Gallium aus China Macht Peking Ernst, droht der Autoindustrie Stillstand

Bergbauunternehmer Carl Popal auf der Abraumhalde, in der auch Gallium steckt. Quelle: Thomas Stölzel

Seit Dienstag gelten Chinas Exportbeschränkungen bei Gallium und Germanium. Vor allem Gallium ist für unzählige deutsche Hightech-Produkte unverzichtbar. Alternative Materialien gibt es laut Wissenschaftlern in den allermeisten Fällen nicht.

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Es ist eher ein Zufallsfund, der Carl Popal schon bald zu einem begehrten Unternehmer in Europa und den USA machen könnte. Seit einiger Zeit schon erkundet der australische Bergbauunternehmer verschiedene Vorkommen in Grönland. Er sucht nach Seltenen Erden. Und zeigt auf einer Reise mit Investoren zu seinen interessantesten Projekten eher nebenbei auf die Abraumhalde einer verlassenen Mine in Südgrönland: „Da gibt es Gallium“, sagt Popal, der das Metall möglichst schon im nächsten Jahr hier abbauen will.

Rund 40 Teilchen Gallium auf eine Million Teilchen Gestein, so der Laborbefund. Das mag wenig klingen. Dennoch könnte es sich lohnen, das Technologieelement zusammen mit anderen Metallen wie Kupfer und Zink aus dem Gestein herauszulösen. Denn das Beiprodukt ist plötzlich höchst begehrt: Gallium ist knapp. Und von heute an könnte es noch sehr viel knapper werden.

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Mit dem 1. August nämlich tritt in China eine neue Regelung in Kraft, nach der die Behörden den Export von Gallium quasi nach Gutdünken einschränken können. Die Ausfuhr des Metalls – wie auch von Germanium – muss künftig staatlich genehmigt werden. Das ist ein veritables Problem für unzählige Industrien: Rund 90 Prozent des im Westen verwendeten Galliums kommen heute aus China. Und das Metall ist für alle möglichen Hightech-Anwendungen unverzichtbar. Vom modernen Auto, über Satelliten, militärische Radare, bis hin zum Smartphone – ohne Gallium funktioniert nichts von all dem.

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„Gallium ist wahnsinnig wichtig“, erklärt Peter Haring Bolívar, Professor für Höchstfrequenztechnik und Quantenelektronik an der Universität Siegen. Es werde vor allem in Form von zwei chemischen Verbindungen verwendet – als Galliumnitrid und als Galliumarsenid. „Aus letzterem bestehen heute Laser sowie Hochfrequenzbauteile, wie sie etwa für Mobilfunk-Verteilerstationen oder in der Satellitenkommunikation verwendet werden“, so der Wissenschaftler. Es sei ein sehr weit genutztes Material.

Aus Optik und Elektronik nicht wegzudenken

Zwei Eigenschaften machen Gallium, das schon bei 30 Grad auf der Handfläche schmilzt, einzigartig: Elektronen können sich ultraschnell in ihm bewegen. Sehr viel schneller als in Siliziumhalbleitern. Gallium ist dadurch das ideale Material überall dort, wo extrem hohe Frequenzen erreicht werden müssen. In der modernen Breitbandkommunikation genauso wie bei hochauflösenden militärischen Radaren, oder beim Abstandssensor im teilautonom fahrenden Auto.

Und dann lassen sich Mit Gallium noch Laserstrahlen erzeugen. Galliumarsenid ist laut Haring Bolívar für Infratotlaser unverzichtbar, wie sie etwa in DVD-Playern stecken. Galliumnitrid-Laser erzeugen dagegen blaues, grünes und ultraviolette Wellenlängen, sind unter anderem für Lidar-Systeme und Computertechnik elementar, aber auch zum Schweißen von Kupfer.

Während bei Leuchtdioden und Lasern praktisch keine Alternative existiert, gibt es zumindest in der Elektronik die Siliziumhalbleiter. Ihre Herstellung kostet auch wegen der Knappheit des Galliums nur ein Zehntel. Doch überall dort, wo sehr hohe Leistung gebraucht wird, führt dann nichts an dem raren Metall vorbei.

Unverzichtbar ist Gallium heute darüber hinaus für Hochleistungssolarzellen, wie sie in der Raumfahrt eingesetzt werden. Zwar dominiert Silizium in der Photovoltaik den Massenmarkt. Doch eine Siliziumsolarzelle hat gerade mal einen Wirkungsgrad von 25 Prozent. Eine aus Gallium kommt auf deutlich über 40 Prozent. In der Raumfahrt, wo es vor allem auf Gewicht und Platz ankommt, sind sie daher ein Muss.

Warten darauf, wie China das umsetzt

So wichtig das Element heute für alle möglichen Technologieindustrien ist, so groß ist gerade die Verunsicherung. „Noch ist gar nicht klar, welche Folgen die neue Regelung in China haben wird“, sagt Maren Liedtke, die bei der dem Bundeswirtschaftsministerium untergeordneten Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) den Markt für Gallium überwacht. Das Regime in Peking will Exportlizenzen vergeben. Doch wie viel Verzögerung bedeutet das für die Exporte? Und wird Peking die Mengen überhaupt einschränken? Es könne genauso gut sein, dass es überhaupt keine Auswirkungen gibt, sagt Liedtke.

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Viele Unternehmen geben sich deshalb vorerst betont gelassen, was die Restriktionen angeht. Infineon hatte erst Anfang des Jahres einen Galliumnitridhersteller in den USA gekauft. Der produziert sogenannte Leistungsumwandlungs-Halbleiter für E-Autos, Server, Solar- und Windanlagen, Smart-Grid-Schaltungen und Lithium-Batteriemanagement-Systeme. Weil die USA keine eigenen Reserven haben, braucht das Unternehmen Rohstofflieferungen aus dem Ausland. Dennoch heißt es jetzt: „Zu einzelnen Materialien können wir keine Aussagen treffen.“ Grundsätzlich verfolge Infineon „eine Multi-Sourcing-Strategie“ und unterhalte Lieferbeziehungen zu Lieferanten in verschiedenen geografischen Regionen. Doch wenn am Ende doch 90 Prozent des Materials aus China kommen, wäre im Ernstfall damit wohl wenig geholfen.

Dennoch könnte Infineon etwas glimpflicher davon kommen als andere. Denn Galliumnitrid wird gewöhnlich nur als nachdünne Schicht auf Halbleiterwafer aufgedampft. Diese Schicht ist gerade mal einen Mikrometer dünn, erklärt Haring Bolívar. Bei Galliumarsenidwafern sei sie 500 Mal dicker, einen halben Millimeter.

Auch den Scheinwerferbauer Hella oder Unternehmen wie Osram würde ein Galliummangel treffen. Und damit die deutsche Autoindustrie. Aus Unternehmenskreisen bei Hella heißt es, dass der Konzern sein Gallium nicht direkt beziehe, sondern verarbeitet in Form von LED-Chips. Als China Anfang Juli die Einschränkungen ankündigte, habe man sich sofort mit den Lieferanten in Verbindung gesetzt. Aktuell gebe es aber keine Auswirkungen.

Gallium-Verarbeiter registriert große Nervosität

Die deutsche Automobilindustrie wäre auch bei ihrer Sicherheits-, Kommunikations- und Abstandsradar-Technologie betroffen, die Hochfrequenzelektronik benötigt, sagt der Siegener Professor Haring Bolívar. Etwas, dass noch stärker auf den bayerischen Radarhersteller Hensoldt zutrifft. Dessen Rüstungstechnik ist ein klassisches Hochfrequenzsystem und damit auf große Mengen Galliumarsenid angewiesen. Dank Gallium können die Radare mit sehr viel höheren Frequenzen arbeiten. Das hat direkte Auswirkungen auf ihre Auflösung. Und je zeitiger etwa ein feindlicher Marschflugkörper vom Radar als solcher erkannt wird, desto schneller können Luftabwehrraketen starten und einen größeren Bereich verteidigen.

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„Derzeit sehen wir keine Lieferprobleme unserer Zulieferer, sind aber im engen Austausch bezüglich möglicher Vorkehrungen“, sagt ein Hensoldt-Sprecher. Über Auswirkungen einer Verknappung des Angebots wolle man nicht spekulieren.

Viele deutsche Unternehmen beziehen ihre Galliumvorprodukte heute vom sächsischen Mittelständlern Freiberger Compound Materials, das unter anderem fertige Wafer liefert. Etwa zehn Prozent des weltweiten Gallium-Konsums laufen heute über dieses Unternehmen. Und das bekommt sein Gallium fast ausschließlich aus China.

„Meine Kunden sehen das ganz und gar nicht gelassen. Es gibt jetzt eine Flut von Aufträgen, um die Lagerbestände zu erhöhen. Die Branche ist sehr nervös“, sagte Geschäftsführer Michael Harz vor einigen Tagen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Freiberger Compound Materials hat etwa einen Marktanteil von 65 Prozent bei Galliumarsenidwafern für Smartphone-Leistungsverstärker, konkurriert hier vor allem mit dem japanischen Anbieter Sumitomo Electric und einer Reihe kleinerer chinesischer Hersteller.

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Ob das Vorkommen von Popal in Grönland das Problem der Freiberger lösen könnte, ist fraglich. Aber es könnte ein erster Ansatz sein. Der politische Druck, eine dauerhafte Lösung zu finden, ist jedenfalls groß. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) etwa ringt derzeit mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) um die Einrichtung eines Rohstofffonds. Mit rund einer Milliarde Euro will Habeck laut „Handelsblatt“ die Erschließung neuer Rohstoffquellen unterstützen, um die enormen Abhängigkeiten von chinesischen Materialien zu verringern. Für Gallium wäre das dringend nötig.

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