Wirtschaft von oben #251 – Saudische Megacity Neom Der Ölprinz und die weltgrößte Fabrik für grünen Wasserstoff

Die zukünftige Wasserstofffabrik von Neom. Quelle: LiveEO/Pleiades

Der saudische Kronprinz lässt am Roten Meer die Megametropolregion Neom errichten. Einige wichtige Teile nähern sich der Fertigstellung, zeigen neueste Satellitenbilder – darunter die weltgrößte Fabrik für grünen Wasserstoff, an deren Bau auch ThyssenKrupp Nucera beteiligt ist. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Im Dezember meldete sich Hollywood-Star Will Smith überraschend auf seinen Social-Media-Kanälen aus der saudischen Zukunftsmetropole Neom. Die dort geposteten Videoclips waren wenig aussagekräftig, sollten dem Megaprojekt offenbar neue Aufmerksamkeit bei Investoren verschaffen. Internationalen Journalisten dagegen erlaubt die Regierung des Wüstenstaates bisher nicht, Neom zu begutachten. Um den Stand der Arbeiten unabhängig zu beurteilen, bleibt einzig, ihn aus dem Weltall zu observieren.

Neueste Satellitenbilder von LiveEO, die die WirtschaftsWoche ausgewertet hat, zeigen nun, dass es vor allem bei zwei Teilen von Neom schnell voran geht: bei der neuen Urlaubsinsel Sindalah und Saudi Arabiens erster großen Fabrik für grünen Wasserstoff. Beide Projekte näheren sich zumindest äußerlich der Fertigstellung.

Fortschritte sind auch beim Wintersportzentrum Trojena zu erkennen. Bei der linienförmigen Metropole The Line ist dagegen außer umfangreichen Erdarbeiten nach wie vor nicht viel zu sehen und für die grüne, zur Hälfte schwimmende Industriestadt Oxagon werden derzeit die Hafenbecken ausgehoben.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der 2018 nach dem Mord am Journalisten Jamal Khashoggi weltweit in Verruf gekommen war, umgibt sich nicht nur immer wieder gern mit Hollywood-Größen, wohl um sein schlechtes Image abzuschütteln. Er will mit Neom auch eine gewaltige grüne Sonderwirtschaftszone am Roten Meer aufbauen. 

Sie soll sogar ein eigenes Justizsystem außerhalb des Scharia-Rechts bekommen, das von Investoren mitgestaltet wird. Allerdings prangern Nichtregierungsorganisationen mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen an, mit denen Saudi Arabien das Projekt vorantreibe. Die Zone hat ungefähr die Größe von Brandenburg, wird aus mehreren Zentren bestehen. Geplante Kosten: 500 Milliarden Dollar.

In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Verzögerungen gegeben. Gut vorangegangen ist es zuletzt aber in Sindalah, einer Urlaubsinsel am nördlichen Ende des Roten Meeres: Luxushotels, Villen, ein Yachthafen für 86 Schiffe und ein riesiger Golfplatz. 2800 Besucher soll das Eiland für Reiche und Superreiche jeden Tag beherbergen können. Die Insel wird noch in diesem Jahr die ersten Touristen empfangen, so der Plan.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Die Arbeiten hatten hier 2019 begonnen, zeigen Satellitenbilder. Auf einer Nachbarinsel, zu der kleine Dämme aufgeschüttet wurden, um sie mit dem Festland zu verbinden, hatte der Kronprinz ein riesiges Arbeitercamp und Logistikzentrum mit Anlegern errichten lassen. Kleine Boote bringen von hier aus Baumaterial und Arbeiter im glasklaren türkisfarbenem Wasser nach Sindalah. An Bojen befestigte Leitungen versorgen die Maschinen auf der künftigen Urlaubsinsel mit Strom.

Camp nahe der Urlaubsinsel Sindalah, Neom, Saudi Arabien

19.05.2023: Von diesem Arbeitercamp auf einer Insel nebenan werden Arbeitskräfte und Material nach Sindalah gebracht.

Bild: LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Sindalah soll nicht die einzige solche Insel in der Gegend bleiben. Ringsherum gibt es eine ganze Reihe von Sandbänken. Die Saudische Regierung will auch diese entwickeln, ließ sie 2022 in einem Statement mitteilen.

Fortgeschritten sind auch die Arbeiten an der Wasserstofffabrik der neu gegründeten Neom Green Hydrogen Company (NGHC). Hier baut auch das deutsche Unternehmen ThyssenKrupp Nucera mit. Es liefert das Herzstück der zwei Gigawatt großen Anlage, die Elektrolyseure, die aus Grünstrom und Wasser klimaneutralen Wasserstoff produzieren sollen. Acht von 110 Modulen seien zur Verschiffung übergeben worden, so eine Sprecherin. Inzwischen sei die Fertigung bei ThyssenKrupp Nucera zudem hochgefahren worden. Künftig sollen 18 Module pro Quartal ausgeliefert werden. Mit dem Auftrag für Neom hatte Nucera seinen Umsatz vervielfacht.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Das mehr als acht Milliarden Dollar teure Projekt soll ab 2026 täglich bis zu 600 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren. Das entspricht etwa dem Energiegehalt von 1,9 Millionen Litern Diesel. Für den weltweiten Bedarf ist das zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein in Deutschland werden laut Statistischem Bundesamt pro Tag rund 120 Millionen Liter Diesel verbraucht. Doch es wird die bislang größte solche Anlage der Welt – und ein Anfang. Geleitet wird das Helios genannte Projekt vom US-Industriegasekonzern Air Products und dem saudischen Kraftwerksbauer ACWA Power. 

Der komplette hier hergestellte grüne Wasserstoff soll per Schiff exportiert werden, in Form von Ammoniak, auch nach Deutschland. Der Bund hatte dazu 2022 den Bau eines Importterminals in Hamburg beschlossen. Die riesigen Ammoniak-Tanks in Neom werden vom Siegener Unternehmen SPG Steiner gebaut, die Anlage zur Ammoniak-Synthese vom dänischen Chemieanlagenbauer Topsoe. Am Bau der Anlage sind laut NGHC mehr als 10.000 Menschen beteiligt.

Schneller schlau: Wasserstoff

Direkt mit der Wasserstofffabrik von Neom verbunden ist die künftige grüne Industriestadt Oxagon. Wie der Name andeutet, soll sie die Form eines Achtecks haben und ungefähr zu Hälfte auf dem Meer schwimmen. Sie entsteht durch den Umbau des heutigen Hafens Duba, der zehn Kilometer nördlich der neuen Wasserstofffabrik liegt. Aktuelle Satellitenbilder zeigen neben einem Arbeitercamp, dass die schmale Hafeneinfahrt und das Hafenbecken derzeit erweitert werden.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/GoogleEarth/Maxar, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Rings um den Hafen sollen künftig die Logistikzentren und Fabrikhallen von Oxagon entstehen. Auf dem schwimmenden Teil werden sich dem Plan zufolge ein ozeanographisches Forschungsinstitut und verschiedene Industrien ansiedeln. Es wird ein System an Kanälen geben, das an Venedig erinnert, heißt es. Auf einer Fläche von 48 Quadratkilometern sollen hier bereits 2030 rund 90.000 Menschen leben, 70.000 davon in Oxagon auch arbeiten.

Etwas weiter sind die Arbeiten am Berg- und Wintersportort Trojena, der 100 Kilometer nordöstlich von Sindalah am Berg Dschabal al-Lauz liegt. Der ist immerhin 2580 Meter hoch und in den Wintermonaten, das zeigen Satellitenbilder, fällt hier an manchen Tagen sogar etwas Schnee.

Bilder: LiveEO/Sentinel

Ob das für das hier geplante Skiressort reicht, darf allerdings bezweifelt werden. Ohne jede Menge Kunstschnee würde es wohl ein Traum des Kronprinzen bleiben. Der Strom dafür soll aus erneuerbaren Energien kommen, das Wasser aus Entsalzungsanlagen und es soll wiederverwendet werden. Die Skipisten werden zum Teil wie ein Hochstraßensystem angelegt sein.

Die Zeit drängt. 2029 sollen in Trojena die zehnten Asiatischen Winterspiele stattfinden. Eine große Sache für Kronprinz Mohammed bin Salman. Denn es wäre das erste Mal, dass eine internationale Wintersportveranstaltung in einem arabischsprachigen Land abgehalten wird.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/GoogleEarth/Airbus

Seit 2019 ist in Trojena ein erstes Wintersportdorf mit mehrstöckigen Unterkünften, offenbar einer Art Besucherzentrum, sowie Swimmingpools und Sportanlagen entstanden. Das zeigen die Satellitenbilder. Zudem sind im Umfeld Erdarbeiten zu erkennen. Ob für die Pisten oder den künstlichen See, der hier ebenfalls entstehen soll, lässt sich nicht genau erkennen.

Die Skianlage am Berg Dschabal al-Lauz, Neom, Saudi Arabien

07.12.2023: Auf dem Bild sind deutlich Erdarbeiten zu erkennen – offenbar, um Skipisten und einen künstlichen See anzulegen.

Bild: LiveEO/SPOT

Kritiker sehen in der grünen Metropole Neom vor allem ein Ablenkungsmanöver Saudi Arabiens, das in Wirklichkeit weiterhin am klassischen Öl-Geschäft festhalten wolle. Doch derzeit baut das sonnenreiche Land auch mehrere wegweisende Solarparks, deren Strom gerade mal einen US-Cent je Kilowattstunde kosten wird und damit im internationalen Vergleich konkurrenzlos billig ist. Zudem sollen Windparks die Zukunftsmetropole mit Strom versorgen.

Doch das mit Abstand verrückteste Vorhaben innerhalb von Neom ist die bandförmige Stadt The Line. Sie soll 170 Kilometer lang und nur 200 Meter breit sein, sich durch die Wüste bis hinein ins Gebirge ziehen und im Endausbau neun Millionen Menschen beherbergen. Die Architekturbüros Fuksas, Morphosis und Coop Himmelb(l)au lieferten die Entwürfe. Star-Architekt Norman Foster hatte das Projekt anfangs beraten, sich aber nach dem Mord an Khashoggi zurückgezogen.

Bilder: LiveEO/Sentinel

Inzwischen heben Arbeiter nahezu über die gesamte Länge der künftigen Stadt den Boden für die Fundamente aus. Tunnel für Hochgeschwindigkeitszüge und zur Versorgung sollen unter der autofreien Stadt entlanglaufen.

Doch rund zwei Jahre nach Baubeginn sind immer noch keine Gebäude oder nennenswerten Fundamente auf den Satellitenbildern zu erkennen. Das könnte Zweifel am Zeitplan schüren. Der erste Bauabschnitt des Projektes soll schließlich schon 2030 fertig gestellt sein.

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In die Kritik war The Line geraten, weil die Regierung die Bewohner des Stammes der Howeitat zum Teil gewaltsam aus dem Gebiet vertreiben und ihre Dörfer abreißen ließ. Dabei starb ein Stammesmitglied. Drei weitere wurden laut der Menschenrechtsorganisation ALQST durch ein saudisches Gericht zum Tode verurteilt. Ein Berufungsgericht bestätigte später das Urteil. Sogar das Büros des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen äußerte sich vergangenes Jahr alarmiert, dass drei anstehenden Exekutionen mit Neom in Verbindung stehen.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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