Allianz Sofort erledigen

Die Allianz baut ihr Deutschlandgeschäft um – eine Mammutaufgabe, wie der Besuch in einem Kundenzentrum belegt.

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Es ist 10.15 Uhr, Hochbetrieb im Großraumbüro des Nürnberger Kunden-Service-Centers der Allianz Private Krankenversicherung. Kerstin Schwab klickt mit der Maus auf den Button „Anruf annehmen“ auf ihrem Bildschirm. Die zierliche Frau mit den langen dunklen Haaren hat an der Nummer erkannt, dass der Anruf aus der Allianz-Organisation kommt; sie meldet sich mit: „Go-Easy-Hotline, mein Name ist Kerstin Schwab.“ Und beginnt damit ein Gespräch – das es bald nicht mehr geben soll. Am anderen Ende ist ein Vertreter aus Hannover. Er sucht eine Kundin, „die umgezogen sein muss“. „Wie heißt die Dame denn?“, fragt die 43-jährige Kundenberaterin ins Mikro ihres Headsets. Der Vertreter gibt den Namen durch: „Sie müsste eine Reisekrankenversicherung haben.“ Schwab lässt den Namen durch die Datenbank laufen. „Ich kann die Dame leider nicht finden. Sie hat keine Krankenversicherung. Haben Sie noch andere Anhaltspunkte?“ Da muss der Vertreter passen. Um die verlorene Kundin zu finden, bleibt ihm nur, bei den sechs Service-Centern der Allianz-Sachversicherung anzurufen. Oder sich in der Stuttgarter Lebensversicherungs-Zentrale durchzufragen. Diese mühsame Suche im Konzerngeflecht soll bald Vergangenheit sein. Das moderne Nürnberger Center, das die Daten aller 4,2 Millionen Versicherten der Allianz Krankenversicherung auf Knopfdruck abrufen kann, wird zum Modell für die neue Allianz – für eine Allianz aus einem Guss, wie sie sich Vorstandschef Michael Diekmann wünscht. Er will die Kundenbetreuung verbessern und damit den Versicherungsriesen im Heimatmarkt, wo er seit Jahren Marktanteile verliert, wieder auf Wachstum trimmen.

Bisher war das Deutschlandgeschäft des Konzerns ein Flickenteppich. Sach-, Lebens-, Krankenversicherung führten ein Eigenleben. Jetzt baut Diekmann das Geschäft um und vereint alle Sparten unter dem Dach der Allianz Deutschland AG (Adag). Elf von 21 Verwaltungsstandorten werden geschlossen, fast 6000 Stellen kostet der Umbau im Versicherungsgeschäft. Ein Mammutprojekt. Doch es geht nicht nur um Arbeitsplätze in der Verwaltung oder um Macht der Niederlassungsleiter, sondern auch um ein riesiges Technikprojekt. Allein zwölf Informatiksysteme müssen integriert werden. Was der Umbau für Kunden und Mitarbeiter bedeutet, offenbart ein Besuch an der Basis, wie dem Service-Center in Nürnberg. „Es gab schon Unternehmen, die an solchen Riesenvorhaben zu Grunde gingen“, sagte der Allianz-Chef vergangenen Herbst im Gespräch mit der WirtschaftsWoche (siehe 42/2005). Der Mann fürs Grobe ist Adag-Vorstandsmitglied Christof Mascher. Er leitet den technischen und organisatorischen Umbau. Der 45-jährige Österreicher, der im Januar von Wien nach München wechselte, feilt mit rund 300 Spezialisten seit Monaten an schlanken Arbeitsabläufen. Sie halfen auch bei den Daten für den Stellenabbau, den die Allianz gerade bekannt gab. Was die Allianz-Mitarbeiter schmerzlich trifft, hilft den 19,7 Millionen Allianz-Kunden und den Vertretern in den rund 10.000 Agenturen. In der neuen Struktur will die Allianz „Service aus einer Hand“ bieten, sagt Adag-Chef Gerhard Rupprecht. Bisher bekommt der Kunde mehrere Rechnungen, muss an unterschiedliche Konten seine Versicherungsbeiträge überweisen und hat mehrere Ansprechpartner. Der Grund: Die Informationen sind in Deutschland verteilt. Für die Lebens- und die Krankenversicherung gibt es je ein IT-System, für die Sachversicherung sogar zehn unterschiedliche EDV-Plattformen. Sicher: Die Trennung in Sparten ist gesetzlich vorgeschrieben, aber nur zum Schutz der Versicherungsgelder. Alle deutschen Versicherungen haben weit über diese vorgeschriebene Trennung ihre Töchter regelrecht abgeschottet. Das Projekt interessiert darum auch die Konkurrenz. In Zukunft werde es nur noch „eine gemeinsame EDV-Plattform“ geben, gibt Adag-Chef Rupprecht vor. „Das Hauptproblem ist, die vorhandenen Informationen zusammenzufassen“, sagt Vorstandskollege Mascher. Er hat in der österreichischen Allianz das Geschäftsfallbearbeitungs-System (GFB) eingeführt – Vorbild für den Umbau in Deutschland. Heute sind alle wichtigen Daten der 1,1 Millionen Kunden in dem System zusammengeführt. Das spart Geld und hilft beim Verkauf von Versicherungsverträgen an Bestandskunden. Mit der GFB-Plattform arbeiten die österreichischen Außen- und Innendienstler und die rund 600 Mitarbeiter im Wiener Allianz-Kunden-Service-Center. Es ist die zentrale Anlaufstelle für alle Kunden. Maschers GFB ist zur Zielgröße im Allianz-Konzern geworden. Schließlich hat jeder österreichische Kunde fast vier Verträge, in Deutschland hat nur jeder Vierte überhaupt einen weiteren Vertrag bei einer anderen Sparte. Zur viel höheren Rate in Österreich hat auch der reibungslose Kontakt zu den Kunden beigetragen. Um die Zahl der Zusatzverkäufe in alpine Höhen zu bringen, hat Diekmann Mascher damit beauftragt, „möglichst viel davon nach Deutschland“ zu übertragen. Dass der Transfer über die Grenze gelingt, hat Mascher bewiesen. Seit 2004 läuft das System in der Schweiz. Statt auf 15 Informatiksystemen laufen dort nun fast alle Verträge auf dem GFB-System. Allein das Projekt, die österreichische Variante an Schweizer Verhältnisse anzupassen, hat gut zwei Jahre gedauert. „Wir mussten rund 20 Prozent des Systems verändern“, sagt Mascher. Denn Versicherungsrecht ist immer noch national. In Österreich gibt es beispielsweise keine Krankenvollversicherung nach deutschem Muster. In Deutschland wird die Anpassung darum wohl länger dauern: Volumen und Komplexität sind größer.

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