Russland-Sanktionen Wer hilft deutschen Unternehmen bloß aus dem Sanktionsdickicht?

Die Sanktionen der EU gegen Russland stellen Unternehmen vor große Herausforderungen, der Beratungsbedarf ist enorm. Quelle: imago images

Die Strafmaßnahmen gegen Russland sind hart, umfassend – und in Details oft reichlich unklar. Das beschert betroffenen Unternehmen viel Unsicherheit und spezialisierten Anwälten einen beispiellosen Boom.

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Als Anwältin bei der Großkanzlei Noerr ist Bärbel Sachs an volle Terminkalender gewöhnt. Aber so voll? „Sie können sich nicht vorstellen, was hier los ist“, sagt die Expertin für Sanktionsrecht.

Dabei hatte sich die Kanzlei eigentlich bestens vorbereitet: Noch vor dem Angriff Russlands hatte sie mit dem „Ukraine-Russia Crisis Center“ eine Anlaufstelle für Unternehmen geschaffen. Nun wird diese mit Anfragen regelrecht überflutet, der Beratungsbedarf ist gewaltig. 

Der Grund: Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland stellen die Unternehmen vor viele Herausforderungen – und große Unsicherheit. Bestehende Geschäftsbeziehungen mit russischen Kunden, Kooperationen mit russischen Partnern, sowie Zahlungs- und Kapitalverkehr werden zunehmend zum Problem. Vor allem im Detail: Da aktuell kein Totalembargo besteht, das jeglichen Handel mit Russland untersagt, müssen Unternehmen ihre Waren und Geschäftspartner einzeln darauf prüfen, ob sie unter den Sanktionen zulässig sind.

Einfach ist das nicht: „Die Sanktionen wurden mit heißer Nadel gestrickt,“ erklärt Anwältin Sachs. Der politische Handlungsdruck sei hoch gewesen - und die Vorbereitungszeit gering. „So kommt es, dass die Sanktionen zum Teil widersprüchlich sind. Es wurden einige technische Fehler gemacht.” 

In einer aktuellen Umfrage kommt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zu dem Ergebnis, dass für zwei von drei Betrieben das Identifizieren betroffener Geschäftspartner, Warengruppen und Dienstleistungen sowie das Einhalten von Ein- und Ausfuhrkontrollen die größte Herausforderung ist. „Da die Sanktionen sehr kurzfristig beschlossen und sukzessive verschärft wurden, bestehen Regelungslücken und Interpretationsspielräume“, sagt KMPG-Vorstand Mattias Schmelzer.

Das sieht auch Julian Hinz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft so: „Die EU-Sanktionen sind teilweise vage gehalten, womit die Abschreckungswirkung breit ist.“

Das Ziel haben sie erreicht: Viele deutsche Unternehmen und Banken haben schnell reagiert. „Sie ziehen sich freiwillig vom russischen Markt zurück, obwohl sie von den Sanktionen nicht betroffen sind,“ sagt Christian von Soest vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA). Das mag moralisch geboten sein, könnte für sie aber noch ungewollte Folgen haben. Denn wenn sie gar nicht von Sanktionen betroffen sind, fehlt dem abrupten Abbruch der Geschäftsbeziehungen die Rechtsgrundlage. Die Unternehmen brechen also womöglich Verträge, an die sie trotz Krieg weiterhin gebunden sind.

Unternehmen könnten Schadensersatzklagen drohen 

„Verträge, die nicht gegen Sanktionen verstoßen, müssen vertragsrechtlich eingehalten werden. Und russische Geschäftspartner werden fordern, was ihnen rechtlich zusteht.“, sagt Sanktionsrechtsexpertin Sachs. So könnten sie möglicherweise auf Schadensersatz klagen.  

Die Forderungen könnten sie innerhalb der EU rechtlich geltend machen.  „Auch vor einem westlichen Gericht könnten Unternehmen verklagt werden, wenn sie Sanktionen einfach übererfüllen“, erklärt Andreas Metz, Sanktionsexperte des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Selbst die russische Zentralbank könnte vor Gericht ziehen. 

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Für Unternehmen könnten etwa Nebenvereinbarungen wie der Service für einmal gelieferte Produkte  zur Falle werden. „Angenommen, man hat eine Maschine nach Russland geschickt und dafür auch einen Wartungsvertrag vereinbart: Wenn derartige Maschinenlieferungen nun verboten werden, betrifft das dann auch Lieferungen aller Ersatzteile und die Wartung?“, fragt Metz. Wartungsverträge hätten meist mehrjährige Laufzeiten. Dass Lieferanten diese einfach einseitig aussetzen können, ist in kaum einem Vertrag vorgesehen.

Um derartige Fragen zu beantworten hat auch der Ost-Ausschuss eine Task Force eingerichtet, zudem bietet er Briefings für Unternehmen zur aktuellen Entwicklung an. Die hohe Frequenz, mit der sich die Vorgaben von Regierungen und Behörden ändern, macht es jedoch zunehmend schwer, ständig auf dem aktuellen Stand zu bleiben. „Das Tempo, mit dem Sanktionen eingeführt werden, ist unfassbar hoch“, berichtet Metz.

Die Unternehmen gäben sich alle Mühe, die Sanktionen penibel zu prüfen und zu verstehen, um sich nicht der Gefahr eines Verstoßes auszusetzen. „Niemand will sich hier fahrlässig angreifbar machen“, sagt Metz. Aber das Bemühen allein reiche womöglich nicht aus. Die EU selbst versuche aktuell selbst besser zu verstehen, was genau ihre eigenen Sanktionen für die Wirtschaft bedeuteten.

Auf Anfrage erklärt die EU-Kommission, dass die zuständigen nationalen Behörden in engem Kontakt mit den Wirtschaftsbeteiligten stehen. „Zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden findet ein regelmäßiger Informationsaustausch zu verschiedenen Aspekten der Umsetzung von Sanktionen statt, von der Höhe der eingefrorenen Vermögenswerte über die gewährten Ausnahmeregelungen bis hin zu Durchsetzungsfragen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich auftreten können.“ 

Der Austausch der Informationen allein führt jedoch nicht dazu, dass Unternehmen wissen, was erlaubt ist und was nicht. Um den Unternehmen bei der Orientierung zu helfen, hat die EU deshalb ein Online-Tool als Unterstützung eingerichtet.

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Das lässt vor allem Fragen zu mittelbaren Folgen der Handelsbeschränkungen offen. So können nicht nur die Produkte unter Sanktionen fallen, die die Unternehmen selbst produzieren oder vertreiben. Betroffen sein können auch sogenannte „begleitenden Systeme“, die den Betrieb aufrechterhalten. Dabei geht es etwa um „Softwarelösungen, die vor Ort etwa in den Verwaltungen von Unternehmen laufen“, wie es bei Fresenius Medical Care heißt. Aktuell sind die Produkte des Medizintechnikkonzerns nicht sanktioniert. Das Unternehmen sei aber ständig reaktionsbereit. „Wir achten auf ein genaues Monitoring, um auch etwaige Gegensanktionen frühzeitig abschätzen zu können – denn wir müssen die Versorgung unserer Patienten sicherstellen“, sagt ein Sprecher.

Eine weitere Herausforderung: Die Unternehmen müssen auch die Eigentumsverhältnisse ausreichend klären. Oft ist es gar nicht so einfach zu ermitteln, ob an einem Geschäftspartner etwa ein sanktionierter Oligarch beteiligt ist. „Besonders kompliziert sind Sanktionen gegen weltweit agierende russische Unternehmer. Jeder Handelspartner muss durchleuchtet werden, ob nicht eine oder mehrere dieser gelisteten Personen im Hintergrund maßgeblich an Geschäftsentscheidungen beteiligt sind,“ so Metz.

Personalmangel: Deutsche Sanktionsexperten „passen in Flixbus“

Zur Klärung offener Fragen verweist das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) auf die EU-weit geltenden Exportbeschränkungen seit 2014, auf die Hotlines des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) – und „Anwaltskanzleien, die sich mit bedeutender Fachkunde auf die Beratung von Unternehmen hinsichtlich ihrer Pflichten in der Exportkontrolle spezialisiert haben.“

Bei diesen boomt das Geschäft. Denn trotz beratender Hotlines sehen die verunsicherten Unternehmen sich dazu gezwungen, auf spezialisierte Juristen zurück zu greifen. „Der Bedarf ist enorm“, sagt Sanktionsrechtsexperte Viktor Winkler. „Es handelt sich schließlich um das komplexeste Sanktionspaket in der noch jungen Geschichte der Sanktionen, mit mittelbaren Auswirkungen auf nahezu alle Lieferketten der Welt. Es entsteht definitiv ein neuer Beratungsbereich.“

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Bisher kann die Branche den Bedarf schon deshalb kaum decken, weil es an Experten fehlt. Sanktionsrecht ist bisher ein juristisches Nischenthema gewesen: „Diejenigen, die sich damit  in Deutschland auskennen, passen bequem in einen Flixbus“, sagt Winkler. Er glaubt, dass die Bedeutung des Themas groß bleiben wird. „Wir erleben eine beispiellose Revolution in der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität – weltweit“, sagt er. Mittelfristig müsse die europäische Wirtschaft deshalb internes Wissen aufbauen. „Das ist das große Zukunftsthema“, schätzt Winkler.

Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst am 12. Mai erschienen. Wir haben ihn aktualisiert.

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