Wirtschaft von oben #246 – Immobilienkrise in China Evergrande-Abwicklung: Eine Gefahr für Xi Jinpings Macht

China hat Neubauprobleme – wie diese Häuser hier, die seit über einem Jahrzehnt einfach nicht fertig werden wollen. Quelle: LiveEO/Google Earth

Die Turbulenzen bei Evergrande zeigen: Die Immobilienkrise in China ist längst nicht überwunden. Aktuelle Satellitenbilder lassen erkennen, wie die Führenden im Lande seit Jahren gegen den Kollaps der Branche kämpfen. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Es gibt nur wenige Dinge, die das Machtgefüge um Chinas Staatschef Xi Jinping ins Wanken bringen könnten. Eine Eskalation der Krise auf dem chinesischen Immobilienmarkt ist eins davon. Inzwischen sollen Expertenschätzungen zufolge unglaubliche 65 bis 80 Millionen Wohnungen im Land leer stehen.

Seit Monaten kämpfen Entwickler wie Evergrande und Country Garden gegen den Kollaps. Zuletzt war es ruhig um sie geworden – nun ordnete ein Gericht in Hongkong jedoch die Auflösung von Evergrande an.

Platzt die Blase komplett, könnte das nicht nur eine Bankenkrise auslösen. Die politische Stabilität von ganz China wäre gefährdet. Schließlich hat ein großer Teil der Bevölkerung seine Ersparnisse auch aufgrund politischen Willens in den vergangenen Jahren in Wohnungen investiert, die nun als nicht oder schwer vermietbar gelten. Aktuelle Satellitenbilder von LiveEO lassen die Probleme und Auswüchse dieses ausufernden Immobilienbooms inzwischen sogar aus dem Weltall erkennen.

China Evergrande ist der weltweit am höchsten verschuldete Konzern. Jetzt soll er aufgelöst werden – Chinas Börsen gerieten umgehend unter Druck. Was bedeutet das für Chinas Wirtschaft und den Immobilienmarkt?

An der einen Stelle werden Wohnviertel nicht weiter gebaut, an anderer Stelle unvollendete Gebäude abgerissen und durch neue ersetzt. Wenig hilfreich ist es dabei, dass die Entwickler mit immer gigantischeren Projekten versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen.

Die Krise weitet sich inzwischen sogar auf Wohngebiete außerhalb von China aus, beispielsweise ein Neubauviertel vor den Toren Singapurs. Für die hat der chinesische Entwickler eine riesige Insel für chinesische Immobilienkunden aufschütten lassen. Diese sollte den Anfang einer ganzen Inselkette markieren. Doch jetzt sind auch diese Wohnungen kaum verkäuflich.

In China versucht die Regierung derweil gegenzusteuern. Und das sogar hier und da mit Erfolg, lässt sich auf den Bildern erkennen.

Die Planstadt Ordos-Kangbashi in der chinesischen Autonomieregion Innere Mongolei etwa schaffte es vor einigen Jahren zu trauriger Berühmtheit. Sie galt als wohl größte Geisterstadt der Welt. Mit der Entdeckung großer Kohle- und Gasvorkommen um das Jahr 2000 herum war die Idee entstanden, eine neue Großstadt zu errichten – anfangs für 300.000 Menschen. Seit 2004 wurden unzählige Hochhäuser hochgezogen. Doch die Menschen blieben aus, zeigen Satellitenaufnahmen. In vielen der neuen Viertel stoppten die Arbeiten. Die Häuser blieben unvollendet, der Boden: aufgebaggert hinterlassen. Schätzungen zufolge lebten Ende 2015 gerade mal 20.000 Menschen in der neuen Stadt.

Bilder: LiveEO/Spot, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Doch das änderte sich spätestens 2018, zeigen die Bilder. In einem westlich gelegenen Viertel beispielsweise gingen die Arbeiten plötzlich weiter. Grünflächen wurden angelegt. Inzwischen stehen hier viele Autos vor den Häusern. Der Grund: Zuvor hatte die Regionalregierung die beste Mittelschule der Region nach Ordos-Kangbashi verlegen lassen. Sogenannten Tigereltern, die ihre Kinder für die Elite-Universitäten Chinas fit machen wollen, mussten wohl oder übel mit der Schule ziehen. Leer stehende Gebäude füllten sich. Vorerst.

Denn seitdem wird in der Stadt wieder gebaut. Und schon wieder scheint den Entwicklern mittendrin die Luft auszugehen, zeigen neuste Bilder von einem am nördlichen Rand von Ordos-Kangbashi gelegenen Viertel. Seit mehr als zwei Jahren ist hier kein Baufortschritt mehr zu erkennen.

Bilder: LiveEO/Spot, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Halbfertig herumstehende Gebäude gibt es in China nicht nur in der Inneren Mongolei. In Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan, ließ der Staat im Sommer 2021 gleich 15 unvollendete Wohnhochhäuser sprengen. 14 fielen um, eines blieb stehen, musste auf konventionelle Art abgetragen werden. Zuvor hatten die Häuser sieben Jahre als Rohbau in Kunming gestanden, weil dem Immobilienentwickler das Geld ausgegangen war.

Doch Entlastung für den Immobilienmarkt brachte das kaum – im Gegenteil. Satellitenbilder von der Stelle zeigen jetzt, dass sofort im Anschluss neue riesige Wohnhochhäuser hochgezogen wurden. Zurückhaltung aufgrund einer Immobilienkrise? Keine Spur.

Bilder: LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Lokale Behörden haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten jede Menge Land an Immobilienentwickler verkauft. Die Idee: Das wird wirtschaftlichen Aufschwung in die Regionen bringen. Die Entwickler nahmen dafür riesige Kredite auf, wetteten darauf, dass die Immobilienpreise immer weiter steigen. Das US-Investmenthaus Hayman Capital etwa hat errechnet, dass in Chinas zurzeit vier Billionen US-Dollar in Form von Krediten für Immobilienfirmen im Feuer stehen – mindestens.

Die Regierung von Xi Jinping trägt daran eine gehörige Mitschuld. Sie hat über Jahre die Zinsen künstlich niedrig gehalten, um die Wirtschaft zu beleben. Geld aufs Sparbuch zu legen, war somit unattraktiv.

Hinzu kommt: „Wegen der strengen Vorschriften für Finanzkonten in China, die inländische Haushalte hindern sichere ausländische Vermögenswerte zu halten, entscheiden sich diese Haushalte für Wohnimmobilien“, heißt es in einer aktuellen Untersuchung der Central University of Finance and Economics in Peking. Nicht wenige Familien aus der Mittelschicht haben inzwischen drei oder vier solche Immobilien gekauft. Die Autoren der Studie sprechen von einer regelrechten Flucht in Wohnbesitz.

Lesen Sie auch: Westliche Experten sind zwar skeptisch, was die Aussichten für die chinesische Wirtschaft angeht, aber der Strukturwandel der zweitgrößten Volkswirtschaft nimmt Gestalt an.

Der Mangel an alternativen Investments hat die Immobilienentwickler in den vergangenen Jahren zu immer ausgefalleneren Projekten getrieben. In der subtropischen Inselprovinz Hainan baut das Unternehmen Evergrande (der zweitgrößte Immobilienkonzern Chinas) für umgerechnet 13 Milliarden US-Dollar die weltgrößte Resort-Insel der Welt. Die Form von Ocean Flower Island erinnert an eine riesige Blüte.

Dabei ging es nicht immer mit rechten Dingen zu. So ordnete Ende 2021 die Stadtverwaltung Danzhou an, dass der inzwischen sogar von der Abwicklung bedrohte Entwickler 39 fertige Hochhäuser wieder abreißen soll. Der Konzern habe Umweltauflagen nicht beachtet. Das entsprach etwa 3900 der insgesamt 65.000 auf der Insel geplanten Wohnungen.

Bilder: LiveEO/Sentinel, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Aktuelle Satellitenbilder aber zeigen, dass die Häuser nach wie vor stehen. Tatsächlich haben die lokalen Behörden die Anlage stattdessen konfisziert. Laut der Nachrichtenagentur Reuters genehmigten sie die Umwandlung von 16 der Gebäude in Mietwohnungen, vier in Dienstleistungswohnungen und die restlichen 19 in Hotels, Büros und Einzelhandelsflächen.

Protzige Megaprojekte wie Ocean Flower Island errichten die chinesischen Immobilienentwickler inzwischen auch im Ausland. Etwa vor den Toren Singapurs, in malaysischen Gewässern. Seit 2014 haben Schiffe und Radlader hier eine große Insel aufgeschüttet. Das Unternehmen Country Garden aus Guangdong will für 100 Milliarden US-Dollar eine ganze Kette aus vier solcher Inseln schaffen. Realisiert ist bisher nur eine. Und dabei dürfte es vorerst auch bleiben. Satellitenbilder deuten derzeit jedenfalls nicht auf eine Erweiterung hin.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Auch dieses Forest City genannte Projekt richtet sich vor allem an Chinas Mittelschicht. Doch die tatsächlichen Verkäufe laufen mehr als schleppend, auch aufgrund der restriktiven Regeln aus Peking zu Investitionen im Ausland. Das Viertel beherbergt laut der Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“ aktuell nur etwa 9000 Menschen, deutlich weniger als die angepeilten 700.000. Während sich die Bauarbeiter von der Insel zurückzögen, lege sich Totenstille darüber, schreibt die Zeitung.

Anders scheint das im Yujiapu Financial District zu sein, der an den New Yorker Stadtteil Manhattan erinnern soll. Nachdem hier 2010 die ersten Wolkenkratzer im westlichen Teil der Halbinsel entstanden sind, passierte erst einmal nichts mehr. 2019 standen vier Fünftel der Büroflächen leer. Satellitenbilder zeigen, dass die Arbeiten an mehreren Brücken eingestellt wurden. Inzwischen aber wird auf der Halbinsel wieder gebaut. Im östlichen Teil wachsen neue Bürohäuser.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Auch hier hat die lokale Regierung den Bildungsjoker gezogen, als Lockmittel eine Niederlassung der weltberühmten New Yorker Schauspielschule Julliard eröffnet – dafür etwa eigens aus Hamburg 150 Steinway-Pianos importiert, die nun laut „New York Times“ in speziell klimatisierten Räumen stehen. Das soll Studenten und deren Eltern anziehen. Und damit auch Unternehmen. Für solche Prestigeprojekte nimmt der chinesische Staat inzwischen selbst hohe Kredite auf. Um jeden Preis soll verhindert werden, dass die Immobilienkrise zunimmt und in andere Branchen überschwappt.

Doch nicht immer gelingt es, die strauchelnden Projekte nachhaltig zu beleben. Das zeigen schon vor weit über einem Jahrzehnt entstandene Prestige-Vorhaben, bei denen etwa die Innenstadt von Paris nachempfunden wurde. Samt Eiffelturm, Triumphbogen und Champs-Élysées.

Zu teure Neubauten nach Pariser Art, Tianducheng, Provinz Zhejiang, China

30.04.2023: Eifelturm und barrocke Bohnviertel. Die Nachbildung der europäischen Stadt war teuer, entsprechend hoch sind Miet- und Kaufpreis.

Bilder: LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Weil die Baukosten der aufwendigen barocken Nachbildungen sehr hoch waren, sind nun auch die Mieten und Kaufpreise in dem Viertel sehr hoch. Und das, obwohl die Wohnungen etwa abseits am Stadtrand von Hangzhou liegen. Das Viertel dient deshalb heute vor allem schlendernden Besuchern und als Kulisse für Brautpaare. Nahezu niemand wohnt hier.

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Für China und Staatschef Xi sind solche Immobilienflops zu einem gewaltigen Klumpenrisiko herangewachsen. Die Autoren der Pekinger Studie nennen auch einen besseren Weg: Private Haushalte in China benötigten sichere Anlagemöglichkeiten, um den Wert ihres Vermögens im Zuge verschiedener wirtschaftlicher Unsicherheiten zu sichern: Bargeld, Bankeinlagen, Schatzanweisungen der US-Regierung oder Sachwerte wie Gold und anderes. Ein hoch entwickelter Finanzsektor, in dem es diverse Investitionsmöglichkeiten gibt, biete einfach eine bessere Möglichkeit für den Werterhalt.

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