Mercedes-Betriebsrat Lümali „Ich hoffe, dass ich mir um keinen deutschen Standort Sorgen machen muss“

Ergün Lümali Quelle: PR

Ergun Lümali ist der neue Chef des Gesamtbetriebsrates von Mercedes und zudem Stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Mercedes-Benz Group. Im Interview spricht er über die Luxusstrategie, Sorgen um die A- und B-Klasse, chinesische Anteilseigner und ein mögliches Chipbündnis.

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WirtschaftsWoche: Herr Lümali, Sie sind nach der Abspaltung von Daimler Trucks neu im Amt als Gesamtbetriebsratschef von Mercedes. Wie ergeht es Ihnen? 
Ergun Lümali: Der Stress wird eher größer. Und das ganze Umfeld mit dem Krieg in der Ukraine macht uns alle miteinander auch sehr traurig.

Und jetzt will Mercedes in den kommenden Jahren auch noch die A- und B-Klasse auslaufen lassen. Was bedeutet das für die Arbeitnehmer?
Der Vorstandschef Ola Källenius hat bei der Verkündung der Luxusstrategie Mitte Mai gesagt, dass bei den Kompaktmodellen von sieben auf vier Karosserievarianten reduziert wird. Welche Modelle eingestellt werden, das hat er offengelassen. Entscheidend für uns ist, dass die Volumina stimmen und damit die Werke ausgelastet sind.

Was fordern Sie vom Management?
Als Arbeitnehmervertreter fordern wir, dass die deutschen Standorte bei der Luxusstrategie eine wichtige Rolle spielen und machen uns dafür stark, dass die zukünftigen Fahrzeuge von Menschen entwickelt, gebaut und verkauft werden, die sich seit Jahrzehnten für den Stern einsetzen. Um diese Höchstleistung zu erbringen, braucht es die Gewissheit eines zukunftsträchtigen Arbeitsplatzes in einem sicheren Betrieb bei fairer Bezahlung.

Ist Mercedes bei solchen Nachrichten mit der Luxusstrategie auch aus Sicht der Arbeitnehmervertreter auf dem richtigen Weg?
Das Unternehmen will profitabler wachsen. Der Vorstand sieht dafür Chancen für höhere Renditen im Luxussegment. Wenn das Wachstum des Unternehmens profitabler wird und das Konzept aufgeht, dann sind die Herausforderungen der Transformation für das Unternehmen insgesamt auch besser zu stemmen. Aber die Strategie ist das eine. Uns Arbeitnehmervertretern geht es vor allem um die Struktur, die dieser Strategie folgt. Für uns ist essenziell, dass die neue Ausrichtung nicht zum Nachteil der Beschäftigten umgesetzt wird. Dabei ist für uns klar: Die Auslastung der deutschen Werke muss garantiert werden. Dazu reden wir aktuell mit dem Unternehmen. Es geht dabei vor allem darum, welche Modelle künftig an den Standorten produziert werden, um die Auslastung und damit Beschäftigung abzusichern.

Neben den Sorgen um die Kompaktklasse ist es sicher auch für einen Arbeitnehmervertreter nicht einfach, wenn die Werke immer wieder stillstehen, weil etwa Kabelbäume aus der Ukraine fehlen. Wie wollen Sie die Lage künftig verbessern?
Kurzfristig konnten wir uns zum Teil selbst aushelfen, als etwa Lederbezüge für die Sitze hochwertiger Fahrzeuge fehlten. Da haben wir in Sindelfingen kurzfristig eine Fertigungslinie aufgebaut – und dort Bezüge für spezielle Sitze genäht. Das Beispiel zeigt, wie flexibel und qualifiziert unsere Mannschaft ist. Ich bin ganz klar der Meinung, dass wir wieder mehr Fertigung ins eigene Haus holen müssen. Das Know-how dazu haben wir.

Da wären wir beim sogenannten Insourcing. Das ist ja ein Lieblingsthema der Arbeitnehmer, wenn es darum geht, Arbeitsplätze im Wandel im eigenen Haus zu erhalten. Was würden Sie denn gerne bei Mercedes fertigen, was heute von Zulieferern kommt? 
Das müssen wir uns jetzt genauer anschauen. Vielleicht kann das ein oder andere Produkt zurück nach Deutschland, zurück an die Standorte kommen – da arbeite ich dran. Da setze ich mich für ein. Beispiele wären in erster Linie die neuen Technologien im Zusammenhang mit der Batteriefertigung, mit dem Elektromotor und mit der Elektrifizierung.

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Die Transformation kostet viele Arbeitsplätze, da Elektroautos zum Beispiel weniger Teile benötigen und Sie in der Produktion weniger Mitarbeiter. Um welchen Standort machen Sie sich die meisten Sorgen?
Ich hoffe, dass ich mir um keinen deutschen Standort Sorgen machen muss. Und ich habe auch bis jetzt keine Aussage vom Vorstand gehört, dass ein Werk, ein Standort bei uns besonders infrage gestellt wird. Bis Ende 2029 sind betriebsbedingte Kündigungen ohnehin ausgeschlossen – dank unserer Vereinbarung ZuSi 2030. Wir müssen den Beschäftigten Inhalt und Perspektive geben. Deswegen fordern wir für unsere deutschen Standorte klare Zielbilder ein. In Rastatt, Bremen und Sindelfingen etwa sind wir da gerade dabei, neue Produkte aus dem Bereich Elektrifizierung zu vereinbaren. Um ehrlich zu sein, wenn wir uns überhaupt ernsthaft Gedanken über Standorte machen, dann um die Standorte, an denen Komponenten für Verbrenner gefertigt werden. Aber auch da sind wir mittlerweile auf einem guten Weg. Der Standort Berlin-Marienfelde wird beispielsweise zum Kompetenzzentrum für Digitalisierung im globalen Mercedes-Benz Produktionsnetzwerk ausgebaut. Zudem werden dort künftig neue High-Performance-Elektromotoren produziert. Und erst kürzlich etwa war die Grundsteinlegung für den E-Campus im Werk Untertürkheim. Und genau da werden wir weitermachen. Wir werden im Zuge der Elektrifizierung weitere Komponenten an die Verbrenner-Standorte holen.

Können Sie ein Sparprogramm für die Produktion ausschließen?
Generell kann ich das ausschließen, bis auf die Standorte, die im Einvernehmen mit dem Betriebsrat vereinzelt Programme anbieten – natürlich immer auf Basis der doppelten Freiwilligkeit. Bis Ende dieses Jahres läuft noch das bestehende und freiwillige Programm für die indirekten Bereiche.

Der Betriebsrat hatte immer Angst vor Arbeitsverdichtung, wenn so viele Menschen das Unternehmen verlassen. Müssen tatsächlich jetzt weniger Menschen mehr arbeiten?
Wir haben beim Vorstand klargestellt, dass sich die Prozesse und Abläufe deutlich verbessern müssen. Denn an den Gleitzeitkonten haben wir zwischenzeitlich gesehen, dass sie mit Stunden überlaufen. Deswegen haben wir uns im letzten Jahr auch dafür stark gemacht, dass die Arbeitszeitverkürzung vorfristig zu Ende März 2021 beendet wird. In manchen Abteilungen hat sich die Situation aber auch schon deswegen bereits beruhigt, weil es dort wieder die Möglichkeit gab, von 35 auf befristet 40 Arbeitsstunden pro Woche aufzustocken.

„Probleme mit Rohstoffen wird es immer geben, egal wo man produziert“

Mercedes will seine Lieferkette stärker regional aufstellen. Am Ende des Tages produziert man dann zwar vor Ort, aber man muss ja trotzdem die Rohstoffe für die Produktion reinholen. Ist diese Local for Local genannte Strategie also überhaupt der Heilsbringer?
Das Problem mit den Rohstoffen wird es immer geben, egal wo man produziert. Aber das Beispiel Lederbezüge zeigt, dass es nicht immer um fehlende Rohstoffe geht, sondern dass uns auch Teile in der Lieferkette aufgrund von geopolitischen Auseinandersetzungen fehlen. Dann darf ich doch schon hinterfragen, auch was die Kosten betrifft: Ist es nicht vernünftiger, das Ganze an den deutschen Standorten anzusiedeln und entsprechend hier auch für Fertigungslinien zu sorgen? Da geht es auch darum: Was können wir in Zukunft innerhalb Europas und Deutschlands selber produzieren, insbesondere auch an den eigenen Standorten? Welche Möglichkeiten gibt es da? Haben wir dazu die Voraussetzungen, die Kompetenz? Wenn nicht, dann müssen Qualifizierungsmaßnahmen stattfinden. Ziel muss es sein, uns von der Abhängigkeit Dritter zu lösen.

Bei Mercedes halten zwei Investoren aus China große Anteile der Aktien. Wie stark mischen die sich ein?
Wir haben mit den chinesischen Partnern eine gute Zusammenarbeit. BAIC ist ja bereits seit Jahren unser Partner und die Smart-Kooperation mit Geely läuft gut. Natürlich versuchen auch chinesische Investoren, Einfluss zu nehmen – aber das sind konstruktive Gespräche.

Auf den deutschen Markt drängen immer mehr chinesische Autobauer. Macht Ihnen das Angst? 
Es wäre leichtsinnig, die neuen Player nicht ernst zu nehmen.

Es gab bei Mercedes eine große Mitarbeiterbefragung auch zum Mobilen Arbeiten. Gibt es da Handlungsbedarf?
Die Ergebnisse der Befragung haben gezeigt, dass wir an vielen Stellen von unserer bisherigen flexiblen Vereinbarung profitieren und die Kolleginnen und Kollegen diese Möglichkeiten nutzen. Auch in Zukunft möchte der Großteil der Beschäftigten diese Freiheit haben und drei bis vier Tage die Woche mobil arbeiten. Damit die Arbeitsbedingungen auch in Zukunft dabei helfen, Beruf und Privatleben besser zu kombinieren, sind wir gefordert, diese kontinuierlich weiterzuentwickeln und in neue Gespräche mit dem Arbeitgeber zu gehen. Das mobile Arbeiten hat über die Krise einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Und nicht in jedem Haushalt gibt es die optimalen Arbeitsbedingungen. Die jedoch müssen im Vordergrund stehen.

Was fordern Sie?
Unsere Vereinbarung von 2016 muss jetzt weiterentwickelt und ausgebaut werden. Ein entscheidender Aspekt dabei ist, dass die Belegschaft an den Einsparungen durch mobiles Arbeiten beteiligt wird – und zwar die Belegschaft in Summe. Auch Kolleginnen und Kollegen, die aufgrund ihrer Tätigkeit keine Möglichkeit haben, mobil zu arbeiten, müssen von den Veränderungen profitieren und durch moderne Konzepte künftig flexibler über ihre Arbeitszeit bestimmen können – dafür setzen wir uns ein.

Sie haben kürzlich ein Chipbündnis gefordert. Was meinten Sie damit, wer wäre Ihr Wunschpartner?  
Mit dem Halbleiterhersteller Nvidia sind wir ja schon in einer Kooperation. Aber mir ging es um etwas Anderes: In dieser Krise sollten wir über Bündnisse auf Deutschland- und Europaebene nachdenken.

Aber ist das Bündnis ein Wunsch, den Sie als Betriebsrat haben – oder ist das was, was auch vom Vorstand schon forciert wird? 
Das ist vergleichbar mit den Batteriezellen. Da haben wir über das Joint Venture ACC mit Saft und Stellantis schon heute ein Bündnis. Nun sage ich: Es muss doch auch bei den Chips Möglichkeiten geben, dass wir in Europa, in Deutschland mit Partnern zusammenarbeiten. Die Unternehmen aber wollen davon aktuell noch nichts wissen, weil sie der Auffassung sind, dass es viel zu teuer ist. Es müssen allerdings schon größere Bündnisse sein, dass man dann auch genügend Abnehmer hat.

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Mercedeschef Ola Källenius forciert derzeit eine Luxusstrategie. Das Truckgeschäft und die Busse wurden bereits abgespalten – aber die Vans sind noch bei Mercedes. Wie passen die Vans zu der neuen Luxusstrategie? 
Unsere Vans waren immer schon sehr gehobene Klasse. Die V-Klasse etwa, die ist auch etwas für Familien, Politiker und Geschäftsleute. Für unsere Transporter würde ich Luxus mit Premium übersetzen und da sind unser Sprinter oder Vito in ihren Branchen eindeutig Premium.

Das heißt, es gibt keine internen Diskussionen, die Vans auch noch abzuspalten oder zu verkaufen?
Nicht, dass ich wüsste. 

Lesen Sie auch: Mercedes will sich stärker als bislang bekannt im Luxussegment positionieren. Preiswerte Einsteigermodelle sollen verschwinden, teure Sonderausstattungen zur Regel werden. Das hat Folgen für die Marke – und die Kunden.

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