Lufthansa „An den Piloten wird es nicht scheitern“

Lufthansa und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) wollen ihre Zusammenarbeit neu aufstellen. Um die Konflikte nicht länger auf dem Rücken der Kunden auszutragen, versprechen die Flugzeugführer nach dem Vorbild anderer Krisenbranchen wie der Chemie der Konzernspitze als Vorleistung vertrauen und Konflikte geräuschlos zu lösen, beschreibt der oberster VC-Tarifverantwortliche Marcel Gröls die Zeitenwende in seinem Gastbeitrag.

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Es ist gute alte Gewerkschaftstradition, sich als „Gegenmacht“ zu verstehen. Zu Beginn, in der Gründungszeit der Gewerkschaften, war schlechterdings nichts anderes vorstellbar. Die Selbstdefinition als „Gegenmacht“ was das einzig verfügbare Denkmodell der Zeit. Sätze wie „Ihr da oben, wir da unten“ oder „Millionen sind stärker als Millionäre“ waren bis in die siebziger und achtziger Jahre zu hören.

In der Neuzeit, um einen großen Sprung zu machen, ist das Gegenmacht-Modell verblast. An seine Stelle ist ein neues Selbstverständnis getreten, welches von Begriffen wie Sozialpartnerschaft und Co-Management geprägt ist. „Kritisch, aber konstruktiv miteinander um beste Lösungen ringen“, lautet heute das etwas betuliche, dafür aber gewinnbringende De-Facto-Motto in unserem Geschäft.

Das heißt aber nicht, dass Gewerkschaften irgendwie „gezähmt“ wurden. Im Gegenteil. Das jede Gewerkschaft das Potenzial in sich trägt, ganz schnell wieder Gegenmacht zu werden, wenn es für nötig erachtet wird, versteht sich von selbst und in dem Anspruch, inhaltlich einen ebenbürtigen Beitrag zu jedweder Problemlösung beitragen zu können, schwingt großes Selbstbewusstsein mit.

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Einige Inseln gibt es allerdings, die heute noch konfliktbehafteter sind, als es nötig wäre – womit wir beim Verhältnis der Piloten zur Deutschen Lufthansa AG wären. Was nicht etwa bedeutet, dass es mit dem Kabinen- und Bodenpersonal reibungslos laufen würde.

Die offiziellen, formalen Kontakte mit Belegschaftsvertretern in einem Großkonzern sind bekanntlich vielfältig. Auf Spitzenebene werden gemeinsame politische Interessen und deren Verwirklichung koordiniert, auf Betriebsebene mit den Betriebsräten die möglichst geschmeidige und trotzdem mitarbeiterfreundliche Umsetzung der alltäglichen Operations und dann gibt es noch den wirkmächtigsten Hebel, die Tarifpolitik. Wobei diese bei der Lufthansa besonders komplex ist. Die Tarifwerke mit all ihren Querbezügen und Spezialfällen sind alles andere als selbsterklärend.

Hierzu ein kleines Gedankenexperiment: Wie lebt und arbeitet es sich in einer Deutschen Lufthansa AG, bei der die Parteien immer wieder gemeinsame Lösungen für die vielen komplexen Herausforderungen suchen und dabei die Balance zwischen den Interessen routiniert und präzise austarieren? Was wäre, wenn Tarifrunden in aller Regel – mühsam und hart errungen zwar – aber eben doch am Tariftisch alleine stattfinden? Ohne, dass der so genannten Druck der Straße notwendig wird? Würde so ein Miteinander-Modus nicht die Transaktionskosten auf beiden Seiten senken? Ich meine…erheblich? Könnten wir so nicht Seit‘ an Seit‘ zu alter Größe zurückfinden und zum Beispiel den Platz im DAX zurückerobern? Und den fünften Stern? Das klingt natürlich verrückt – ist aber andernorts gang und gäbe.

Nehmen Sie das Beispiel der Chemieindustrie: Ohne diese Branche romantisieren zu wollen, doch die von der IG BCE vertretenen Beschäftigten sind stolz, kampfbereit und lassen sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Trotzdem gelingen Tarifkonflikte dort ziemlich geräuschlos. Das ist weder zum  Nachteil der Beschäftigten noch der Unternehmen. Krisen werden gemeinsam getragen, Gewinne unter den Stakeholdern aufgeteilt. Wenn es trotzdem mal einen Streik oder eine Demo gibt, bleiben die Hauptdarsteller gelassen.

Marcel Gröls von der Vereinigung Cockpit. Quelle: PR

Dem gegenüber steht das Denkmodell „Gegeneinander“, mit dem man zwar auch zu Ergebnissen kommt, nur eben mühsam und mit hohen Kosten für die ständige Wärmeenergie, die man mit den Reibereien unterwegs verursacht. Es ist ein bisschen so, als ob man gleichzeitig auf das Gas- und das Bremspedal steigt. Solange man das Gaspedal tiefer drückt, mag man trotzdem zum Ziel kommen. Allerdings deutlich teurer, später und ungemütlicher, als es nötig gewesen wäre. Oder um es mit Robert Habeck positiv zu sagen: Mit „Gegeneinander“ arbeitet man gar nicht gegeneinander. Man hört nur erst mal auf zusammenzuarbeiten.

Das Verhältnis der Lufthansa zu seinen Piloten ist von 20 Jahren konfliktreicher Geschichte geprägt, die bis heute zwei Auswirkungen hat: Zum einen haben manche Akteure beider Seiten so ziemlich den Glauben daran verloren, dass es auch anders ginge. Ich höre mitunter es sei naiv, der Lufthansa einen anderen Umgang zuzutrauen. „Fool me once, shame on you, fool me twice, shame on me“, höre ich. Diese Argumente sind mehr als verständlich. Andererseits muss man anerkennen, dass die Protagonisten wechseln. Außerdem, was soll man daraus logisch folgern? Das wir nie wieder aus dem Kreislauf des Misstrauens ausbrechen können? Das kann nicht unser Anspruch sein. Tarifpolitisch will ich nicht nur Einsen und Nullen produzieren, obwohl das wichtig ist. Ich möchte auch auf das generelle Setting und das gemeinsame Klima Einfluss nehmen, um möglichst effiziente und zielführende Prozesse zu etablieren.

Zum anderen gibt es auch Missverständnisse zwischen uns. Zum Beispiel ist von der Unternehmensseite immer wieder die Sorge zu hören, der „Mächtigkeit“ der Piloten ausgeliefert zu sein. Als VC sahen wir uns zumindest während der Corona-Krise teilweise eher in einem Abwehrkampf. Ein anderes Beispiel ist der Umgang mit abgeschlossenen Tarifverträgen. Auf unserer Seite wird gerne kolportiert, dass die Lufthansa-Anwälte ab der ersten Minute der Gültigkeit nach Wegen suchen, wie das soeben gemeinsam abgeschlossene Tarifwerk durchlöchert und umgangen werden kann. Da ist wiederum die Selbstwahrnehmung der Konzernjuristen eine andere.

Es gibt also genügend Gründe, sich nach einem neuen Modus Operandi umzusehen.

Doch wie soll das gelingen? An den Beschäftigten wird es nicht scheitern. In einem LinkedIn-Artikel habe ich mir unlängst etwas Zeit genommen und die angeblich so üppigen Vergütungsbedingungen der Piloten ausführlich kommentiert. Ein emotionales und an sich polarisierendes Thema – trotzdem zeigen die vielen Kommentare unter dem Beitrag, dass es eine ausgeprägte Fähigkeit unter Angehörigen unserer Branche gibt, auch solche Sujets (selbst)reflektiert und sachlich zu diskutierten. Wenn wir in dem Thema und Medium schon zueinander finden, warum sollten wir das dann nicht auch im Allgemeinen fertigbringen?

Damit sind wir bei der Frage nach dem „Wie“. Sollen die Vorstände beider Seiten sich demnächst zur Klausur treffen und eine neue Kultur anordnen? Vielleicht ein Konklave bei Wasser und Brot, bis wir uns einig sind? So wird es nicht gehen. Eine neue Kultur basiert auf Vertrauen. Vertrauen, dass der andere es grundsätzlich gut meint und sein Gegenüber in seiner Rolle akzeptiert. Vertrauen, dass die Einhaltung mündlicher Zusagen im Sinne des Hanseatischen Handschlags als Ehrensache betrachtet wird. Nach 20 Jahren im Tarifzirkus, davon viele Jahre auf Arbeitgeberseite, weiß ich sehr gut, dass sich eine neue Kultur nicht einfach anordnen lässt und auch nicht über Nacht kommt.

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Sollte sich also zum Beispiel das Topmanagement irgendwann besinnen, die Rede von „Perspektiven oder Privilegien“ – eine Wahl, vor die immer gerne die Piloten der Passage gestellt werden – zugunsten eines populäreren Ansatzes einzutauschen, dann freut mich das sehr. Eine große Geste. Doch genauso wichtig sind tausend kleine und mittlere Gesten zwischen Protagonisten auf allen Ebenen des Unternehmens, bei denen immer wieder aufs Neue Vertrauen entgegengebracht und bestätigt wird. Solange, bis ein solides Grundvertrauen da ist. Zum Beispiel sind die Piloten letzte Woche in Vorleistung getreten, indem sie Last Minute einen Streik abgesagt haben, weil es eine – zunächst nur mündliche – Übereinkunft gab. Damit sind wir ins Risiko gegangen, denn wenn die mündliche Übereinkunft nicht den Transfer ins Schrifttum überlebt, haben wir Zeit verloren. Auch aus dem Lager des Konzerns bekommen wir immer wieder positive, vertrauensbildende Signale – vom Personalvorstand angefangen bis zur Betriebsebene.

Das heißt aber auch: Für die Kultur in unserer Branche sind wir alle zuständig. Wir brauchen nicht zu warten, bis Spitzenmanager und Topfunktionäre eine neue Kultur „herbeiführen“. Vielmehr sind wir alle gefragt. Jeder von uns kann in Vorleistung gehen und Vertrauen entgegenbringen und vor allem kann jeder von uns eifrig zeigen, dass entgegengebrachtes Vertrauen gerechtfertigt ist.

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