, der in einer passenden Transporttasche sogar ins Handgepäckfach eines Flugzeugs passen soll. „Mit unseren teilbaren Rädern und dem faltbaren Rollstuhl Champion von Küschall kann der ganze Rollstuhl nun einfach in der Flugzeugkabine verstaut werden“, erzählt Christine Pflaumbaum stolz.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
Auch Robotik hat das Zeug, Leben zu verändern: Das französische Unternehmen Orthopus stellt erstmals den Prototyp des „Orthopus-Supporter“ vor, ein Exoskelett. Der mechanische Arm unterstützt menschliche Arme, denen durch Verletzungen oder Krankheiten für manche Aufgaben die Kraft fehlt.
Solche Geräte gibt es zwar schon seit einiger Zeit, der „Orthopus-Supporter“ aber sei besonders, sagt Gründer und Robotik-Ingenieur David Gouaillier. Der Wissenschaftler arbeitet seit zehn Jahren daran, die menschliche Muskulatur in Robotern nachzubilden; der „Orthopus Supporter“ ist das Ergebnis seiner Forschung. „Wir Menschen spüren über Sensoren in unserem Körper, wenn wir uns bewegen oder berührt werden. In der Forschung nennt man das Propriozeption. Die motorische Einheit in unserem Exoskelett nutzt genau dieses Wissen", erklärt Gouaillier. So spürt auch der Orthopus-Supporter, wann sich der Arm in welche Richtung bewegt. Mit Hilfe von 3D-Druckverfahren wird das Gerät zusätzlich individuell an den Arm der tragenden Person angepasst.
Spätestens in zwölf Monaten soll das Produkt auf den Markt kommen – zunächst aber nicht in Deutschland. Der Grund: Das Unternehmen sei zu jung und der deutsche Markt für medizinische Hilfsmittel einfach zu kompliziert, sagt Gouaillier. „Natürlich wollen wir irgendwann auch noch Deutschland. Wir sind aber gerade einmal 15 Leute. Erst mal werden wir uns daher auf Frankreich, die Niederlande und Belgien konzentrieren“, so der Gründer.
Neue Chancen durch künstliche Intelligenz
Auf lange Sicht möchte es Gouaillier nicht beim Orthopus-Supporter belassen. Mit Hilfe von künstliche Intelligenz, möchte er es zum Beispiel möglich machen, dass ein künstlicher Arm ein Glas Wasser erkennt und dementsprechend die Bewegung anpasst. KI-Spracherkennung soll die händische Bedienung überflüssig machen, sodass der Arm mit der Stimme kontrolliert werden kann.
„Technologien, die auf künstlicher Intelligenz basieren, bieten in der Branche medizinischer Hilfsmittel gerade diverse Chancen und Möglichkeiten. Da wird es in den kommenden Jahren viel Fortschritt geben“, glaubt Gouaillier. Von der Messe Reha-Care erhofft er sich vor allem eines: Sichtbarkeit für Ideen, die das Leben verbessern.
Aufmerksamkeit für das Thema schafft derzeit auch eine zweite Veranstaltung in Düsseldorf: das Sportfestival Invictus Games. Rund 500 Athleten, die als Soldaten Verletzungen erlitten haben oder erkrankt sind, messen sich bei dem Wettbewerb etwa im Sitzvolleyball, Rollstuhl-Rugby und Indoor-Rudern. Manche von ihnen sind auf Hilfsmittel angewiesen, wie sie Erfinder wie Christian Czapek oder David Gouaillier erdacht haben.
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