Kobalt-Lieferkette Volkswagen hat die Wahl: E-Autos oder Menschenrechte

Risiko in der Lieferkette: In dieser Mine von China Moly in der Demokratischen Republik Kongo wird Kobalt geschürft. Quelle: Laif

Mögliche Menschenrechtsverletzungen bei der Verarbeitung des Batterierohstoffs Kobalt in China bringen nicht nur Volkswagen Ärger ein. Sie bedrohen die gesamte Elektromobilität.

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Auf den makellos polierten Motorhauben spiegelt sich die Wintersonne, doch das kleine Reinigungsteam ist dennoch nicht zufrieden. Langsam arbeiten sich die zwei Männer entlang der aufgereihten Luxuslimousinen, entfernen noch den letzten Staub von den Bentley-Modellen, die neben dem Luxusautohaus in Ashburn, Virginia, auf einen Käufer warten. Bis zu 400.000 Dollar müssen Kunden einplanen, die mit einem neuen Modell der VW-Tochter vom Gelände fahren wollen.

Die stolzen Preise scheinen kein Problem zu sein. Die Geschäfte, so versichert Verkäufer Drew Logan, liefen gut. Trotzdem hat er in diesen Tagen Grund zur Sorge. Die Meldungen, dass Bentley-Lieferungen vom US-Zoll festgehalten wurden, machen auch ihm Sorgen. Noch wisse er nicht, ob auch Bestellungen des Autohauses in Ashburn betroffen seien, sagt er. Doch es schwingt Verunsicherung in der Stimme des jungen Mannes mit. „Wir wissen überhaupt nichts“, sagt er. 

Ein bisschen immerhin ist doch bekannt über den Fall. Weil eine Charge Autos des Volkswagen-Konzerns, insgesamt 13000 Stück, ein Bauteil eines chinesischen Zulieferers enthält, der nach Ansicht der US-Behörden in Zwangsarbeit in China involviert ist, dürfen die Fahrzeuge nicht eingeführt werden. Erst nachdem VW die Teile bei sämtlichen Autos ausgetauscht hat, kann die Reise in die USA weitergehen. Bis dahin heißt es für Autohändler wie Logan: warten auf Neuigkeiten aus Wolfsburg.

Der aufsehenerregende Zwischenstopp der Audis, Bentleys und Porsches im Wert von rund einer Milliarde Dollar ist wohl nur ein Anfang. Weil es in einem diktatorisch geführten Land wie China kaum möglich ist, völlig transparent die Herkunft von Bauteilen oder Rohstoffen nachzuweisen, müssen viele Firmen künftig einen großen Bogen um chinesische Fabriken und Zulieferer machen, wollen sie es sich nicht mit den USA verscherzen. Gerade den deutschen Autoherstellern, die besonders eng mit China verbunden sind, macht das VW-Debakel bewusst, was ihnen noch blühen könnte: weitere Ermittlungen von US-Behörden und Politikern, mehr festgesetzte Autos – und am Ende vielleicht ein Rückzug aus vielen Chinageschäften.

Wegen des Verdachts auf Zwangsarbeit in China setzen die USA Importe von Volkswagen fest. Das dürfte erst der Anfang sein.
von Annina Reimann, Martin Seiwert

SAIC etwa, der chinesische Joint-Venture-Partner von VW, betreibt in der Provinz Xinjiang ein kleines Werk. In der Region leben viele muslimische Uiguren, die nach Ansicht von Regierungen und Menschenrechtsorganisationen unterdrückt und zu Arbeit in Lagern gezwungen werden. War es zunächst vor allem diese Fabrik und deren mögliche Verstrickung in Zwangsarbeit, die in den USA für Kritik sorgte, rücken nun immer stärker Bauteile und Rohstoffe aus China in den Mittelpunkt. Denn auch sie könnten in vielen Fällen mit Hilfe von Zwangsarbeit hergestellt worden sein. Hier besonders heikel: der Batterierohstoff Kobalt.

25.000 Kinder fördern Kobalt im Kongo

Das silbergraue Metall wird zu großen Teilen von chinesischen Firmen in der Demokratischen Republik Kongo gefördert. Dort kommt es nachweislich massenhaft zu Menschenrechtsverletzungen. In primitiven Minen graben Arbeiter unter Lebensgefahr nach dem kostbaren Metall, unter ihnen – so hat die US-Regierung berechnet – rund 25.000 Kinder. Es ist der schmutzige Anfang einer Lieferkette, die danach nicht wirklich sauberer wird.

Der Großteil des afrikanischen Kobalts wird zur Weiterverarbeitung nach China gebracht. So hat die Volksrepublik bei verarbeitetem Kobalt einen Weltmarktanteil von 76 Prozent. Bei Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos, die überwiegend Kobalt enthalten, hatten chinesische Firmen 2023 einen Marktanteil von rund 65 Prozent. Deshalb enthalten die Elektroautos von fast allen großen Herstellern chinesisches Kobalt. Das Gleiche gilt für die meisten Smartphones, Laptops, E-Bikes und alle anderen Geräte mit Lithium-Ionen-Akkus. Nur die neueren Lithium-Eisen-Phosphat-Batterien, die etwa Tesla oder BYD bereits einsetzen, sind kobaltfrei.

Die Umstellung auf Elektroautos – ohne chinesisches Kobalt ist sie derzeit also kaum denkbar. Umso folgenreicher könnte die Erkenntnis von Volkswagen sein, wie groß die Gefahr ist, dass es bei der Kobaltproduktion zu Menschenrechtsverletzungen kommt.

Nach Informationen der WirtschaftsWoche kam Manfred Döss, Volkswagen-Vorstand Recht und Compliance, bereits im Mai 2023 zu dem Schluss, dass die Kobaltverarbeitung in China mit „hohen menschenrechtlichen Risiken“ verbunden sei. Jurist Döss ist auch Aufsichtsratschef von Audi und Porsche-Vorstand. Ein Volkswagen-Sprecher bestätigte auf Anfrage der WirtschaftsWoche die Aussage von Döss. „Die hohen Risiken beziehen sich unter anderem auf Verstöße in Bezug auf Arbeits- und Gesundheitsschutz“, so der Sprecher.

Wegen des Lieferkettengesetzes in Deutschland und Maßnahmen der US-Regierung gegen Zwangsarbeit in China durchleuchtet Volkswagen seine Lieferanten inzwischen gründlicher als früher. Das Eingeständnis von möglichen Menschenrechtsverletzungen in China ist für Volkswagen dennoch heikel. Der Konzern könnte damit die chinesische Regierung verärgern, die Menschenrechtsprobleme energisch verneint. Somit könnten Volkswagen sein wichtiges China-Geschäft gefährden.

Bis zu neun Verarbeitungsstufen bei Kobalt

Volkswagen arbeitet nach Angaben eines Sprechers „intensiv daran, die Transparenz in unseren vorgelagerten Lieferketten zu erhöhen, um herauszufinden, woher das Kobaltmaterial stammt, um menschenrechtliche Risiken und Umweltrisiken analysieren zu können“. Dazu arbeite der Konzern eng mit den direkten Batterielieferanten zusammen.

Die Aufgabe könnte die Wolfsburger aber womöglich überfordern. So haben die Recherche von Volkswagen nach Informationen der WirtschaftsWoche ergeben, dass die Kobalt-Lieferketten extrem komplex sind und bis zu neun Verarbeitungsstufen umfassen. Würden in einer der Verarbeitungsstufen „Risiken oder Missstände“ entdeckt, so heißt es in Wolfsburg, mache Volkswagen den Lieferanten Vorgaben zur Verbesserung und überwache die Umsetzung. „Auch der Ausschluss von Lieferanten aus der Lieferkette“, so ein Sprecher, „ist bei gravierenden Verstößen möglich“.

Ob das der US-Regierung genügt? Washington erhöht derzeit den Druck auf Autobauer massiv, Menschenrechtsverstöße in der Kobalt-Lieferkette zu vermeiden. Die USA haben dabei europäische und amerikanische Autobauer gleichermaßen im Visier. Denn auch die US-Hersteller beziehen Kobalt und Lithium-Ionen-Batterien überwiegend aus China. Im Sommer leitete der US-Kongress etwa eine Untersuchung gegen Ford ein, weil der Hersteller eine Partnerschaft mit dem chinesischen Batteriehersteller CATL verkündet hatte. Einige Wochen nach dem Beginn der Untersuchung stoppte Ford den Bau einer gemeinsamen Batteriefabrik.

Ebenso unerbittlich gehen US-Politiker gegen Volkswagen vor. Ein Lieferabkommen zwischen VW und dem chinesischen Kobaltproduzenten Huayou Cobalt rief 2022 den US-Senator Marco Rubio auf den Plan. Er verlangte in einem Brief an VW Auskünfte über die Zusammenarbeit. „Huayou ist nach glaubhaften Angaben in Zwangsarbeit und Menschenhandel verwickelt“, schrieb Rubio damals.

US-Politiker beraten seither auch über eine Ausweitung von Sanktionen gegen Firmen, bei denen sie chinesische Zwangsarbeit in der Lieferkette vermuten. Im vergangenen November traf sich der verantwortliche China-Ausschuss des Kongresses zu einer Anhörung. Das Thema der Sitzung: „From Cobalt to Cars“.

Briefe an VW-Chef Blume

Das Kobalt-Problem ist dabei längst nicht nur ein Volkswagen-Problem. Fast alle E-Auto-Hersteller müssen sich fragen, ob ihr Rohstoffeinkauf mit den Lieferkettengesetzen westlicher Länder kompatibel sind. 

Bei VW zieht sich die Schlinge nun aber offenbar besonders früh zu. Vor wenigen Tagen erreichte VW-Chef Oliver Blume eine neue Attacke aus den USA, ein Brief des parlamentarischen China-Ausschusses „Select Committee on the Chinese Communist Party“.

In dem Brief, der der WirtschaftsWoche vorliegt, schreibt der Ausschussvorsitzende Mike Gallagher an Blume: „Mit diesem Schreiben möchten wir unsere tiefe Besorgnis über jüngste Berichte zum Ausdruck bringen, wonach tausende von Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns von der US-Regierung für die Einfuhr gesperrt wurden, weil die Fahrzeuge Teile enthielten, die durch Zwangsarbeit in China hergestellt wurden. Wir fordern Volkswagen auf, den „Uyghur Forced Labor Prevention Act“ (UFLPA) in vollem Umfang einzuhalten, indem es alle Produkte aus seiner globalen Lieferkette entfernt, die Vorleistungen enthalten, die ganz oder teilweise durch Zwangsarbeit in China hergestellt wurden.“

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Der Brief schließt mit klaren Ansagen: Volkswagen solle dem Ausschuss bis spätestens 5. März erklären, welche Schritte der Konzern einleite, um sich gesetzeskonform zu verhalten und solle dabei „nicht versuchen, Beweise für uigurische Zwangsarbeit in seiner Lieferkette abzuschwächen oder zu verharmlosen“. Sein Ausschuss habe, so droht Gallagher abschließend, „weitreichende Befugnisse für Ermittlungen und für die Vorlage politischer Empfehlungen“. Das Schreiben schließt mit den Worten: „Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit für diese wichtige Angelegenheit und Ihre prompte Antwort.“

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