WirtschaftsWoche: Herr Obst, Ihr Unternehmen hat früher als andere auf die Batterie als Alternative zu Dieselantrieben gesetzt; nun haben Sie, später als der Wettbewerb, auch einen Wasserstoffzug im Angebot. Hat die Batterie die Erwartungen nicht erfüllt?
Steffen Obst: Im Gegenteil, die Batterie hat ihre Alltagstauglichkeit im Bahnverkehr inzwischen oft genug bewiesen. Auf den allermeisten der rund 500 Strecken in Deutschland, die heute mit Diesel bedient werden, ist sie die effizientere und günstigere Lösung. Diese sind in der Regel zwischen 40 und 80 Kilometer lang, das kann man ohne weiteres mit einem Akku-Zug befahren. Es gibt aber auch andere Märkte. Denken Sie an die USA. Dort haben wir mitunter Strecken über mehrere 100 Kilometer. Das kann man nicht mit der heutigen Batterie bedienen, Akku-Züge mit mehr als 200 Kilometern Reichweite zu bauen, wäre aktuell nicht wirtschaftlich.
Ihre Wasserstoffzüge bieten Sie jedoch auch in Deutschland an.
Wir sehen als Hersteller auch in Deutschland Ausschreibungen, in der ausdrücklich Wasserstoff gefordert wird. Wenn die Ausschreibungen aber technologieoffen sind und nur ein potenziell CO2-freier Antrieb Bedingung ist, setzt sich nach unserer Beobachtung fast immer die Batterie gegen den Wasserstoff durch.
Zur Person
Steffen Obst ist als Mitglied der Geschäftsführung von Stadler Deutschland zuständig für den Vertrieb.
Beide Antriebsarten sind im Vergleich zu klassischen E-Triebwagen mit Oberleitung oder auch zu Diesel teuer. Warum braucht es überhaupt solche aufwendigen Lösungen?
Mit Diesel kommen wir nicht von den Emissionen im Bahnverkehr runter, denn synthetische Dieselkraftstoffe, die theoretisch klimaneutral sind, werden auf absehbare Zeit nicht in den nötigen Mengen zur Verfügung stehen. Eine völlige Elektrifizierung mit Oberleitungen wiederum wäre zu teuer. Den Kosten von 1 bis 3 Millionen Euro für neuen Fahrdraht je Kilometer muss ein entsprechend hohes Fahrgastaufkommen gegenüberstehen, sonst rechnet sich das nicht. Und das ist auf den meisten deutschen Nebenstrecken nicht der Fall. In der Schweiz sind 100 Prozent der Strecken elektrifiziert; die Schweiz ist aber auch viel kleiner.
Wasserstoffzüge haben neben der höheren Reichweite auch den Vorteil einer schnelleren Betankung.
Wasserstoff ist theoretisch schneller. In der Praxis ist das aber irrelevant für die Strecken, auf denen ein Akku-Zug infrage kommt. Das Betanken mit Wasserstoff dauert rund 15 Minuten. In derselben Zeit lädt aber auch der Batterie-Zug genug Strom nach, um die fahrdrahtlose Strecke bis zum nächsten Ladepunkt zu fahren. Der Unterschied ist: Der Wasserstoff-Zug tankt in einer Viertelstunde genügend Treibstoff für etwa 500 bis 600 Kilometer, der Akku-Zug nur für 50 bis 150 Kilometer – je nach Anforderungen, wie Steigungen, Höchstgeschwindigkeit, Auslastung und Zuglänge, Notreserve. Das genügt aber völlig, denn in 80 Kilometern ist in Mitteleuropa auf den allermeisten Strecken längst der nächste Bahnhof mit einer Oberleitung erreicht, unter der der Zug dann wieder mit 15.000 Volt laden kann.
Schneller schlau: Wasserstoff
Das chemische Element Wasserstoff (H) gehört zu den ältesten Elementen in unserem Universum. Es ist einer der Grundbausteine von Sternen, die Sonne zum Beispiel besteht zu knapp drei Vierteln aus Wasserstoff und zu knapp einem Viertel aus Helium. Wasserstoff ist in gebundener Form in allen lebenden Organismen zu finden. Auf der Erde ist die molekulare Form des Wasserstoffs (H2) ein geruchsloses, brennbares Gas.
Weil bei der Verbrennung von Wasserstoff (H) mit Sauerstoff (O) schlicht Wasser, also H2O, entsteht und eben kein klimaschädliches Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), wie bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe.
Wird Wasserstoff klimafreundlich hergestellt, soll er dabei helfen, den Ausstoß von CO2 deutlich zu verringern und laut Bundesregierung sogar „bis auf null zu führen“.
Stand: 26. Juli 2023
Der Wasserstoff soll vorzugsweise mit Hilfe von erneuerbarem Strom in sogenannten Elektrolyseverfahren hergestellt werden. Dabei zerlegt Strom Wassermoleküle in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff. Wird dabei Strom aus regenerativen Energiequellen verwendet, wird der Wasserstoff „grün“ genannt.
Je nach Art der Herstellung werden auch andere Farben zur Bezeichnung verwendet. So spricht man etwa von „grauem“ Wasserstoff, wenn bei der Herstellung aus Erdgas das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) entweicht.
Wird dabei das freiwerdende Kohlendioxid gespeichert, bezeichnet man ihn als „blau“.
Wird dabei fester Kohlenstoff gewonnen, wird der Wasserstoff „türkis“ genannt.
Mit Ökostrom hergestellter Wasserstoff soll zum einen als chemischer Rohstoff eingesetzt werden. Als Grundstoff für die chemische Industrie wird Wasserstoff schon lange verwendet, etwa zur Herstellung von Ammoniak, einer Ausgangsbasis für Düngemittel. In der Stahlindustrie etwa soll Öko-Wasserstoff künftig eine zentrale Funktion übernehmen: Wo bei der Herstellung von Roheisen bislang Kohle dem Eisenerz den Sauerstoff entzieht, soll künftig Wasserstoff ran.
Zum anderen soll er als Energieträger und damit auch als Energiespeicher dienen. In einigen Jahren soll er etwa als Brennstoff in modernen Gaskraftwerken zur Stromerzeugung verwendet werden. Sie sollen zum Einsatz kommen, wenn nicht genügend erneuerbarer Strom etwa aus Wind- und Sonnenenergie zur Verfügung steht. In Brennstoffzellen wird Wasserstoff schon länger zur Stromerzeugung eingesetzt. Gelagert werden soll Wasserstoff etwa in früheren Erdgasspeichern.
Sind diese Schnellladungen nicht eine extreme Belastung für die Batteriezellen?
Das wird natürlich genau berechnet. Die Verkehrsverträge laufen meistens 15 Jahre, die Triebzüge sind auf 30 Jahre wirtschaftliche Lebensdauer ausgelegt. Die Batterie sollte darin möglichst nur einmal ausgetauscht werden, die Investition ist ja erheblich. Die 15.000 Volt aus der Oberleitung transformieren wir im Zug so herunter, dass die Batterie zwischen den Anforderungen Lebensdauer, Leistung und Ladegeschwindigkeit optimal austariert ist. Mehr Spannung gibt uns hier Spielraum, um für die Zellen schädliche hohe Stromstärken bei gleicher Leistung zu vermeiden. Deswegen nutzt man beispielsweise für Elektro-Lkw Ladesäulen mit 800 oder gar 1500 Volt, für Pkw hingegen nur mit 400 Volt.
Wie lange hält die Brennstoffzelle üblicherweise in einem Wasserstoffzug?
Im Schnitt etwa drei Jahre. Dadurch, und durch den Wasserstofftank an Bord, ist der der Wartungsaufwand gegenüber Batteriezügen natürlich aufwendiger. Zusätzlich benötigen auch die Züge mit Brennstoffzelle eine Batterie als Strompuffer.
Gibt es spezielle Batterien für Züge?
Wir nutzen dieselben Zellen wie Pkw- und Lkw Hersteller, aber die Batterien mit Tausenden dieser Zellen sind eben viel größer und unter dem Fahrzeug oder dem Dach der Züge verteilt. Mal sind es, je nach Prioritäten der Betreiber, wie Ladegeschwindigkeit oder Lebensdauer, Lithium-Ionen-Zellen mit viel Nickel, wie bei E-Autos im oberen Preissegment, mal Lithium-Eisenphosphat, wie in günstigeren E-Autos. Wir konfigurieren die Batterien aber anders als ein Pkw-Hersteller. Auch haben wir in der Bahn wegen der vielen Fahrgäste noch strengere Sicherheitsanforderungen. Wir profitieren aber indirekt stark von den Fortschritten, die die Batterie wegen des E-Autos in den vergangenen Jahren gemacht hat.
Lesen Sie auch: Züge mit Wasserstoffantrieb: Pionier auf dem Abstellgleis