Chef der Verwertungsgesellschaft GEMA „Wir müssen eben das Geschäftsmodell von morgen finden“

Popstar Billie Eilish zählt zu den größten Stars, die sich für das Einbremsen der KI-Musikgeneratoren starkmachen. Quelle: imago images

Macht das KI-Zeitalter Musiker arbeitslos? Es brauche jetzt zähe Verhandlungen und „wahrscheinlich auch Prozesse“, sagt Tobias Holzmüller. Wie sich der GEMA-Chef die Musikindustrie der Zukunft vorstellt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Herr Holzmüller, in dieser Woche haben 200 Musikkünstler einen „offenen Brief“ veröffentlicht, um vor den Gefahren durch Künstliche Intelligenz zu warnen. Gleichzeitig nutzt jeder dritte Musikschaffende hierzulande schon jetzt KI-Technologie, zeigt eine Studie, die Sie selbst veröffentlicht haben. Wie passt das zusammen?
Tobias Holzmüller: Wir sehen in der Diskussion um KI in der Musik – genau wie in der gesamtgesellschaftlichen KI-Debatte – ein Pendeln zwischen Euphorie und Dystopie. Teile der Musikschaffenden prognostizieren, dass irgendwann die Maschine das Kreative ganz ablöst und die menschliche Kultur den Bach runtergeht. Aber: Auf der anderen Seite spüren wir auch ein großes Maß an Begeisterung. Musiker sind eben oft auch technologieaffine Menschen – gerade wenn sie auch im Produktionsbereich tätig sind.

Hat es Sie überrascht, dass bei den Autoren, die Sie vertreten, doch so viel Offenheit für das Thema herrscht?
Wir wussten, dass es das gibt. Dass es schon so stark ist, hat uns in der Tat überrascht – aber auch gefreut. Es zeigt ja, dass wir da keinen Abwehrreflex haben, sondern durchaus die Bereitschaft besteht, sich auf KI einzulassen. Generell ist es aber so: Wir sind gerade in einer Übergangsphase. Wir kommen aus einer Welt, in der maschinelles Lernen als KI-Anwendung schon in vielen Tools Einzug gehalten hat, die auch im Musikstudio jeden Tag genutzt werden. Jetzt kommt aber die generative Komponente hinzu und schleicht sich so langsam in die Prozesse ein. An dieser Stelle verläuft dann irgendwo die Linie, die das reine Hilfsmittel von der automatisierten Kreation trennt. Da wird es dann kompliziert.

Inwiefern?
Viele Musikschaffende sagen: Bis zu einem gewissen Punkt unterstützt mich KI im Schaffensprozess. Ich werde produktiver, ich werde schneller – das finde ich alles gut. Aber gleichzeitig gruselt es mich auch davor, was der nächste Schritt sein könnte. Und dieser Schritt zeichnet sich bereits ab. Wenn generative KI in der Breite des Kreativprozesses zum Einsatz kommt, dann übertreten wir irgendwann die rote Linie, mit der alle Musikschaffenden gerade kämpfen. Die Frage ist: Kann irgendwann das, wofür jetzt ein Mensch bezahlt wird, komplett von der Maschine erzeugt werden?

Tobias Holzmüller Quelle: Sebastian Linder

Zur Person

Die GEMA verwaltet die Nutzungsrechte von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern. All das stellt also auch das Geschäftsmodell Ihrer eigenen Organisation in Frage, oder?
Natürlich ist das gerade eine Phase der Herausforderung. Wir wollen als Organisation weiter für Menschen stehen, die Musik machen, um davon zu leben. Und für diese Menschen müssen wir eben das Geschäftsmodell von morgen finden.

Die Angst davor, durch KI ersetzt zu werden, ist das eine. Ein anderes Thema im Zusammenhang mit KI, das gerade akut diskutiert wird: die für KI-Modelle verwendeten Trainingsdaten.
Ja, hier geht es jetzt darum, einen fairen Wertetransfer herzustellen. Aus dem Bereich, wo jetzt Geld verdient wird mit KI-Musik, zurück in den Bereich, der das überhaupt möglich gemacht hat. Und das sind eben die Menschen, die Musik schreiben. Wir fordern: Vergütung, Transparenz und Rechenschaft. Und die Musikautoren, die wir vertreten, sehen das ähnlich. Die sagen: Wir wissen, es gibt diese KI-Modelle jetzt. Wir wurden nicht gefragt und haben dennoch dazu beigetragen, sie zu schaffen – mit allem, was wir bisher produziert haben. Das lässt sich jetzt nicht mehr umkehren. Aber: Wir wollen dann wenigstens an den wirtschaftlichen Erträgen partizipieren. Und: Wir wollen in bestimmten Grenzbereichen künftig auch die Möglichkeit haben, „Nein“ zu sagen. Etwa, wenn es um die Aneignung von Persönlichkeitselementen geht. Also Stileigenschaften, Stimme, solche Sachen – da ist eine höhere Sensibilität da.

Hier kommen wir dann in den Bereich Deepfakes, also Songs, die so klingen, als kämen Sie von Künstler XY, aber tatsächlich einer Künstlichen Intelligenz entspringen. Diese Spielart von KI würden sie am liebsten komplett unterbinden, nehme ich an?
Nein, das nicht. Es gibt durchaus auch Artists, die sagen: Ich sehe da ein Potenzial für ein neues Vermarktungsmodell. Ich kann meine Stimme, meinen Stil, meinen Avatar an andere vermieten – der Künstler als Franchise sozusagen. Hier kommen wir eben in einen Bereich, in dem die Persönlichkeitsrechte so tangiert sind, dass kollektive Lösungen nicht funktionieren können. An dieser Stelle muss jede Person weiterhin individuell entscheiden können: Da möchte ich mitmachen oder eben nicht. Deepfakes ohne Einwilligung sollten aber unterbunden werden.

Wie genau stellen Sie sich nun ein faires Vergütungsmodell für Musikschaffende im Zusammenhang mit KI-Modellen vor?
Was nicht funktionieren würde, wäre ein Modell, bei dem nur das KI-Unternehmen, das das Tool programmiert oder trainiert hat, eine Pauschalvergütung bezahlt. Einmal die Künstliche Intelligenz trainieren und dann damit jenseits aller Rechteklärung und aller Vergütungspflichten operieren – das kann nicht die Lösung sein. Es entsteht ja ein Sekundärmarkt dahinter. Ein faires Vergütungsmodell muss den Wert in den Blick nehmen, der im Markt danach entsteht. Also: Wie viele Musikstücke wurden aus dem Tool heraus generiert und in eine Vermarktungslogik gebracht, die dann wieder mit menschlicher Musik konkurriert?

Und? Wie läuft der Dialog mit den KI-Anbietern diesbezüglich?
Es gibt Gespräche, aber natürlich ist die Bereitschaft, freiwillig Vergütungen an die Musiker abzuführen, im Moment sehr, sehr vorsichtig zu bewerten. Da muss wahrscheinlich noch einiges an Verhandlungen und möglicherweise irgendwann auch an Prozessen stattfinden, um all diese grundsätzlichen Fragen – Wer schuldet wem was – zu klären. In den USA gibt es ja gerade schon sehr viel Litigation zu diesem Thema. In Europa werden wir das vermutlich irgendwann auch sehen. Von allein wird eben in vielen Bereichen dann doch nichts bezahlt. Es muss eine gewisse Mischung aus Angebot und Konsequenz vorhanden sein.

An dieser Stelle ist es wohl auch an den Streamingdiensten, faire Lösungen zu schaffen. Wie offen erleben Sie hier den Dialog mit den Plattformen?
Zumindest solange sie sich als Musikstreamingdienste definieren – Spotify als bestes Beispiel – erkennen diese Plattformen durchaus an, dass es hier Handlungsbedarf gibt. Dass man nicht einfach zusehen kann, wie der Royalty-Pool durch massenhafte Uploads von KI-Musik verwässert wird und die Vergütung dann in irgendwelche obskuren Kanäle abfließt. Dahinter steht auch die Überzeugung, dass das Produkt Pop-Musik weiterhin von menschlichen Elementen lebt, von der Persönlichkeit des Künstlers, vom Prozess des Songwritings, von persönlichen Erfahrungen, die da einfließen. Und dass man sich als Dienst irgendwann auch entscheiden muss: Möchte man eine sorgfältig gepflegte Plattform für Qualitätsmusik sein? Oder fungiert man irgendwann nur noch als ein Regal mit Gebrauchsmusik, die aus dem Computer kommt?

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%