Halb E-Bike, halb E-Auto Im Tretauto am Stau vorbei

Gleich mehrere Start-ups tüfteln derzeit an Mini-Pkws mit E-Bike-Technik. Vor allem für Pendler sollen die Velomobile eine umweltfreundliche und gesündere Alternative zum Auto sein. Doch auf dem Weg zum Durchbruch gibt es noch ein paar Hürden.

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Ein Foto aus den frühen Achtzigern gibt einen Eindruck davon, wie Per Hassel Sørensen seine Jugend verbracht hat. Es zeigt den damals 18-Jährigen und drei Freunde mit einem selbstkonstruierten Liegerad. Das Ungewöhnliche: Einen Sitz gibt es nicht, stattdessen liegt man bäuchlings auf einer Art Sattel in der Mitte. Die Beine sind weit nach hinten ausgestreckt, um die Pedale zu erreichen. Drei der Jungs müssen den Fahrer stützen, so wacklig ist die Konstruktion. „Ich bin in der Nähe von Skandinaviens größter Fahrradfabrik aufgewachsen“, sagt Sørensen. „Da haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, mit ausgemusterten Teilen neue Dinge zusammenzubasteln.“

Beruflich hat es ihn zunächst in die Computerbranche, dann in die Ölindustrie verschlagen. Doch seit 2016 arbeitet der Ingenieur mit seinem Start-up Podbike daran, den Jugendtraum vom eigenen Fahrrad Wirklichkeit werden zu lassen. Das Ergebnis ist ähnlich gewöhnungsbedürftig wie das Bauchliegerad von damals, aber wesentlich praxistauglicher: Frikar ist ein vierrädriges E-Bike, in das man sich wie in ein Auto hineinsetzt. Eine verglaste Haube schützt vor Wind und Wetter. Wenn es regnet, kann man einen Scheibenwischer betätigen. Auch eine Lüftungsanlage ist an Bord. „Wir wollen Autofahrern eine umweltfreundliche und gesundheitsfördernde Alternative bieten“, sagt Sørensen.

Halb E-Bike, halb Auto: Mit sogenannten Velomobilen will nicht nur Podbike den Mobilitätsmarkt aufmischen. Erste Start-ups haben bereits Modelle für die Logistik auf den Markt gebracht, darunter Citkar und OnoMotion. Und nun arbeiten Podbike, aber auch einige Konkurrenten wie das ebenfalls in Norwegen ansässige Unternehmen CityQ an auf Pendlern zugeschnittenen Fahrzeugen. Mit Hopper Mobility mischt auch ein deutsches Start-up mit: Die Augsburger wollen ein türenloses, aber überdachtes Dreirad bauen, in dem zwei Erwachsene Platz finden. „Für eine echte Verkehrswende sind kleine, ökologische Fahrzeuge unerlässlich“, sagt Mitgründer Georg Schieren.

Generator statt Kette

Um die zwei Meter lang und rund 80 Zentimeter breit sind die geplanten Velomobile. Das Leergewicht beträgt sowohl beim Frikar als auch beim Hopper um die 100 Kilogramm. Im Vergleich zu Autos sind die Fahrzeuge damit echte Leichtgewichte. Entsprechend gering ist der Energiebedarf, zumal die Fahrer ihre Muskelkraft einbringen. Reichweiten zwischen 50 und 80 Kilometer pro Akkuladung stellen die Hersteller in Aussicht. Geladen werden kann die Batterie an der Haushaltssteckdose. „Schon mit einer kleinen Photovoltaikanlage fährt man umsonst“, sagt Podbike-Gründer Sørensen. Hopper Mobility will optional Solarzellen fürs Fahrzeugdach anbieten.

Doch auch wenn die Fahrzeuge wie kleine Autos anmuten: Rechtlich gehen sie in der EU als E-Bike durch. Denn der Hilfsmotor läuft nur, wenn man auch in die Pedale tritt und nicht schneller als 25 Stundenkilometer fährt. Die großen Vorteile: Man braucht keinen Führerschein, muss sein Velomobil nicht versichern – und darf Radwege nutzen. An Blechkolonnen in der Rushhour könne man so einfach vorbeifahren, werben die Hersteller.

Vor allem Pendler, die aus Bequemlichkeit bisher das Auto nutzen, sollen zum Umstieg bewegt werden. Besonders auf Strecken zwischen fünf und zehn Kilometern sei der Hopper eine komfortable Alternative, sagt Schieren. Frikar-Erfinder Sørensen geht es auch um Sicherheit: „Die Kabine bietet einen gewissen Schutz, außerdem wird man von Autos besser gesehen.“ Für ihn selbst habe ein Fahrradunfall den Ausschlag gegeben, mit der Entwicklung des Frikars überhaupt anzufangen.

Zahlungsbereitschaft für E-Bikes wächst

Die Annehmlichkeiten haben aber ihren Preis. Mehr als 7.000 Euro zahlen Vorbesteller sowohl für das Frikar als auch den Hopper, die Serienfahrzeuge sollen noch teurer werden. Was den Anbietern in die Karten spielt: Die Zahlungsbereitschaft für Fahrräder steigt seit Jahren, wie Daten des Zweirad-Industrie-Verbands für Deutschland zeigen. So gaben Käufer vor zehn Jahren im Schnitt noch weniger als 500 Euro für ein neues Fahrrad aus. Im vergangenen Jahr waren es fast 1.400 Euro. Vor allem die Nachfrage nach E-Bikes boomt: Zwei Millionen Stück wurden 2021 allein in Deutschland verkauft.



Podbike hat eigenen Angaben zufolge bereits mehr als 3.600 Vorbestellungen eingesammelt – darunter viele aus Deutschland. „Podbike hat sehr früh mit attraktiven Entwürfen geworben, die ein Designer aus der Autobranche entwickelt hat“, sagt Åge Højmark, seit Jahresbeginn Geschäftsführer des norwegischen Start-ups. Doch ob die Velomobile den Käufern dann tatsächlich als Ersatz fürs Auto dienen oder den Fuhrpark einer wohlhabenden Klientel einfach erweitern, muss sich noch zeigen.

Stärkere staatliche Anreize für Umsteiger fordert der Bundesverband Zukunft Fahrrad, der mehr als 60 Unternehmen der Branche vertritt. „E-Autos werden im Vergleich deutlich privilegiert“, kritisiert Geschäftsführer Wasilis von Rauch mit Blick auf staatliche Kaufprämien. Immerhin: Für schwere Lastenräder können Unternehmen und Vereine bundesweit eine Förderung beantragen, viele Bundesländer und Kommunen bezuschussen auch private Anschaffungen. Die Programme dürften zumindest zum Teil auch bei den Velomobilen greifen, die vorwiegend für den Personentransport gedacht sind.

Radwege fehlen – und auf ihnen oft der Platz

Mehr noch als die aus ihrer Sicht unzureichenden Förderprogramme treibt die Hersteller der Zustand der für Radfahrer nötigen Infrastruktur um. Zwar haben viele Städte während der Coronapandemie breite Pop-up-Radwege eingerichtet. In vielen Fällen teilen sich Radfahrer aber noch immer Bürgersteige mit Fußgängern oder werden über wurzeldurchsetzte Buckelpisten geführt. Sind die Radwege mit blauen Schildern gekennzeichnet, darf man nur in Ausnahmefällen auf die Straße ausweichen – egal, ob man mit einem Trekkingrad oder einem Velomobil unterwegs ist. Auch die Parkplatzsuche kann zur Geduldsprobe werden: Auf Bürgersteigen ist oft nicht genügend Platz, die Straßenränder sind von Autos zugeparkt. Spezielle Parkplätze für Lastenräder und Velomobile sind noch selten.

Angesichts dessen treten manche Unternehmen bei der Entwicklung auf die Bremse. Ein Beispiel ist der Fahrradhersteller Canyon, der die Branche vor zwei Jahren mit einem futuristischen Velomobil-Entwurf überrascht hatte. Auf Anfrage teilt das Koblenzer Unternehmen nun mit: „Für eine kommerzielle Umsetzung müssen noch wesentliche Rahmenbedingungen angepasst werden, darunter rechtliche Regelungen für die unkomplizierte Nutzung und infrastrukturelle Entwicklungen im urbanen Raum zur sicheren Verwendung.“

Der Bundesverband Zukunft Fahrrad, der nach eigener Darstellung für eine nachhaltige Mobilitätswende eintritt, drängt darauf, dass Städte ihre Infrastruktur weiter anpassen. Solange viele Wege zu schmal sind, sei es sinnvoll, Velomobile auch auf der Straße fahren zu lassen. „Verbunden mit Tempo 30 für Autos würden sich die Fahrzeuge deutlich besser in den Verkehr einfügen“, sagt von Rauch. Im Gegenzug könne man darüber nachdenken, die E-Bike-Auto-Hybride stärker zu regulieren. Eine Zulassungspflicht könne dabei sogar im Sinne der Hersteller sein – weil potenzielle Kunden heute mitunter Zweifel an Sicherheit und Zuverlässigkeit der Fahrzeuge hätten. „Wichtig wäre aber, dass die Verfahren gegenüber Autos stark vereinfacht sind.“ 

5 Beispiele, wo auf Autos getrost verzichtet werden kann
Die Region Stuttgart soll einen Holz-Highway erhalten Quelle: Hersteller
Das System ist modular aufgebaut. Mindestens einen Kilometer soll die Strecke lang sein. Ein Kilometer kostet laut Unternehmen etwa 2,5 Millionen Euro. Die Highways bieten laut Hersteller Spuren in beide Fahrtrichtungen und einen rutschfesten Belag. Weil der im Winter zudem beheizt werde, sei die Hochstraße das ganze Jahr über nutzbar. Quelle: Hersteller
Woanders sind Städte schon weiter. Denn hoch hinaus können Fahrradfahrer im chinesischen Xiamen längst. Der sogenannte Bicycle Skyway steht auf Pfeilern und ist knapp acht Kilometer lang. Er verbindet mehrere Wohngebiete und Zentren miteinander. Quelle: imago images
Die Niederlande gelten als besonders fahrradfreundliches Land. Die Fahrradinfrastruktur macht es den Menschen leicht, das Auto stehen zu lassen – dazu gehört auch der schwebende Kreisverkehr in Eindhoven, Hovenring genannt. Ihn gibt es bereits seit zehn Jahren, ein Pylon hält ihn über einer Autokreuzung. Quelle: imago images
Ein weiteres Beispiel ist Utrecht. Dort gibt es ein Parkhaus nur für Fahrräder. Auf drei Etagen passen über 12.000 Räder, die ersten 24 Stunden sind kostenlos. Quelle: imago images
In Neuseeland, genauer gesagt in Auckland, wurde eine Autobahnausfahrt zu einem beleuchteten Schnellradweg umgebaut – der sogenannte Lightpath. Quelle: imago images
Auch hierzulande wurden Projekte nicht nur angekündigt, wie das in Baden-Württemberg. In Hagen wurde beispielsweise erst vor Kurzem die Fahrradbrücke an der Volmemündung eröffnet. Im Vergleich zu den Beispielen aus Neuseeland oder China wirkt das Ganze eher bodenständig – was Radfahrerinnen und Radfahrer, die einfach nur ohne Umwege ans Ziel kommen wollen, aber nicht stören dürfte. Quelle: imago images

Lieferengpässe bremsen Hersteller

Bis die neuen Tretautos überhaupt in großen Stückzahlen in Städten unterwegs sind, wird es noch dauern. Noch bereiten die Start-ups die Produktion vor. Hopper Mobility will bis zum Jahresende zunächst 28 Testfahrzeuge bauen. Podbike will im Herbst die Serienproduktion starten – aber zunächst in Norwegen. EU-Kunden sollen erst später von einem Produktionsstandort in Deutschland bedient werden. Der Zeitplan ist mit Vorsicht zu genießen: Mehrmals schon hat das norwegische Start-up seine Kunden, die bereits vorbestellt haben, vertröstet.

„Uns haben immer wieder Lieferengpässe zu schaffen gemacht“, sagt Sørensen. Weil Teile nicht verfügbar waren, habe man immer wieder die Konstruktion anpassen müssen. Hinzu kommt: Der Podbike-Gründer findet gerne mal etwas, das aus seiner Sicht noch verbessert werden muss. „Wir hatten zuletzt das Problem, dass die Geräusche während der Fahrt zu laut sind – da mussten wir noch einmal ran.“ Auch bei Hopper Mobility wird das Fahrzeugdesign noch optimiert. So hat das Start-up auf der Branchenmesse Eurobike Mitte Juli ein neues Lenkkonzept vorgestellt.

Produktionsverzögerungen können für die Start-ups schnell zu einer finanziellen Belastung werden – denn dicke Kapitalpolster sind nicht vorhanden. Hopper Mobility hat laut Schieren Ende des vergangenen Jahres knapp eine Million Euro von einer Gruppe Business Angels erhalten. Podbike konnte über eine Schwarmfinanzierungsplattform zuletzt 1,5 Millionen Euro bei Privatinvestoren einsammeln. Finanzkräftigere Geldgeber sind nicht in Sicht: „Wagniskapitalfirmen sind gerade sehr zurückhaltend – vor allem, wenn es um hardwarelastige Geschäftsmodelle wie das unsere geht“, sagt Firmenchef Højmark. Zwar flossen in den vergangenen Jahren in E-Bike-Start-ups wie Vanmoof oder Cowboy zweistellige Millionenbeträge. Doch deren Zweiräder waren auch bereits gut erprobt. 

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