Deutsche Anbieter abgeschlagen Vier Grafiken zeigen die Machtverhältnisse im deutschen Streaming-Markt

Quelle: imago images

Daten zeigen: Deutsche Streamingdienste finden nur in der Nische statt. Daran ändern auch all die neuen Streaming-Strategien der Sender nichts. Reicht das, um sich auf lange Sicht auf dem Markt zu behaupten?

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Seit jeher ist rot die Kennfarbe des Markenauftritts von ProSieben. Seit vergangenem Jahr ist es auch die der Bilanzkennzahlen: Nach einem Minus von 49 Millionen im Vorjahr machte der deutsche Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 im vergangenen Jahr erneut Verlust – diesmal stolze 134 Millionen Euro.

Dennoch übte sich Vorstandschef Bert Habets bei der Vorstellung der Jahresbilanz am vergangenen Donnerstag in Optimismus: Die vor einem Jahr vorgestellte Strategie, den Streamingdienst Joyn ins Zentrum zu stellen, zahle sich nun aus, sagte Habets. Das zeige die positive Entwicklung, vor allem im vierten Quartal. Mit 6,3 Millionen monatlichen Nutzern im Schlussquartal habe der hauseigene Streamingdienst einen Rekord markiert.

Allerdings: Allem Nutzerwachstum zum Trotz war das Interesse an den Inhalten des Streamingdienstes auch im vierten Quartal 2023 vergleichsweise gering. Das zeigt eine Auswertung des Unternehmens JustWatch. Das Onlineportal versteht sich als eine Art digitale Programmzeitschrift für legale Streaminginhalte und hat laut eigenen Angaben mehr als 40 Millionen Nutzer in 140 Ländern. In Deutschland suchen Unternehmensangaben zufolge rund 2,5 Millionen Nutzer pro Monat auf dem Portal nach Streaminginhalten.

Eine Auswertung des Nutzerinteresses der verschiedenen Streamingdienste auf dem Portal zeigt nun: Für Joyn interessierten sich vergleichsweise wenige deutsche Streaming-Nutzer. Das gilt ebenso für den zweiten großen Streamingdienst eines deutschen Privatfernsehsenders, RTL+, den Thomas Rabe, Chef des Mutterkonzerns Bertelsmann, in einem Interview in der „FAZ“ gerade erst „gleichauf mit Disney+ auf Platz drei nach Netflix und Amazon Prime Video“ verortete. Die Daten von JustWatch scheinen diese optimistische Einschätzung klar zu widerlegen.

Einzig der wie ProSiebenSat.1 in Unterföhring bei München sitzende Bezahlsender Sky konnte unter den deutschen Streaminganbietern Ende des vergangenen Jahres punkten. Immerhin sieben Prozent der deutschen Nutzer interessierten sich für dessen Streamingangebot WOW. Das jedoch liegt immer noch weit unter den angenommenen Marktanteilen der amerikanischen Anbieter Netflix, Amazon Prime Video und Disney+.



Die angenommen Marktanteile basieren dabei auf einer Messung des Interesses an den jeweiligen Streamingdiensten. Ein Faktor sei beispielsweise, welche Streamingdienste Nutzer zu ihrem Nutzerprofil hinzufügten, ein weiterer, auf welche Streaming-Services geklickt werde, um einen Stream zu starten. „Wir können nicht mit Gewissheit sagen, dass diese Nutzer auch den Streaming-Service abonniert haben, jedoch sind es schon sehr starke Signale“, sagt Leonard Brahm, der die Daten für JustWatch ausgewertet hat.

Und dieses Signale betreffen eben vor allem die Platzhirsche aus Amerika. Das zeigt noch deutlicher eine bis Januar 2020 zurückgehende Auswertung, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt. Die angenommenen Marktanteile von Netflix und Amazon pendeln in diesem Zeitraum durchgehend zwischen 30 und 37 Prozent. RTL+ und Joyn bzw. dessen Vorläufer Maxdome erreichen zeitweise fünf Prozent und gehen danach in dem Bereich „Sonstiges“ auf.

Positiv verläuft die Relevanzkurve derweil bei Disney+, das sich nach seinem Marktstart im März 2020 als klare Nummer drei in Deutschland etabliert. Apple TV Plus und Paramount+ derweil pendeln sich nach ihrem Marktstart in abgelegenen Rängen um die fünf Prozent ein, womit es beiden nicht gelingt, den Streamingdienst von Sky abzuhängen. Der jedoch schien zuletzt ebenfalls an Relevanz zu verlieren, sank von 11 Prozent Anfang 2022 auf zuletzt nur noch rund sieben Prozent des insgesamt gemessenen Interesses ab.



Dass Apple und Paramount+ hierzulande auf einen etablierten Marktspieler wie Sky/WOW aufschließen konnten, lässt sich womöglich aufgrund der jeweiligen Inhalte erklären. Während Apple TV Plus und Paramount+ vor allem auf Filme und Serien setzen, zählen Sky und dessen Streamingangebot WOW nicht zuletzt Livesport-Fans zu den Abonnenten. Allerdings werden Liveveranstaltungen hierzulande vergleichsweise selten gestreamt: In einer Studie des Unternehmensberaters Simon-Kucher geben zuletzt 32 Prozent der befragten deutschen Streamingnutzer an, diese „gar nicht“ zu streamen. Weniger als zehn Prozent der Befragten gaben an, mehr als fünf Stunden pro Woche Live-Events zu streamen.

Besonders gern gestreamt werden demnach dagegen Filme – noch vor Serien. Wobei Serien zuletzt an Beliebtheit hinzugewannen: Im Vergleich zum Vorjahr, in dem die Berater dieselbe Befragung durchgeführt hatten, hatte die Streaming-Dauer für Filme 2023 um fünf Prozentpunkte abgenommen. Der Anteil derjenigen, die über zwei Stunden pro Woche mit Serienstreaming verbrachten, stieg im gleichen Zeitraum um zehn Prozentpunkte.



Insgesamt betrachtet wird es für die deutschen Streamingdienste in den kommenden Jahren vermutlich nicht leichter, zur scheinbar übermächtigen Konkurrenz aus Amerika aufzuschließen. 30 Prozent der deutschen Streaming-Nutzer planten Mitte 2023, in den nächsten zwölf Monaten ein Abonnement bei einem Streamingdienst zu kündigen. Neben „Ich möchte Geld sparen“ und einem zu hohen Preis war dafür der am drittmeisten genannte Grund „Ich habe zu viele Abonnements und eines muss weg“.

Gleichzeitig hat die Zahlungsbereitschaft deutscher Streamer für ihre Streamingabonnements zuletzt stark abgenommen.



„Aufgrund der ökonomischen Lage sehen wir gerade, dass die Sparbereitschaft auch beim Streaming angekommen ist“, sagt Lisa Jäger, Partnerin und oberste Medienexpertin bei Simon-Kucher. Abos würden jetzt vermehrt hinterfragt, Neuabos seltener abgeschlossen. All das macht die Marktlage für all jene Streamingdienste, die jetzt noch auf Neukunden angewiesen sind, schwierig.

Allerdings: Zumindest ProSiebenSat.1 will mit seinem Streamingdienst Joyn künftig vor allem auf ein kostenfreies, werbefinanziertes Angebot setzen. Auch das kündigte Vorstandschef Bert Habets am Donnerstag an. Diese Strategie könnte durchaus dazu betragen, dass die Nutzerzahl weiter wächst – womöglich sogar umso mehr, je mehr die Zahlungsbereitschaft der deutschen Streamingnutzer sinkt.

Abzuwarten bleibt, ob es wirklich für die zweistelligen Wachstumsraten pro Jahr reicht, auf die Vorstandschef Habets hofft. Die auf Bezahlmodelle setzenden Dienste RTL+ und Sky/WOW aber dürften es mit dem Nutzerwachstum noch einmal bedeutend schwerer haben.

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Generell gelte: „Erfolgreich sein kann nur, wer ein klares inhaltliches Profil hat“, sagt Expertin Lisa Jäger. Haben das denn die deutschen Player? Joyn und RTL+ hätten zumindest Inhalte, die es nirgendwo anders gebe, Inhalte, die im „ProSieben- oder RTL-Universum“ etabliert seien. Auch das habe ja seine Daseinsberichtigung, findet Jäger.

Wenn auch womöglich nur in der Nische.

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