Kuss-Skandal Spaniens Fußballfrauen geht es um das System

Alexia Putellas, Jennifer Hermoso und Irene Paredes (v.l.) nach dem Sieg bei der WM. Quelle: AP

Der WM-Sieg der Spanierinnen und der aufgezwungene Kuss des Verbandspräsidenten Luis Rubiales haben für Aufruhr im spanischen Fußball gesorgt. Dahinter steckt weit mehr als Sport.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Nun hat sie Anzeige erstattet: Im spanischen Kuss-Skandal hat Spielerin Jennifer Hermoso Anzeige gegen Luis Rubiales erstattet und bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt, berichteten der Radiosender Cadena Ser und weitere Medien am Mittwoch unter Berufung auf Justizkreise in Madrid. Es ist der nächste Akt in diesem unwürdigen WM-Schauspiel, in dem Rubiales, der Präsident des spanischen Fußballverbands Real Federación Española de Fútbol (RFEF), nach dem Sieg der Fußballerinnen die Spielerin Hermoso vor laufenden Kameras euphorisch auf den Mund küsste und sich später noch in Anwesenheit der spanischen Königin vor lauter Freude in den Schritt fasste.

Spaniens Sportminister Miquel Iceta forderte nach dem Eklat Rubiales' Rücktritt. Einige Tage nach dem historischen WM-Sieg am 20. August suspendierte die FIFA Rubiales für 90 Tage vom Dienst. Der 46-Jährige selbst lehnte seinen Rücktritt lautstark vor den dafür klatschenden RFEF-Funktionären ab.

Rubiales' Suspendierung ist noch immer vorläufig. Den Trainer der spanischen Frauenfußball-Nationalmannschaft, Jorge Vilda, hat die RFEF dagegen in dieser Woche abgesetzt. Das alles mag wie eine schlechte Seifenoper scheinen. Doch es ist mehr: ein Symptom eingefahrener, teils machohafter Machtstrukturen im spanischen Fußball – in dem es um Milliarden Euro geht.

Real Madrid und FC Barcelona umsatzstarke Clubs

Man muss wissen: In Spanien wird die Fußballbranche von zwei privaten Institutionen bestimmt, von der RFEF, die ähnlich wie der DFB in Deutschland ein Zusammenschluss von rund 21.150 Clubs und rund einer Million Spieler ist, und von dem Verband LaLiga, der analog zur deutschen DFL das Geschäft der obersten spanischen Fußballligen organisiert.

Beide Organisationen machen gigantische Geschäfte. 2022 hat RFEF insgesamt 348 Millionen Euro eingenommen, 67 Prozent mehr als noch 2019. Ein großer Teil kam von den eigenen Turnieren Supercopa und der Copa del Rey, die zusammen in der vergangenen Saison 2022/23 111 Millionen Euro für TV-Rechte einbrachten. LaLiga, juristisch eigenständig, aber Teil der RFEF, verhandelt für ihre 42 Mitglieder aus der ersten und zweiten Liga vor allem TV-Übertragungsrechte für die Ligaspiele – für die sich Fans weit über Spanien hinaus begeistern: Unter den sogenannten „Big-Five“-Ligen in Europa ist die spanische mit zuletzt rund 3,3 Milliarden Euro Umsatz nach der Premier League die zweitstärkste gemessen an den Einnahmen.

Real Madrid, Atlético de Madrid und der FC Barcelona gehören nach der von der Unternehmensberatung Deloitte aufgestellten „Football Money League 2023“ zu den 20 umsatzstärksten Clubs der Welt. Allein der Wert des FC Barcelona wurde vom Wirtschaftsprüfungskonzern KPMG zuletzt auf rund 1,4 Milliarden Euro geschätzt.

Der allergrößte Teil des großen spanischen Fußballgeldes landet bei den Männermannschaften: Die spanischen Spielerinnen erhielten für den Gewinn der Weltmeisterschaft zwar immerhin jeweils 250.000 Euro, das niedrigste Gehalt in der ersten Frauenliga beträgt in Spanien nach Angaben der Sportzeitung „AS“ jedoch gerade mal 16.000 Euro brutto pro Saison, bei den Männern sollen es dagegen 155.000 Euro sein. Die Gewerkschaft der spanischen Spielerinnen, Futpro, prangert das an.

Streit der Fußballbosse

Die Konflikte im spanischen Fußball aber gehen weit darüber hinaus: Die Chefs der beiden Fußballorganisationen, RFEF-Präsident Rubiales und LaLiga-Boss Javier Tebas, führen seit Jahren eine Art persönlichen Krieg: Sie kämpfen um die Übertragungs- und Werberechte auf dem heimischen Markt.

LaLiga-Chef Tebas drückte 2021 zum Ärger der dominierenden Vereine Real Madrid und FC Barcelona den Einstieg des Finanzinvestors CVC durch. Die getroffene Vereinbarung sah die Gründung einer Holding vor und zwingt die Vereine, ihre Spielergehälter nicht ins Uferlose zu erhöhen. Für eine Finanzspritze von rund 2,7 Milliarden Euro kassieren die Briten über die Holding 50 Jahre lang elf Prozent aller Einnahmen der ersten und zweiten Liga Spaniens und übernehmen 10,95 Prozent der audiovisuellen Rechte.

Florentino Pérez, Präsident von Real Madrid, ist gegen diese Entscheidung gerichtlich vorgegangen. Ein Madrider Gericht erklärte den auch von der DFL mit Aufmerksamkeit verfolgten LaLiga-Deal gerade wegen Formfehlern bei der Abstimmung für nichtig. CVC und Tebas lassen sich davon nicht abbringen. Die Briten leisteten gerade die dritte Zahlung über 482 Millionen Euro an LaLiga. Tebas glaubt, dass das Urteil die Abmachung mit CVC nicht gefährde, weil die Formfehler inzwischen behoben seien. 

Dem RFEF wurde von Tebas immer wieder vorgeworfen, die wirtschaftlichen Probleme großer Mannschaften wie Barça mit nach Medienberichten über 3 Milliarden. Schulden weniger zu ahnden als die der kleinen Clubs. Zudem wird gegen Rubiales und den ehemaligen Barça-Star Gerard Piqué wegen angeblich illegaler Kommissionen von den Saudis für die dorthin verlagerte hauseigene Supercopa ermittelt. Ein Gericht in Majadahonda (Madrid) eröffnete im Juni 2022 ein Verfahren wegen „unfairer Verwaltung und Korruption“. Rubiales und Piqué weisen jede Schuld von sich.

Aber schon vor Rubiales gab es Vorwürfe, es sei zu Unregelmäßigkeiten beim RFEF gekommen. Ein früherer Schiedsrichterverantwortlicher der Federation soll vom FC Barcelona bestochen worden sein. Entsprechende Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft im Mai 2022 eingeleitet. Für Barça-Präsident Joan Laporta ist „der ‚Fall Negreira‘ eine riesige Hetzkampagne“ gegen den Club. In jedem Fall schaden die Auseinandersetzungen dem Image der ganzen spanischen Fußballbranche – und damit am Ende auch der Frauenförderung, glaubt die Spielerinnengewerkschaft Futpro. Von sportlichen Leistungen rede kaum noch jemand.

Das ärgert auch Spielerin Hermoso. In einem offiziellen Statement am 25. August gab sie ihren Rückzug aus der Nationalmannschaft bekannt. Das Weltmeistermeisterteam habe „eine solch manipulative, feindselige und kontrollierende Kultur“ nicht verdient, sagte sie. Schon die WM hatten 15 Spielerinnen boykottiert. Ihre Kritik richtete sich zunächst vor allem gegen Trainer Jorge Vilda.

SAP-Gründer Plattner „Im Schatten von SAP hätte es in Deutschland längst etwas Neues geben müssen“

Mitte Mai tritt SAP-Aufsichtsratschef Hasso Plattner endgültig ab. Im großen Abschiedsinterview zieht er eine sehr persönliche Bilanz seines Wirkens seit der Unternehmensgründung 1972.

Zugewinnausgleich Wie viel können sich Eheleute steuerfrei vererben?

Ein Paar ist seit gut 40 Jahre verheiratet. Jetzt machen sich die Eheleute Gedanken über die Erbschaftsteuer – und sind auf einen besonderen Steuervorteil gestoßen. Eine Fallanalyse.

Frauenförderung à la Siemens Siemens-Managerin klagt an: Nutzt der Konzern Compliance als Mitarbeiter-Entsorgungstool?

Der Fall einer Siemens-Managerin, die schwanger wurde und nun um ihren Job kämpfen muss, erschüttert den Dax-Konzern. Nun droht der mit ihr verheiratete Personalchef in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Ein von der Regierung von Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez in diesem Jahr verabschiedetes Sportgesetz schreibt Gleichberechtigung beim Lohn und bei den Arbeitsbedingungen auch im Profi-Sport vor. Die Umsetzung sei schwierig, wenn die Branche von Machos bestimmt werde, denen es vor allem um ihren Einfluss gehe, ist aus Kreisen von Futpro zu hören.

Lesen Sie auch: Der Patriarch Hoeneß ist zurück – richtet er seinen Fußballkonzern nun zugrunde?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%