Mediamarkt-Saturn-Chef Karsten Wildberger hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob der Einzelhandel in Deutschland grundsätzlich auch am Sonntag öffnen sollte. In einem Interview sagte Wildberger: „Dort, wo das Kunden annehmen, würde ich das sehr gerne machen. Das heißt aber nicht, dass flächendeckend sonntags die Geschäfte aufmachen müssen. […] Ich würde mir in dieser Hinsicht mehr Freiheiten wünschen.“
Wildbergers Forderung fällt in die Zeit großer Verwerfungen um stationären Einzelhandel. Die gesamte deutsche Wirtschaft lahmt, der Einzelhandel in den Städten besonders. Von Reno über Görtz Gerry Weber mussten in den vergangenen Jahren diverse Ketten Zahlungsunfähigkeit anmelden. Die dritte Insolvenz der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof steht sinnbildlich für die Dauerkrise der Branche, in der es den meisten Konzernen nicht gelungen ist, sinkende stationäre Umsätze durch neue Geschäfte im Digitalen aufzufangen. Bloß: Würde der zusätzliche Verkaufstag den Händlern tatsächlich weiterhelfen?
Zumindest dezente Hinweise auf die zu erwartenden Effekte geben Studien, welche die Folgen von liberaleren Öffnungszeiten auf den Einzelhandel überprüft haben, etwa in Staaten wie den USA, Griechenland oder Schweden.
Verkaufsoffene Sonntage in Deutschland? Umsatz steigt um fast elf Prozent
So untersuchte die London School of Economics im März 2015 bei einer Studie, wie sich gelockerte Ladenöffnungszeiten in Schweden, den USA und Griechenland auf den Umsatz auswirkten. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass die Änderungen in Schweden, wo es bereits seit 1972 keine gesetzlichen Vorgaben für Ladenöffnungszeiten mehr gibt, zu einer Umsatzsteigerung von fünf Prozent führten. Bereits 2004 konnte die London School of Economics ähnliche Effekte für die USA nachweisen. Dort hatten liberalere Regeln den Gesamtumsatz der Einzelhändler um 3,9 Prozent bis 10,7 Prozent erhöht. In den USA gibt es heute so gut wie keine Einschränkungen bei den Ladenöffnungszeiten mehr. Auch eine Studie aus Griechenland kommt zu ähnlichen Ergebnissen, eine 2005 eingeführte Verlängerung der Betriebszeiten wirkte sich demnach positiv auf den Umsatz aus.
Auch Hanna Hottenrott, Expertin für Innovationsökonomie des ZEW Mannheim und Professorin an der Technischen Universität München, bestätigt die positiven Effekte von Liberalisierungen in der Vergangenheit – und schränkt ein: „Wir haben viel mehr Onlinehandel als noch vor 15 Jahren – die jüngere Generation hat sich daran gewöhnt, jederzeit einkaufen zu können.“ Man müsse sich fragen, was das für den heutigen Konsum bedeute.
Was liberalere Gesetze für den deutschen Einzelhandel bedeuten
Nachvollziehbar ist zumindest, dass sich ausgerechnet Mediamarkt-Saturn-Chef Wildberger für eine liberale Ladenöffnungszeit ausspricht. Denn die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen auch: Große Einzelhändler profitieren von den Änderungen stärker als kleine: „Größere Unternehmen haben mehr Personalflexibilität“, erläutert Hottenrott. Sie könnten somit Sonntagsschichten einfacher besetzen und die Effekte einer Liberalisierung überhaupt erst nutzen.
Auch Studien zu verlängerten Öffnungszeiten in Deutschland zeigten, dass große Geschäfte deutlich mehr profitiert hätten, sagt Hottenrott.
Insgesamt jedoch scheinen die Aussichten für einen Umsatzzuwachs durch Sonntagsöffnung in Deutschland weniger rosig als in anderen Ländern. So wurde 2006 und 2007 das Ladenschlussgesetz hierzulande bereits teilweise dereguliert, lange Öffnungszeiten an den Abenden sind seither zulässig, die konkrete Ausgestaltung wurde dabei den Bundesländern übertragen.
Eine Studie der Humboldt Universität Berlin hat zuletzt ausgewertet, wie sich längere Öffnungszeiten auf die Beschäftigung im Einzelhandel auswirkten – und negative Effekte festgestellt: Während in anderen Ländern die Vollzeitbeschäftigung immer stieg, ging sie in Deutschland um 2,7 Prozent zurück. Das traf vor allem kleine Betriebe. Die Ergebnisse für Deutschland stehen also im Widerspruch zu denen anderer Länder. Die Forscher schreiben: „Ein möglicher Faktor […] ist die Tatsache, dass die Arbeitskosten in Deutschland deutlich höher sind als in den Vereinigten Staaten.“
Verdi kritisiert verkaufsoffene Sonntage – HDE unterstützt
Auch die Beschäftigtengewerkschaft Verdi hat gegenüber dem „Handelsblatt“ auf die negativen Effekte der veränderten Öffnungszeiten hingewiesen: Einkaufsmöglichkeiten spätabends hätten zu „mehr unfreiwilliger Teilzeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen“ geführt. Vor allem für die Familien der Beschäftigten sei das eine Mehrbelastung.
Auch Befragungen über die Effekte vergangener verkaufsoffener Sonntage zeigten kaum Umsatzsteigerungen, heißt es bei Verdi. „Wenn die Läden sonntags geöffnet sind, sinkt meist der Umsatz in denselben Läden in der darauffolgenden Woche“, erklärt die Gewerkschaft.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) hingegen betont, verkaufsoffene Sonntage seien wichtig, „um unsere Innenstädte attraktiv und lebendig zu halten“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Im Eventcharakter der verkaufsoffenen Sonntage sieht auch Hottenrott eine Möglichkeit, denn es könnte dadurch möglicherweise zu vermehrten Besuchen in Geschäften kommen. „Es wäre eine Chance gegen den Onlinehandel konkurrenzfähig zu sein“, sagt die Forscherin.
Bemerkenswert ist dennoch, dass selbst der Handelsverband HDE sich Wildbergers Forderung nicht anschließen will. „Einkaufen ist ein Event und sollte ausnahmsweise auch immer mal wieder am Sonntag erlaubt sein“, sagt Genth.
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