Werner knallhart
Quelle: imago images

Personalmangel in Restaurants: Per QR-Code bestellen, runterschlingen und weg

Weil die Gastronomen nicht mehr genügend Leute finden, entstehen neue Bedien-Konzepte. Teils clever, teils unbeholfen, teils frech. Halten wir das aus oder sollen wir da vor Wut zu Hause kochen? Eine Kolumne.

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Neulich. Ich möchte online einen Tisch fürs Sonntagsfrühstück in meinem Lieblingsrestaurant buchen. Da sehe ich: alle Tische schon weg. Und denke: Hä? Das war doch früher nicht so. Erlebt der Laden gerade einen Popularitätsschub?, überlege ich und suche das Gespräch (denn es nagt an mir, verstoßen zu werden):
„Was ist bei euch los? Alles ausgebucht. Diesen Sonntag und Sonntag nächster Woche auch schon. Läuft bei euch, was?“
„Naja“, mein Lieblingskellner lächelte mich an, „ehrlich gesagt: Wir haben die Reservierungsmöglichkeiten beschränkt. Wir können uns ein volles Haus nicht erlauben zurzeit. Wir sind zu wenig Leute.“

Oh. Tja, guten Morgen. Es ist ja längst soweit: Der Personalmangel in der Gastronomie schlägt derart durch, dass es die Gäste zu spüren bekommen. Das gerade Beschriebene wäre schon die erste Variante der Personalmangel-Verwaltung:

1. Die Notlösung: Tische sperren, Zeiten beschränken, Gäste frustrieren

Die Idee kostet radikal Umsatz, hat aber einen Vorteil: Die Service-Qualität je Tisch bleibt gleich. Denn das Verheerende für Gäste und Gastronomen: Sinkt die Qualität des Angebots unter die gefühlte Grenze zur Unbequemlichkeit, erodiert das System und eine unheilvolle Abwärtsspirale wird gestartet: weniger Service, weniger Gäste, weniger Umsatz, weniger finanzieller Spielraum für attraktive Angebote ans Personal, Servicekräfte springen ab, Servicequalität sinkt weiter, noch mehr Gäste bleiben weg. Und so weiter.

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Das Schlimmste, was Gastronomen passieren kann, ist, dass die Gäste resümieren: „Zuhause wäre es entspannter und billiger gewesen.“ Wenn essen gehen einem vorkommt wie der Kompromiss zwischen eigener Koch-Faulheit und Lebensqualität. Die Gastronomie jetzt in Zeiten hoher Rohstoffpreise und kleiner Serviceteams effizienter und billiger zu organisieren und sie trotzdem gemütlich und lecker zu halten, ist ein Eiertanz. Die Frage ist: Ab wann kippt bei den Gästen die Stimmung?

2. Clever: Die neuen Reservierungs-Zeitfenster – lass es dir schmecken, aber ISS ENDLICH AUF!

Ein Luxusproblem besonders beliebter Restaurants ist es, interessierte Gäste abweisen zu müssen. Gut fürs Image, schlecht für den Umsatz. Doch die meisten Gäste reservieren ihren Tisch so, dass vorher und später am Abend keine weitere Belegung mehr möglich ist. Blöd aus Tradition.

Und so gibt es jeden Abend den großen Peak in Küche und Tischservice zwischen 20 und 21 Uhr, für den eine große Anzahl an Personal erforderlich ist, während dann ab 21:30 Uhr die Gäste nur noch ins Gespräch vertieft an der leeren Espressotasse herumfummeln, nichts mehr nachbestellen und die Kellnerinnen und Kellner ihre eigenen Fingernägel begutachten und darauf warten, endlich die Rechnung bringen zu können.

Da setzen sich jetzt nach und nach diese neuen Reservierungs-Zeitfenster durch. Erste Runde etwa von 18:30 Uhr bis 20 Uhr als After-Work-Dinner, die zweite Runde ab 20 Uhr mit open End. So lässt sich der Umsatz mit praktisch gleicher Anzahl an Mitarbeitenden theoretisch verdoppeln. Und wer braucht schon länger als anderthalb Stunden für ein Abendessen direkt nach der Arbeit?

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Wer jetzt schon unter Personalknappheit leidet, kann so mit ausgedünntem Team den Andrang über den ganzen Abend verteilen und trotzdem die Kassen klingeln lassen. Wenn die Gäste mitziehen sogar mit drei Zeitfenstern. Das erste bis 19:30, das zweite bis 21 Uhr, das dritte open End. Es fühlt sich etwas seltsam an, mit Zeitlimit willkommen zu sein. Aber so ist es doch überall: nach der Landung bitte alle aussteigen. Und wer die Check-out-Zeit im Hotel verpennt, kriegt einen Anruf vom höflich-genervten Rezeptionisten.

3. Verkehrte Welt: Erst bestellen per QR-Code – dann bezahlen – dann „Guten Tag“ – dann essen

Ja, viele Jahrhunderte hinweg ging es nicht anders: Da musste erst die Kellnerin an den Tisch kommen und die Speisekarten verteilen, dann wiederkehren, um die Bestellung aufzunehmen – „wir brauchen noch drei Minuten“ – ein zweites Mal wiederkehren, beim dritten Mal die Getränke, beim vierten Mal das Essen und beim fünften Mal die Rechnung bringen. Das ist viel Rennerei in Zeiten von Personalmangel.

Da versuchen sich mittlerweile erste Restaurants am Vorbild Ostasiens: Bestell digital, bekomme dein Essen serviert und bezahle beim Gehen an der Tür. Die ersten deutschen Restaurants ziehen es aus der Not heraus radikal durch:

  1. den am Tisch befestigen QR-Code mit dem Smartphone scannen
  2. Essen und Getränke auswählen
  3. bezahlen
  4. konsumieren

Hier liegt die Freude an der Innovation allein beim Gastronomen. Denn zum einen bezahlen die Gäste, ohne zu wissen, wie das Essen schmecken wird, zweitens wird die Kellnerin so zur super optimierten Tellerträgerin. Das erste „Hallo“, die erste Kontaktaufnahmen zwischen Gast und Gastgeber erfolgt frühestens, wenn die Getränke kommen.

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Vergangenen Samstagmittag im Berliner Westen habe ich die Diskussion am Nebentisch mitgehört, als eine Kundin verzweifelt mit dem Handy über der Tischplatte fuchtelnd und scannend zur Kellnerin sagte: „Schön ist das nicht.“
Und die Kellnerin antwortete: „Ich mag das auch nicht. Aber das ist die Zukunft. Wir finden keine Leute.“

Das System mit der Vorabkasse über das Handy hat zumindest einen Vorteil. Und der lautet:

4. Faire Bezahlung statt Trinkgeld

Schlicht, weil es in Scan-Restaurants mit Vorabkasse keine Gelegenheit mehr für Trinkgeld gibt. In Gegenzug erschien mir das Essen verhältnismäßig teuer. Das Trinkgeld ist sozusagen im Preis schon mit drin. Für bessere finanzielle Planbarkeit statt Hoffen auf Almosen der werten Könige Kunden.

Solche Restaurants mit weniger Kontakt zwischen Gästen und Personal und damit einem eher unterkühlten zwischenmenschlichen Verhältnis lassen wegen der geringeren persönlichen Bindung die Trinkgeld-Bereitschaft sicherlich ohnehin sinken. Beschränkt sich die soziale Interaktion ja allein auf Dialoge wie:
„Für wen sind die Spinatknödel mit Salat?“
„Für mich.“



Selbst die Frage, ob es denn geschmeckt habe, fällt weg, weil bezahlt ja längst ist und weiterer Austausch sich deshalb erübrigt. Insofern sind höhere Preise gerechtfertigt. Fragt sich nur, ob das Wort Gastronomie noch passt, wenn es hier eher um ein Besteller-Lieferanten-Verhältnis mit Erfüllungsort Esstisch geht.

Doch ich befürchte: Besagte Kellnerin hat recht. Das ist die Zukunft. Die Alternative wären horrend höhere Preise, die einen Angestellten-Verdienst ermöglichen, das die Menschen in Scharen in der Gastronomie hinter die Theke lockt, was wiederum die Gäste aber vor den eigenen Herd treiben würde.

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