Wirtschaft von oben #170 – Automarkt Russland Hier kaufen Russen ihre Wagen nach dem Kollaps der Autobranche

Hafen von St. Petersburg Quelle: LiveEO/Pleiades

Weil westliche Konzerne keine Autos mehr nach Russland liefern und die Werke stillstehen, müssen die Menschen auf Gebrauchte aus dem Ausland umsteigen. Exklusive Satellitenbilder zeigen die florierenden Automärkte des Landes – und die gespenstisch leeren Stellplätze in Häfen und Fabriken. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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erWenn Andrej W. das Wort Sanktionen hört, dann fährt dem Russen ein schelmisches Grinsen über das Gesicht. Seit etwa fünf Jahren, erzählt er, verdiene er sein Geld mit dem Import von gebrauchten Autos. So gut wie jetzt sei es aber noch nie gelaufen. Früher kaufte Andrej W. gebrauchte US-Schlitten bei Versteigerungen von Versicherungen direkt in den USA. Vier bis fünf Stück konnte er so pro Monat nach Russland verschiffen. Pro Auto verdiente er bis zu 1000 Euro. Für russische Verhältnisse ein gutes Auskommen. „Seit Europa keine Neuwagen mehr liefert und die russischen Werke stillstehen, ist das Geschäft förmlich explodiert“, berichtet der Händler.

Zwar ist das Geschäft mit den USA vorbei, weil kaum noch Schiffe aus Übersee in Russland einlaufen, umso besser läuft es hingegen mit der EU. Pro Monat kauft er aktuell 40 bis 50 gebrauchte Exemplare – meistens irgendwo in Deutschland – und lässt sie nach Russland bringen.

Viele der Autos die Händler Andrej W. importiert, landen auf riesigen Automärkten wie etwa im Nordosten von Sankt Petersburg. Noch vor einigen Jahren hatten dort Autobesitzer und professionelle Händler gebrauchte Autos angeboten, die einst entweder als Neuwagen nach Russland importiert oder in einem der zahlreichen Russland-Standorten internationaler Hersteller montiert worden sind. Das hat sich innerhalb weniger Monate komplett gewandelt – in eine Richtung, die vergangenes Jahr sicher noch niemand für vorstellbar gehalten haben dürfte. Exklusive Satellitenaufnahmen von LiveEO zeigen: Den riesigen Parkplatz des Petersburger Automarktes füllen jetzt vor allem frisch importierte Autos aus Europa, die bereits einige Jahre auf dem Buckel haben.


„Ich verbringe den halben Tag im Netz auf der Suche nach Autos. Mercedes, Porsche, Volkswagen: Alles ist dabei. Und die restliche Zeit suche ich litauische Auto-Transporter und Fahrer, die die Fahrzeuge von Deutschland nach Russland bringen“. Bis zu einem Kaufpreis von 50.000 Euro sei die Einfuhr völlig legal. Alles was darüber hinaus geht, wird von einem Konto in Georgien oder China bezahlt. „Grob vereinfacht gesagt, sind die Autos dann offiziell in ein anderes Land unterwegs, bleiben aber in Russland“. Probleme am EU-Zoll habe er jedenfalls noch keine erlebt, sagt Andrej W.

Der direkte Import von Gebrauchten aus dem Ausland lohnte sich vor Putins Ukraine-Krieg kaum, denn Russland schottete seinen Markt ab – mit drakonischen Einfuhrzöllen von bis zu 48 Prozent des Kaufpreises. Für ältere Modelle verlangte der Zoll bei der Einfuhr je nach Hubraum zwei bis drei Euro pro Kubikzentimeter, was bei einem Hubraum von zwei Litern bis zu 6000 Euro entspricht. Ein Neuwagen aus russischer Produktion war da meist günstiger. Diese Zeiten sind vorbei. Weil es die Fahrzeuge aus russischer Produktion schlicht nicht mehr gibt, sind russische Autokäufer bereit, tiefer in die Tasche zu greifen – sie haben keine andere Wahl.

Infolgedessen ist der Automarkt in Sankt Petersburg kein Einzelfall. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch auf dem Moskauer Automarkt im Nordosten der russischen Hauptstadt: Wo noch vor Kurzem jede Menge Neuwagen von Toyota und anderen asiatischen und europäischen Marken auf Käufer warteten, dominieren mittlerweile ebenfalls Gebrauchte.


Besonders gut laufen die Geschäfte in Wladiwostok. Seljony Ugol, oder zu deutsch „Grüne Ecke“, ist als Umschlagplatz weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Die Stadt ist in Russland berühmt für den größten Autobasar Russlands. Dort finden jeden Monat Tausende Gebrauchte aus Japan neue russische Besitzer.


Dmitrij Sabora ist seit über 15 Jahren im Geschäft und leitet in der russischen Stadt am Pazifik das Unternehmen Carwin. Seine Spezialität: Er kauft massenweise Rechtslenker bei Versteigerungen in Japan und lässt sie nach Russland verschiffen. „Vor dem Krieg hatten wir vielleicht 80 bis 90 Bestellungen für japanische Autos, im Juni waren es 300“, berichtet der Autohändler. Die Gründe liegen für ihn auf der Hand: „Der starke Rubel kompensiert die Kosten für die Verzollung, und da es kaum noch Neuwagen zu kaufen gibt, haben die Menschen kaum eine Alternative.“

Tatsächlich haben westliche Autokonzerne, die früher für den Import von Neuwagen oder eben die Produktion in Russland zuständig waren, Russland größtenteils den Rücken gekehrt. Zum einen, weil sich einige Zulieferer wegen Sanktionen aus Russland zurückgezogen haben. Zum anderen, weil die Europäische Union den Export von teuren Karossen ab 50.000 Euro Kaufpreis nach Russland untersagt hat.


Satellitenbilder zeigen etwa ein Hafenterminal bei Sankt Petersburg, wo früher tausende Autos pro Monat von Schiffen auf Autotransporter verladen worden sind. Mittlerweile ist das riesige Gelände leer:


Auch der Parkplatz am Zoll-Terminal im Norden der Stadt, ebenfalls ein wichtiger Umschlagplatz für Neuwagen, ist beinahe leergefegt:


Trist sind auch die Bilder von den ehemaligen Produktionsstandorten. Der französische Autokonzern Renault, bis vor Kurzem noch mit einem eigenen Werk in Moskau vertreten, war der erste Autobauer, der sich komplett aus Russland zurückzog. Der Parkplatz für fertige Fahrzeuge gleicht heute einer Asphaltwüste. Auch die Zukunft anderer Hersteller in Russland ist ungewiss. So hat zum Beispiel Volkswagen in Kaluga die Produktion mangels Komponenten aus Europa bis auf Weiteres stillgelegt. Russische Wirtschaftsmedien berichteten jüngst zudem mit Verweis auf anonyme Quellen, dass die Wolfsburger einen Käufer für ihren Standort im russischen Kaluga suchen.

Einziger Lichtblick für die russische Neuwagen-Branche bleibt bislang das Werk des chinesischen Herstellers Haval, der vor wenigen Jahren in einem Industriegebiet bei Tula, südlich von Moskau, die Produktion startete. Anders als Europa oder Japan hat sich China nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt.


Entsprechend reibungslos läuft die Produktion weiter, während Neuwagen auf einem Parkplatz am Werksgelände auf die Abholung zum Händler warten. Mittlerweile ist der Anteil chinesischer Marken bei den Neuzulassungen in Russland von unter fünf auf fast 25 Prozent gestiegen. Insgesamt lag der Absatz im Juli jedoch fast 80 Prozent unter dem Niveau des vergangenen Jahres.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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