Nahverkehr Das italienische Taxi-Kartell

Quelle: imago images

Uber? De facto verboten. Taxis? Mangelware. Reformen? Nicht in Sicht. In Italien spitzt sich derzeit ein Verkehrschaos zu, das europaweit seinesgleichen sucht – und mit dem einige Wenige sehr viel Geld verdienen.

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Wer mit dem Zug oder Flieger nach Italien reiste, dem fielen rund um Ostern zwei Dinge auf: das ungewöhnlich miese Wetter – und die Warteschlangen vor den Taxiständen. Die schlechte Nachricht lautet: Mindestens Letzteres wird noch schlimmer. Die Buchungszahlen deuten auf einen absoluten Rekordsommer hin – während die Zahl der Taxis zwischen Mailand und Palermo seit Jahrzehnten nahezu gleichgeblieben ist. In den zehn größten Städten des Landes gibt es insgesamt 23.139 Taxi-Lizenzen. Zum Vergleich: Allein in London gibt es gut 15.000 Taxis und rund 85.000 Fahrer, die in Mietwagen auf Zuruf Kunden durch die Stadt kutschieren.

In Italien aber hat der Stillstand Methode. Seit mehr als 20 Jahren sind keine neuen Taxis oder Fahrdienste dazugekommen. Zuletzt war es der damalige Ministerpräsident Mario Draghi, der im Sommer 2022 mit einem groß angelegten Reformversuch scheiterte. Doch nachdem protestierende Taxifahrer Rom tagelang lahmgelegt hatten, musste er aufgeben.

50 Prozent der Taxi-Rufe gehen ins Leere

Die Folgen der Blockade sind signifikant: Nach Untersuchungen der Marktaufsichtsbehörde Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato haben im Juli 2023 etwa 1,3 Millionen potenzielle Kunden in Rom vergeblich versucht, einen Wagen zu bestellen. In Mailand waren es mehr als 500.000. Zwischen 40 und 50 Prozent der Anrufe liefen ins Leere.



Ein Fall für Uber – eigentlich. Doch die Regierung schränkt die Geschäftstätigkeit des Fahrtenvermittlers massiv ein. „Italienische Touristen und Einheimische müssen zu Fuß gehen. Mit dem neuen Gesetz, das Uber-Fahrten etwa im Auftrag von Reise-Agenturen verbietet und den Fahrern eine Pause von mindestens einer Stunde zwischen zwei Fahrten vorschreibt, wird das Chaos noch schlimmer“, schimpfte zuletzt Dara Khosrowshahi, CEO von Uber.

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Die potenziellen Kunden sind im Land des Korporatismus einer kleinen, aber mächtigen Gruppe ausgeliefert: den Taxifahrern, die ihre Pfründe verteidigen. Als Vorbild dienen ihnen womöglich die Pächter von Italiens Strandbädern, die sich seit 18 Jahren erfolgreich gegen die von der EU vorgesehene Neu-Ausschreibung ihrer Lizenzen wehren. Die verdanken sie oft der Vetternwirtschaft, zahlen so gut wie keine Pacht und verdienen sich mit teilweise exorbitant hohen Preisen für Liegestühle und Sonnenschirme goldene Nasen. Die Touristen haben kaum eine Wahl, denn an vielen Orten gibt es so gut wie keine frei zugänglichen Strände.

Kostenlos erhalten und weiterverkauft

Ähnlich weitreichend sind die Privilegien der Taxifahrer. Nach einem Gesetz von 1992 dürfen sie, die in den allermeisten Fällen ihre Lizenzen vor Jahrzehnten kostenlos erhalten haben, allein entscheiden, an wen sie ihre Lizenzen weitergeben – sollten sie ihren Job je an den Nagel hängen. Die wenigen verfügbaren Lizenzen werden auf dem Markt daher für Preise zwischen 150.000 und 200.000 Euro gehandelt – oder gleich vererbt.

Bewährtes Modell: Bisher haben Italiens Taxifahrer jeden Reformversuch mit Protesten verhindert. Hier ein Streik aus dem Jahr 2012. Foto: dpa Quelle: dpa

Pläne gibt es – mehr nicht

Ein Dekret von 2008 erlaubt es den Kommunen zwar grundsätzlich, neue Lizenzen zu verkaufen. Dann aber müssen 80 Prozent der Verkaufserlöse an die Lizenzinhaber ausgeschüttet werden. Auch das haben die lokalen Taxi-Verbünde erfolgreich blockiert: Schließlich könnten im Fall eines Verkaufs die Preise sinken, und auch der Wert ihrer Lizenzen würde geringer.

Nach dem Scheitern von Mario Draghis Versuch, für mehr Wettbewerb zu sorgen, droht auch die jüngste Reformankündigung der Regierung um Giorgia Meloni vom August 2023 im Sande zu verlaufen. Geplant war, dass insgesamt 65 Kommunen im Land in einem erleichterten Verfahren bis zu 20 Prozent mehr Lizenzen vergeben können – unter der Bedingung, dass die Einnahmen aus dem Verkauf der Lizenzen komplett an die Taxifahrer mit Lizenzen verteilt werden. Mailands Bürgermeister Beppe Sala wollte 450 neue Genehmigungen vergeben und bot den derzeitigen Lizenzinhabern 96.500 Euro pro Lizenz. Zu wenig, finden die Taxifahrer und machen nun wieder mobil. Sie fordern den angeblichen Marktwert von 160.000 Euro. Demnächst muss ein Gericht über ihre Klage entscheiden.

Uber streikt mit

Auch in Rom, wo Bürgermeister Roberto Gualtieri 1000 dauerhafte und 500 saisonale Lizenzen vergeben, einen Teil der Einnahmen aus dem Lizenzverkauf aber behalten will, tut sich bislang nichts. Es wäre ein Wunder, wenn es bis zum Jahr 2025 mehr Taxis in der Stadt gäbe.

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Und so müssen Touristen und Geschäftsreisende weiter zu Fuß gehen oder auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen, während sie den Taxifahrern beim Demonstrieren zuschauen können. Kurz vor Ostern protestieren diese in Rom gegen jegliche Liberalisierungsbemühungen und legten teilweise den Verkehr lahm. Zumindest im Demonstrieren waren sie dabei mit Uber vereint: Auch dessen potenzielle Fahrer blockierten die Straßen, um eine Marktöffnung, weniger Regeln und mehr Wettbewerb zu fordern.

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