Menschenrechte Umstrittenes VW-Werk in China: Gutachter stellt eigene Prüfung in Frage

Die von VW beauftragten Prüfer haben nach eigenen Angaben keine Hinweise auf Zwangsarbeit in dem umstrittenen Werk in der chinesischen Provinz Xinjiang gefunden. Quelle: dpa

Ein Gutachten über das VW-Werk in der chinesischen Region Xinjiang wird zum Problem für den Autobauer und das Gutachter-Unternehmen Löning. Der Gutachter scheint Zweifel an der Aussagekraft seiner eigenen Prüfung zu haben.

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Beim Berliner Beratungsunternehmen Löning, das auf Menschenrechtsfragen spezialisiert ist, rumort es: Ein Gutachten für den Volkswagen-Konzern wurde von Menschenrechtsorganisationen und offenbar auch von Löning-Mitarbeitern kritisiert.

Das Unternehmen reagierte mit einer öffentlichen Erklärung, die die Aussagekraft des Audits in Zweifel zieht. Dieser Vorgang sorgt auch bei Volkswagen für Verstimmung – der Konzern wollte mit dem Audit vor allem Ratingagenturen beruhigen, muss nun aber weitere negative Schlagzeilen befürchten. 

Kurssprung der VW-Aktie 

Löning hatte in den vergangenen Monaten im chinesischen Werk Urumqi, das von VW und dem chinesischen Joint-Venture-Partner SAIC betrieben wird, mögliche Menschenrechtsverstöße untersucht. Die Fabrik liegt in der Region Xinjiang, in der viele Uiguren leben. Die Volksgruppe  wird von der chinesischen Regierung unterdrückt. Es kommt in der Region laut Einschätzung der Vereinten Nationen zu Menschenrechtsverstößen und Zwangsarbeit. Das Audit im Auftrag von Volkswagen zeigte jedoch keine Verstöße in dem Werk. Das führte zu einem Kurssprung der VW-Aktie. Die Ratingagentur MSCI, die wegen des Werks die Warnstufe „Red Flag“ deklariert hatte, zog die Einschätzung nach Veröffentlichung des Gutachtens zurück. 

In den vergangenen Tagen sei die Kritik von Menschenrechtsorganisationen an dem Gutachten jedoch immer lauter geworden, heißt es in VW-Kreisen und am Kapitalmarkt. So hätten auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Löning die Arbeit des eigenen Unternehmens zunehmend kritisiert, weshalb es schließlich mit einer Erklärung auf LinkedIn reagiert habe. 

Geprüft haben zwei chinesische Anwälte 

In der Erklärung heißt es, die Menschenrechtslage in China und Xinjiang und „die Herausforderungen bei der Erhebung aussagekräftiger Daten für Audits“ seien bekannt und auch in diesem Projekt präsent. Damit verweist Löning auf die rechtlichen Rahmenbedingungen in China, die unabhängige Untersuchungen häufig unmöglich machen. 

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„Das technische Audit in der Anlage wurde von zwei chinesischen Anwälten durchgeführt“, heißt es in der Erklärung weiter. Nach Angaben von Volkswagen ist das Einbinden von chinesischen Anwälten bei solchen Untersuchungen in China verpflichtend. Laut VW haben die beiden Anwälte die Untersuchung aber nicht allein durchgeführt, sondern im Beisein zweier Löning-Vertreter. Auch Löning nennt die Namen zweier Mitarbeiter, die beteiligt gewesen seien. Offenbar mit dem Ziel, die übrigen Löning-Mitarbeiter aus der Schusslinie zu nehmen, gibt das Unternehmen in seinem Statement an, dass „kein anderes Teammitglied von Löning an diesem Projekt mitgewirkt oder es unterstützt“ hat. 

Das konnte die Lage bei Löning aber nicht beruhigen. Stattdessen heizte die Erklärung die Diskussion über das Gutachten weiter an.

Firmenchef Markus Löning, ein früherer FDP-Bundestagsabgeordneter, reagierte deshalb heute mit einem weiteren Statement „als Antwort auf Fragen, Kommentare und Medienberichte“. Darin räumt er Konflikte um das Audit bei Löning ein: Der Vorgang zeige, so schreibt er, dass Löning „ein lebendiges und engagiertes Team mit einem breiten Spektrum an Ansichten“ sei. Und: „Die Situation in China und Xinjiang und die Herausforderungen bei der Datenerhebung für Audits sind bekannt“ – was wohl heißen soll: Wirklich unabhängig lassen sich die Verhältnisse dort nicht untersuchen. 

Deka will mehr über die Lieferkette wissen 

Die Fondsgesellschaft Deka, die zu den Großaktionären von Volkswagen zählt, hatte das VW-Werk kritisiert und eine Untersuchung der Menschenrechtssituation gefordert. Nach der Red-Flag-Einstufung von MSCI hatte Deka alle VW-Aktien aus ihren nachhaltigen Produkten entfernt. „Volkswagen ist aus unserer Sicht nicht mehr investierbar, wenn es um nachhaltige Finanzprodukte geht„, sagte Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef der Deka, im Frühjahr der WirtschaftsWoche.  

Die Deka begrüße es, so erklärte Speich nun gegenüber der WirtschaftsWoche, „dass Volkswagen unserer Forderung nach einer Untersuchung in dem Werk in Xinjiang nachgekommen ist und, dass das Beratungsunternehmen Löning ein Gutachten angefertigt hat“. Löning habe „grundsätzlich eine gute Reputation“, so Speich. Allerdings schließt sich Speich der Kritik von Menschenrechtsorganisationen an, dass das Gutachten nur das Werk untersucht habe: „Leider wurde für das Gutachten nur die Situation im Werk untersucht, nicht die erweiterte Lieferkette.“

Volkswagen ist es offenbar nicht gelungen, mit dem Audit die Diskussionen um das Werk zu beenden. Investoren werden nach der Debatte um das Gutachten künftig noch genauer hinsehen und Fragen nach der gesamten Lieferkette stellen, heißt es in Kapitalmarktkreisen. 

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Gutachter Löning gibt in seinem Statement – bewusst oder unbewusst – einen Hinweis auf einen eleganten Ausweg für Volkswagen: „Die Mitarbeiter werden überdurchschnittlich bezahlt und haben wenig zu tun“, schreibt er über die Belegschaft in Xinjiang. 

Damit bestätigt Löning Berichte, wonach Volkswagen die Arbeiten in dem Werk schon so weit heruntergefahren hat, dass es für VW verzichtbar wäre – und jederzeit geschlossen werden kann, wenn die chinesische Regierung grünes Licht geben würde.

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