Berufsfindung: Prost Wahlzeit!

Auf ihre Berufsentscheidung bereiten sich Schulabgänger zu schlecht vor oder hecheln Trends hinterher. Wer den Beruf finden will, der tatsächlich zu ihm passt, sollte vor allem sich selbst und seine Alternativen besser kennenlernen.

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Möglichkeiten dazu gibt es zuhauf. Stefanie Lindner freut sich schon auf ihren künftigen Beruf. Innenarchitektin will die 20-Jährige werden. "Das ist kreativ, man kommt viel rum und lernt ständig neue Menschen kennen", sagt sie sich. Leider ist sie nicht ganz so euphorisch, ihrem Wunsch auch Taten folgen zu lassen. Obwohl sie das Abitur gerade in der Tasche hat, findet sie erst drei Monate später den Weg in die Sprechstunde der Berufsberatung. Da stellt sich heraus: Mit ihrem Notendurchschnitt von 3,1 hat sie schlechte Chancen, in Kürze einen der limitierten Studienplätze zu erhalten. Das hat sie nicht gewusst. Ebenso wenig waren ihr die Bewerbungsfristen bekannt, die für das kommende Semester gelten. Die sind bereits verstrichen. Dumm gelaufen. Und das nicht nur bei Stefanie. Tatsächlich nutzen noch immer viel zu wenige Abiturienten Berufsberatungsangebote, zapfen Informationsquellen zu spät an oder schieben den Entscheidungsprozess so weit wie möglich heraus. Motto: Ich bin nur einmal jung und will jetzt erst mal leben. Das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig: "Viele denken, dass sie bei ihrer Berufswahl unendlich Zeit haben", sagt Karin Schober, Leiterin des Referats Berufsberatung bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Doch das haben sie nicht. Ein gradliniger Lebenslauf steht bei vielen Personalchefs hoch im Kurs. Da ist es wichtig zu zeigen, dass man schon vor dem Abi seine Zukunft ernst nimmt und mit der nötigen Zielstrebigkeit vorgeht. Wer sich rechtzeitig informiert, kann wertvolle Zeit sparen oder diese zumindest optimal für sein Berufswahl nutzen. Im Falle von Stefanie hieße das zum Beipiel: Um die Wartezeit auf den Studienplatz zu überbrücken, könnte sie zwischendurch ein längeres Berufspraktikum oder gar eine dreijährige Tischlerlehre absolvieren. Beides kommt ihr in ihrem Traumberuf später zugute. Vor der Suche nach dem idealen Beruf steht allerdings erst einmal die Selbsterkenntnis: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? Warum? Andrea Gurba, Berufsberaterin für Abiturienten beim Arbeitsamt in Bonn empfiehlt jedem, sich dabei zu Hause zunächst in aller Ruhe aufzuschreiben, wo die eigenen Interessen und Fähigkeiten liegen. Denn wer nicht weiß, was er kann und was er will, laufe Gefahr, sich zu verzetteln und seine Energie auf das falsche Ziel zu richten. Ihr zweiter Tipp: Sich rechtzeitig und umfassend über das breite Spektrum an Berufs- und Studien-angeboten zu informieren. Schließlich gibt es allein in Deutschland rund 360 Ausbildungsberufe und über 9000 Studiengänge. Als erste Anlaufstelle rät sie deshalb zum Berufsinformationszentrum (BIZ) des Arbeitsamtes. Dort kann man sich mit Hilfe von Broschüren, Filmen und PC-Programmen einen Überblick über Berufsfelder, Tätigkeiten und Anforderungsprofile von mehr als 1000 Berufen verschaffen und sich gleichzeitig über Alternativen informieren. Vor allem auf die konkreten Arbeitsinhalte kommt es dabei an. "Eines der Dauerprobleme, mit dem wir hier kämpfen, ist: Viele stürzen sich auf Berufe, wissen aber nicht, was sie dort erwartet", berichtet Gurbas Kollegin Margit Seiwert. Schon zum dritten Mal listet sie an diesem Vormittag die Aufgaben auf, die einen Mediengestalter in spe erwarten. Und jedes Mal schließt sie ihren kleinen Vortrag mit der Bemerkung ab: "Denken Sie daran, dass ist zu 80 Prozent ein technischer Beruf! Gestalterische Arbeiten spielen eher eine Nebenrolle." Die Reaktionen, die sie daraufhin erntet, sind fast immer dieselben: anfängliche Enttäuschung gepaart mit sofortiger Skepsis oder gar Mißtrauen. Könnte es nicht sein, dass sich die Berufsberaterin da irrt oder zumindest etwas übertreibt? Die richtige Berufswahlstrategie zu finden, ist nach einer bundesweit durchgeführten Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München einer der Knackpunkte, an denen sich das Gros der rund 300.000 jungen Erwachsenen, die jährlich das Abitur oder Fachabitur erwerben, die Zäune ausbeißen. Christine Preiß, Bildungsforscherin beim DJI, fand heraus: Ausgerechnet Abiturienten zeigen sich bei der Berufswahl mehr als alle anderen Schülergruppen orientierungslos und wissen nicht, wie sie ihre Berufswünsche schrittweise rea-lisieren sollen.

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