Lufthansa und Co. Ende des Flug-Booms? „Die gehobene Mittelklasse spürt finanziellen Stress“

Quelle: imago images

Die schier ungebremste Reiselust nach der Pandemie bescherte der Lufthansa wie allen europäischen Airlines gewaltige Gewinne. Doch ein Blick in die Zahlen zeigt: Die goldenen Zeiten dürften vorbei sein.

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Wer derzeit mit den Chefs europäischer Airlines spricht, blickt meist in glückliche Gesichter. „Wir sind sehr zufrieden“, kommentiert KLM-Chefin Marjan Rintel. „Weil überall auf der Welt die Menschen öfter als früher Premiumangebote wie Business Class buchen, sind unsere Flüge gut ausgelastet und die Durchschnittserträge hoch.“ Und wenn Lufthansa-Chef Carsten Spohr am Donnerstag seine Bilanz für die ersten neun Monate 2023 vorstellt, dürfte er seinen Jubelruf aus dem September wiederholen: „Der Sommer endet einfach nicht.“

Viele seiner Kollegen sind da längst vorsichtiger. „Die Party ist vorbei“, unkt Ryanair-Chef Michael O’Leary. Und auch die Chefs vieler großer US-Linien wie American Airlines oder Jetblue verkündeten in den vergangenen Tagen entweder deutlich gedämpfte Ausblicke für das Fluggeschäft oder sogar Verluste. Den Grund zeigt eine Analyse der Zahlen.

Auf den ersten Blick haben die Fluglinien Corona schneller überwunden als erwartet. Im Sommer 2020, also nach der ersten Welle der Pandemie, gingen der Weltluftfahrtverband Iata und viele seiner Mitglieder noch davon aus, dass die Branche frühestens 2025 wieder so groß sein würde wie vor der Krise. Tatsächlich werden Europas Fluglinien bereits in diesem Jahr wieder fast so viel Kapazität verkaufen wie 2019.

Doch der Blick allein auf die Masse greift zu kurz. Denn tatsächlich fliegen die Airlines andere Kunden: mehr Urlauber statt Geschäftsreisende.



Das hat deutliche Folgen. Manager zahlen nicht nur höhere Preise als Touristen. Sie buchen auch gleichmäßiger im Jahresverlauf und reagieren weniger stark auf hohe Preise. Das werden die Airlines im Herbst und Winter spüren. Im Sommer sind die Erträge vor allem deshalb hoch, weil Touristen anders als früher nicht nur die Economy- und Premium-Economy-Abteile buchen, sondern mehr denn je auch auf der Kurzstrecke Business Class und auf der Langstrecke First Class. Doch bereits im Herbst sind in der Regel ein Viertel weniger Urlauber unterwegs als im Sommer, während die Zahl der Geschäftsreisenden weitgehend gleich bleibt. Also müssen die Airlines entweder Flieger parken oder die Preise senken.

Doch statt die Kapazität runterzufahren, passiert das Gegenteil. Gerade in Europa sind statt weniger mehr Plätze unterwegs als zu Beginn der Krise. Obwohl Airbus und Boeing wegen der Pandemie und den Problemen in ihrer Lieferkette weniger Jets bauen als geplant, verfügen die Airlines außerhalb Russlands in diesem Sommer mit rund 3900 Jets über etwa fünf Prozent mehr Flieger als 2020.



Zudem haben die rund 500 zuletzt neu gekauften Flieger deutlich mehr Sitze als ihre Vorgänger. So hat der Airbus A321, von dem allein Wizz Air und Lufthansa zusammen rund 50 Exemplare neu einsetzen, mit gut 230 Plätzen im Schnitt rund 50 Sitze oder ein Viertel mehr als die A320, die sie in der Regel ersetzen. Das sind pro Flugzeug und Jahr bis zu 100.000 zusätzliche Plätze, die verkauft werden wollen. Und weil Europas Airlines laut einer Studie des US-Brokerhauses Bernstein im kommenden Jahr ihre Flugzeuge mit weniger Leerlauf nutzen wollen, könnte das Angebot um 14 Prozent steigen. 

Ob die Millionen freien Sitze zu füllen sind, ist fraglich, vor allem auf dem Lufthansa-Heimatmarkt. Denn ein Blick auf die Konjunkturprognosen zeigt, dass vor allem in Deutschland die Wirtschaft in 2023 und 2024 um fast ein Prozent schrumpfen wird. In früheren Krisen sank die Zahl der Passagiere doppelt so stark. Dann gäbe es statt 14 Prozent mehr Kunden anderthalb Prozent weniger.



Bei den Geschäftsreisenden, die außerhalb der Hauptreisezeit die Jets füllen sollen, ist in den deutschsprachigen Ländern bereits jetzt die Lücke zur Vorkrisenzeit größer als anderswo. „Vor allem die Manager der großen Branchen wie Auto oder die Chemie buchen deutlich seltener, einfacher und auch kürzere Strecken als Manager im Rest der Welt“, berichtet KLM-Chefin Rintel. Und ob sich das legt, ist mehr als unsicher. „Es sieht so aus, als ob wir im Herbst noch mal einen richtigen Dämpfer erwarten“, sagt ein Reisemanager eines deutschen Großunternehmens.

Und die Urlauber dürften bald folgen, glaubt Shakeel Adam, weltweit aktiver Berater der Luftfahrtbranche mit Wohnsitz in Mannheim. So verderben die aus seiner Sicht „verrückten“ Preise der vergangenen zwei Jahre bereits vielen das Fernweh. „Auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen, es gibt eine Preiselastizität der Nachfrage“, meint Adam.



Die sieht er bereits bei den Besserverdienenden, die in diesem Jahr „zu fast jedem Preis“ buchten, wie ein führender Lufthanseat kommentiert. Adam verweist darauf, dass in seinem Geburtsland Kanada eine Rekordzahl gehobener Ferienhäuser zum Verkauf angeboten werde. Seine Erklärung: Viele Wohlhabende hätten die von Spohr „Revenge Travel“ (Reisen als Rache) genannte Flucht in die Ferne nach Corona bisher weitgehend aus dem Ersparten oder dank niedriger Zinsen per Kredit bezahlt. Das sei nun vorbei, und angesichts der Inflation seien nun auch Premiumreisende an ihrer Belastungsgrenze angelangt. „Die gehobene Mittelklasse spürt finanziellen Stress“, erläutert Adam. Und das sei ein klares Zeichen, dass die Airlines künftig weniger und einfachere Tickets verkaufen werden.

Den Trend spüren die Linien in Nordamerika bereits. Hier übersteige „im Inlandsverkehr außerhalb der Stoßzeiten das Angebot die Nachfrage“, klagt Joanna Geraghty, bei Jetblue Vorstand für das Tagesgeschäft. Zwar werden die großen Airlines wie United, Delta oder Billigflugpionier Southwest dieses Jahr mit Gewinn beenden. Doch alle werden im nächsten Jahr teilweise deutlich weniger verdienen als in diesem Jahr, erwarten Analysten. Einige wie American oder Jetblue mussten sogar im Sommerquartal Verluste melden.



Und so sehr die Vorstandschefs auch Optimismus verbreiten, ihre Aktionäre sehen das anders. Denn die Aktienkurse der US-Marktführer sanken trotz aller optimistischer Prognosen der CEOs seit dem Sommer um bis zu ein Drittel. Die Entwicklung sei noch nicht am Ende, glauben Analysten: „Die Investoren werden immer nervöser“, warnt Harry Gowers von J.P. Morgan. 

Und das auch in Europa. Zwar haben die Chefs von Air France-KLM und der British-Airways-Mutter IAG für das kommende Jahr bessere Zahlen versprochen. Und auch Lufthansachef Spohr sagt, er sehe keine entscheidenden Anzeichen, dass die Geschäfte in absehbarer Zeit schlechter laufen. Dafür sorgen aus seiner Sicht allein der Mangel an Flugzeugen, Ersatzteilen, Piloten und Engpässe auf den Flughäfen in Europa. Darum gebe es keine Überkapazität. Und weil die Reiselust ungebrochen sei, werde das „auch in den nächsten Jahren die guten Durchschnittserlöse absichern.“



Seine Aktionäre aber kaufen ihm das nicht ab. Europas größte Airline ist an der Börse fast ein Drittel weniger wert als im Mai. Dafür sorgt wohl auch die Furcht, dass wegen der beginnenden Rezession weniger Urlauber buchen und den verbliebenen das Geld weniger locker sitzt. Zudem erwarten Analysten, dass sich die beiden zentralen Messwerte der Branche in die falsche Richtung entwickeln. So dürfte bei Lufthansa pro angebotenem Passagierkilometer der Umsatz um acht Prozent sinken und die Kosten wegen höherer Löhne, steigenden Spritpreisen und den höheren Gebühren von Airports oder Flugsicherung um drei Prozent steigen, erwartet Bernstein-Analyst Alex Irving.

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Und der Druck auf die Preise könnte noch zunehmen, weil wichtige Wettbewerber ihre Kapazität hochfahren. So wollen nicht nur Ryanair und Wizz Air ihre Flotten ausbauen. Im Verkehr nach Asien bauen auch Emirates aus Dubai oder Turkish Airlines aus. Dazu kommen ehrgeizige neue Anbieter wie Riyadh Air aus Saudi-Arabien und Air India. Sie alle haben mehr Langstreckenflugzeuge bestellt als Lufthansa derzeit im Bestand hat. „Die Furcht vor Überkapazität und deren Einfluss auf die Durchschnittserträge ist real“, sagt Irving.

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