Wirtschaft von oben #231 – Kreuzfahrtindustrie Miami, Hamburg, Griechenland: In diesen Häfen ist der Kreuzfahrtboom zurück

Quelle: LiveEO/Sentinel-2

Auf dem amerikanischen Markt und in Teilen Europas haben sich die Kreuzfahrtgesellschaften erholt. Während die großen Schiffe aber aus manchen Städten wie Venedig verbannt sind, haben die Firmen in Asien ein ganz anderes Problem: die späte Öffnung nach Corona. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Als Arnold Donald im April 2021 auf einer Medienkonferenz seinen Ausblick auf das bevorstehende Jahr gab, erntete der Chef der weltgrößten Kreuzfahrtlinie Carnival ungewohntes Mitleid. Denn nachdem der Konzernlenker „von einer aggressiven Rückkehr des Geschäfts“ und „höheren Preisen als vor der Pandemie“ schwärmte, warnte sein Finanzchef David Bernstein: Der Umsatz werde anders als bei den meisten anderen Reiseunternehmen erneut fallen und die Muttergesellschaft der deutschen Aida mehrere Milliarden Nettoverlust schreiben.

„Da fragten sich einige, ob Arnold nach all den Rekordjahren noch den Bezug zur Realität hat“, erinnert sich ein Branchenkenner.

Doch Donald hatte ihn nicht verloren. Denn tatsächlich begann damals die Wende in der Branche. Und als sein Nachfolger Josh Weinstein in der vergangenen Woche die Zahlen für das bisherige Geschäftsjahr 2023 vorlegte, konnte er die wohl rasanteste Erholung im Reisegeschäft melden. Umsatz, Erträge und Gästezahl seien wieder größer als vor der Krise. „Wir waren sogar zu 109 Prozent ausgelastet“, berichtete Weinstein und erklärte dies mit den vielen Zusatzbetten in den Kabinen. „Und der Steigflug geht weiter“, versprach er.

Damit könnte Weinstein recht haben. Denn exklusive Satellitenbilder von LiveEO belegen nun, dass die Branche noch viel Potential hat. So zeigen Aufnahmen von wichtigen Häfen weltweit, dass der Aufschwung noch sehr ungleich verteilt ist und viele Regionen noch stark wachsen könnten.

Der Grund: Viele der rund 280 hochseetüchtigen Schiffe mit ihren insgesamt 644.000 Kojen nehmen andere Routen als früher. Darum steigen in der Karibik, in Skandinavien und in der Golfregion teilweise bis zu 40 Prozent mehr Passagiere ein als 2019. In Australien und Südamerika, am Mittelmeer und in Ostasien dagegen ist es andersherum.


Am weitesten erholt ist derzeit der Markt in Nordamerika. Am weltgrößten Kreuzfahrthafen Miami, wo vor der Krise mit 2,6 Millionen Kunden pro Jahr jeder elfte Seetourist eincheckte, sind die Piers schon wieder so voll wie vor der Pandemie.

Die Satellitenbilder zeigen eindrucksvoll, wie Ende März 2020 gleich neun der mehrere Hundert Meter langen Schiffe im Hafen von Miami parken. Der Verkehr war zu diesem Zeitpunkt eingestellt. Bei normalem Betrieb wie Ende August dieses Jahres liegen meist drei bis fünf Schiffe vor Ort.

Ein ähnliches Bild zeigen die anderen Landeplätze in Florida wie Port Everglades und Port Canaveral nahe des US-Weltraumbahnhofs. Von hier starten die meisten der in der Regel einwöchigen Touren in die Karibik, die weltweit gut jeder dritte Bootsurlauber bucht. In der Krise war es sogar fast jeder zweite.

Das aktuell größte Wachstum verzeichnen jedoch die etwas kleineren Häfen an der amerikanischen Westküste wie Los Angeles oder dem inzwischen größten Haltepunkt Seattle im Bundesstaat Washington. Der Landstrich von Alaska bis Mexiko ist nach der Karibik und dem westlichen Mittelmeer die drittbeliebteste Region.


Gemischt läuft das Geschäft derzeit in Europa. Hier kommen die meisten Passagiere aus dem in diesem Jahr besonders reisefreudigen Deutschland. Und wegen des günstigen Dollar-Wechselkurses zieht es auch viele Nordamerikaner in die alte Welt. Doch das genügt nicht, um die Lücke ganz auszugleichen.

Am besten gebucht sind derzeit Schiffstouren nach Nordeuropa. „Hier gibt es besonders viel Nachfrage“, teilt Tui Cruises mit. Davon profitieren vor allem deutsche Häfen wie Hamburg, wo in der Hafencity ein neues Terminal entsteht. 2025 soll es seinen Betrieb aufnehmen. Laut der Betreibergesellschaft Cruise Gate Hamburg wird es über zwei Liegeplätze (345 und 230 Meter Länge) für bis zu 1800 Passagiere verfügen und einen unterirdischen Busbahnhof, Pkw-Parkplätze, eine Taxizufahrt sowie Hotel- und Einzelhandelsflächen haben.

Aber auch Kiel und Rostock bringt die wachsende Beliebtheit der Skandinavientouren spürbares Wachstum – und reichlich Geld für die lokale Wirtschaft.

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Laut einer aktuellen Prognose des Weltkreuzfahrtverbands CLIA wird die Spaß-Schifffahrt in diesem Jahr als erster Teil der Ferienindustrie größer sein als vor Corona. „Während in anderen Bereichen zwar der Umsatz gestiegen ist, aber die Zahl der Reisenden nach wie vor niedriger als 2019 liegt, mangelt es in der Kreuzfahrt derzeit nicht an Passagieren“, berichtet Aida-Verkaufschef Felix Eichhorn.

Das weltweit zweitgrößte Kreuzfahrtgebiet Mittelmeer hinkt gegenüber den USA und Nordeuropa allerdings hinterher. Dafür sorgt weniger die östliche Hälfte. Dort leiden zwar die türkischen Häfen wie Istanbul dem Vernehmen nach unter Reisezurückhaltung und weniger Kunden aus Russland. „Aber dafür boomt Griechenland“, heißt es bei Tui.

Ein Minus von voraussichtlich sechs Prozent erwarten Experten dagegen im westlichen Mittelmeer. Das liegt jedoch weniger an der Nachfrage. Während Civitavecchia bei Rom die Zahl der Reisenden mit 1,7 Millionen im Jahr 2022 fast wieder auf Vorkriegsniveau sah, zählte Venedig in seinen sieben Terminals nur rund 240.000 Reisende – gerade mal 15 Prozent des Werts von 2019.


Grund sind vor allem politische Beschränkungen, etwa in Venedig. Noch 2019 ankerten an den sieben Terminals nahe des Bahnhofs Santa Lucia oft fünf oder sechs Kreuzfahrtschiffe mit jeweils bis zu 5000 Gästen gleichzeitig, was die Stadt überforderte. Die Riesendampfer sorgten für schlechte Luft, im übertragenen und im wahrsten Sinne des Wortes. Laut Messungen hatte Venedig 2019 die höchste Konzentration an giftigem Schwefeldioxid aller europäischer Häfen.

Zudem wurde es oft gefährlich eng in den schmalen Anlageplätzen. So steuerte 2019 ein überforderter Kapitän seinen etwa 13 Stockwerke hohen Ozeanriesen in eines der Docks. Doch alle Proteste und Forderungen nach einer Obergrenze verhallten ungehört. Denn die gut zwei Millionen Reisenden sorgten in der Region für geschätzt gut zwei Milliarden Euro Wertschöpfung und umgerechnet 100.000 Jobs.

Die Wende kam erst 2021. Denn damals machte die Kulturorganisation der Vereinten Nationen Unesco ihre seit 2014 geäußerte Drohung wahr und wollte Venedig als gefährdetes Weltkulturerbe einstufen. Prompt führte der italienische Staat eine Obergrenze ein. Nun dürfen in den Innenstadthafen neben Fähren nur noch Schiffe mit maximal 25.000 Tonnen Gewicht – rund ein Zehntel des aktuell größten Kreuzfahrers, der Wonder Of the Seas.


Seitdem machen hier nur wenige, meist kleine und luxuriöse Schiffe fest. Der Rest weicht aus in Nachbarhäfen wie den Industriehafen Marghera auf dem Festland, acht Kilometer westlich vom Bahnhof Venedig, ins eine Autostunde entfernte Chiogga – oder meidet die Lagunenstadt ganz. Weitere Städte wie Barcelona haben ähnliche Pläne.

Das Terminal von Marghera ist seit rund anderthalb Jahren in Betrieb und nimmt immer wieder Gäste auf, wie die Aufnahme aus dem Juli zeigt. Auf niedriger aufgelösten Satellitenfotos sind auch im August und September immer wieder Kreuzfahrtschiffe zu erkennen.

Weil es an Europas Haupthäfen eng wird, sah die Branche vor Corona ihr größtes Wachstum in Asien. Aus dem Dreieck Indien-Japan-Indonesien stammen derzeit nur elf Prozent der Kreuzfahrer, aber rund die Hälfte der Weltbevölkerung. Weil dank des starken Wirtschaftswachstums die Mittelschicht in Asien stark zulegen dürfte, sollen es bald mehr Kunden werden.

Die Reedereien hatten nicht nur eigene Schiffe für die Region aufgelegt, mit großen Spielkasinos. Es entstanden auch neue Häfen. So funktionierte etwa Hongkong seinen 1998 stillgelegten Innenstadtflughafen Kai Tak zum Kreuzfahrthafen um.


Bis 2019 funktionierte das recht gut. Die Häfen lockten heimische und auch europäische Reedereien wie Tui Cruises oder Aida an, die von dort aus Touren bis nach Vietnam anboten.


Doch dann traf die Pandemie die Neulinge am härtesten. Weil alle Länder der Region ihre Grenzen schlossen, konnte fast kein Kreuzfahrer mehr in die beiden Stadtstaaten. Der Verkehr ging fast auf null zurück. Ähnlich am Ocean Terminal ein paar Kilometer westlich vom Kai Tak: Während zur Zeit der ersten Aufnahme auf fast jedem niedriger aufgelösten Bild – von denen es hier pro Woche rund drei gibt – mindestens ein Schiff zu erkennen ist, sind auf den Aufnahmen rund um das aktuelle Datum Anfang Juni nur sehr selten Schiffe zu sehen.

Da sich die Länder nur vorsichtig öffnete, reisten zwar etwa die Bewohner Singapurs nach Europa. Doch in der Region selbst gingen auch im vorigen Jahr nur ein Viertel so viele Kunden an Bord wie 2019.


In Singapur ist Marina Bay nur eines von mehreren Kreuzfahrtterminals. Auch dort kehren die Passagiere nur langsam zurück. Von Juni bis Oktober sind auf den niedriger aufgelösten Satellitenbildern, von denen es für diesen Standort pro Woche durchschnittlich zwei gibt, nur vier Schiffe auszumachen.

Laut Tui ist der Nachholbedarf in der Region nach wie vor am größten, „weil vor allem China erst vor Ostern richtig öffnete“. Darum haben alle großen westlichen Reedereien Schiffe abgezogen und setzen sie in Europa und Nordamerika ein.

Und die Lücke wird wohl noch eine Weile bleiben. Zwar verzeichnen die Reedereien für das kommende Jahr auch in Asien eine deutlich stärkere Nachfrage. Doch sie wollen ihre Schiffe erst mal lieber im Westen lassen. Die Schiffe seien gut eingesetzt, an Plätzen, „wo sie mehr bringen als zuvor“, kommentiert Carnival-Chef Weinstein. „Darum werden wir in der Region noch ein Weile an der Seitenlinie bleiben.“

Er weiß: Auch ohne Asien erwartet die Branche weiteres kräftiges Wachstum. Laut CLIA soll die Zahl der Kunden bis 2027 auf fast 40 Millionen steigen – ein Drittel mehr als 2019.


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