WirtschaftsWoche: Herr Hauck, Sie wollen den Kleinkolbenbereich von Rheinmetall kaufen. Der Deal soll bis Ende des ersten Quartals abgeschlossen sein. Kolben braucht die Industrie für Verbrennungsmotoren von Pkw und Lkw. Glauben Sie an ein langes Leben des Verbrennungsmotors – oder spielen Sie hier das Beerdigungsinstitut für Rheinmetall?
Ulrich Hauck: Definitiv ersteres. Wir wollen der Last-man-Standing sein – wir werden so lange Kolben produzieren, wie noch irgendwo auf der Welt Verbrennungsmotoren gebaut werden. Wie schnell das Geschäft dann abschmilzt, werden wir sehen. Aktuell bitten uns die Kunden jedenfalls, eher mehr Kolben zu produzieren als weniger. Ich glaube daher, dass sich das Ende des Verbrenners auch in Europa eher länger hinziehen wird als geplant. In vielen Ländern in Süd- und Osteuropa wird sich zum Beispiel das Problem mit der fehlenden Ladeinfrastruktur nicht so schnell lösen.
Wenn Sie eine Strategie des Last-man-Standing verfolgen, planen Sie dann weitere Zukäufe?
Wir planen, aktiv an der Konsolidierung der Branche teilzunehmen. Wir werden daher an weiteren Zukäufen im Bereich der Kolbenproduktion arbeiten, ja. Aktuell sind wir die Nummer zwei im weltweiten Kolben-Markt. Infolge unserer starken Marktposition müssen wir das Wettbewerbsrecht im Auge behalten – aber denkbar wäre es zum Beispiel auch, dass wir kleinere, regionale Wettbewerber oder einzelne Werke von größeren Playern übernehmen. Sinnvoll könnte es auch sein, Geschäfte zu erwerben, deren Produkte unmittelbar mit dem Kolbenbereich zusammenhängen – zum Beispiel Anbauteile für Kolben, die wir aktuell noch zukaufen müssen.
Woher kommt das Geld für solche Zukäufe?
Das müsste Kolbenschmidt im Wesentlichen aus seinem Geschäft heraus finanzieren.
Zur Person
Comitans Gründer und CEO Ulrich Hauck war bis 2018 Finanzvorstand des Autozulieferers Schaeffler. Zuvor leitete er das weltweite Controlling und Accounting des Bayer-Konzerns. Am Anfang seiner Laufbahn war er als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei Deloitte tätig. Kolbenschmidt kennt Hauck schon aus seiner Zeit bei Rheinmetall: Dort arbeitete er von 1998 bis 2003 als Hauptabteilungsleiter für Accounting und Bilanzen.
Mit welcher Rendite planen Sie?
Ein Gewinn vor Zinsen und Steuern von 7 bis 8 Prozent muss schon sein, sonst können wir nicht bestehen. Wir wollen finanziell solide aufgestellt sein, um für unsere Kunden langfristig ein zuverlässiger Lieferant zu sein. Das wird aber ein steiniger Weg, denn aktuell ist Kolbenschmidt hiervon ein gutes Stück weit entfernt.
Wie wollen Sie die höhere Rendite erreichen?
Ich sehe zwei wesentliche Hebel zur Verbesserung der Rendite: zum einen die Steigerung der Effizienz in den Werken, zum anderen die Anpassung von Verkaufspreisen. Kolbenschmidt kann es sich nicht leisten, Kolben mit Verlust zu verkaufen. Jedes Projekt muss eine gewisse Mindestrendite bringen. Kolbenschmidt wird daher das gesamte Auftragsportfolio analysieren und von seinen Kunden höhere Preise verlangen. Wenn wir langfristig – und zukünftig auch mit geringeren Volumina – zuverlässig liefern wollen, müssen wir eine gewisse Profitabilität haben. Nur dann können wir ein zuverlässiger Partner für die Automobilhersteller und unsere übrigen Kunden sein.
Hierbei gilt es auch zu bedenken, dass wir auch in die Forschung und Entwicklung investieren wollen, etwa in Kolben für Wasserstoff oder E-Fuels. Darüber hinaus wollen wir selektiv in neue Produkte investieren, um zukünftig zu erwartende niedrigere Stückzahlen bei Verbrennungsmotoren zumindest teilweise auszugleichen. Hierbei werden wir unsere Kompetenz, nämlich die extrem exakte Be- und Verarbeitung von Aluminium und Stahl in Großserien nutzen.
Wie hoch sind die Schulden von Kolbenschmidt?
Rheinmetall wird Kolbenschmidt annähernd schuldenfrei übergeben und auch den größten Teil der Pensionsverpflichtungen zurückbehalten. Es ist ein signifikanter Betrag, der dadurch entschuldet wird. Darüber hinaus stehen fünf von sechs Werken in unserem Eigentum, sodass Kolbenschmidt nur geringe Mietverpflichtungen hat. Lediglich das Werk in Neckarsulm ist gemietet, langfristig vom Verkäufer Rheinmetall. Comitans übernimmt somit ein weltweites Kolbengeschäft mit sehr solider finanzieller Ausstattung.
Wie finanzieren Sie sich?
Im Wesentlichen über Factoring, also über den rollierenden Verkauf von Kundenforderungen. Wir müssen dabei nicht abwarten, bis die Zahlungsfrist abgelaufen ist und der Kunde uns den Rechnungsbetrag überweist. Das finanzierende Factoring-Unternehmen stellt die Liquidität, also den Rechnungsbetrag abzüglich eines kleinen Zinsabschlages, unmittelbar nach Lieferung der Ware und Ausstellung der Rechnung zur Verfügung. Da der Verkäufer uns im Rahmen der Übernahme sämtliche Kundenforderungen überträgt, hat Kolbenschmidt hieraus ein signifikantes Finanzierungspotenzial.
Weltweit hat Kolbenschmidt 3650 Mitarbeiter, davon circa 450 in Deutschland. Müssen die jetzt Angst vor dem Abbau von Arbeitsplätzen haben?
Nein. In Deutschland sehe ich derzeit keinen Abbau von Mitarbeitern; die Produktion in Neckarsulm ist sehr gut ausgelastet. Aber wir müssen uns die Situation in jedem Werk genau ansehen. Wenn wir uns irgendwo effizienter aufstellen können, werden wir dies auch machen.
Wann auch immer der Verbrennungsmotor stirbt – wie stellen Sie sich das Ende ihres Geschäfts vor, also den Zeitpunkt, wenn auch die letzte Fabrik zu Grabe getragen wird?
Zunächst sprechen wir hier über sehr lange Zeiträume, die je nach Region deutlich mehr als 20 Jahre betragen können. Ein Enddatum ist in den meisten Regionen nicht absehbar. Auch gibt es wichtige Anwendungen wie zum Beispiel schwere Lkw, wo es nach dem derzeitigen Stand der Technik noch keine konkurrenzfähige alternative Antriebe gibt. Auch sehe ich Chancen, eine gewisse Auslastung durch neue Produkte zu erreichen. Allerdings ist es absehbar, dass es irgendwann auch zu Kapazitätsanpassungen kommen wird. Dies schließt auch Werksschließungen ein. Das werden wir dann machen, wenn es erforderlich ist. Hierfür werden wir als verantwortungsbewusster Investor finanzielle Vorsorge treffen müssen.
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Transparenzhinweis: Dieses Interview wurde am 3. März geführt. Wir zeigen es aufgrund des Leserinteresses erneut.